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- TitleWindelband: Gutachten über Paul Hensel zur Ernennung zum Extraordinarius, Straßburg, 31.12.1894/4.1.1895, 6 S., hs. (lat. Schrift), vereinzelte hs. Überarbeitungen durch Theobald Ziegler, ADBR Strasbourg, 62 AL 15 (Dekanat Harry Bresslau 1894/95), Nr. 119 u. Nr. 128
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- Physical LocationArchives Departementales du Bas-Rhin Strasbourg
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Windelband: Gutachten über Paul Hensel zur Ernennung zum Extraordinarius, Straßburg, 31.12.1894/4.1.1895, 6 S., hs. (lat. Schrift), vereinzelte hs. Überarbeitungen durch Theobald Ziegler, ADBR Strasbourg, 62 AL 15 (Dekanat Harry Bresslau 1894/95), Nr. 119 u. Nr. 128
Strassburg, den 31. Dec[ember] 1894
Sehr geehrter Herr Decan,
nach Auftrag der Facultät beehre ich mich Ihnen umstehenden Entwurf zu dem Antrage[1] auf Ernennung des Herrn[a] Dr. Hensel zum Extraordinarius ganz ergebenst vorzulegen. Herr College Ziegler ist damit einverstanden.
In vorzüglicher Hochachtung
Windelband
An | den Decan der philos[ophischen] Facultät | Herrn Prof. Dr. Bresslau[2] |Hochwohlgeboren | hier[b] |
Strassburg[c], den 4 Jan[uar] 1895.
Ew. Hochwohlgeboren beehrt sich die philosophische Facultät den nachfolgenden Antrag auf Ernennung des Privadocenten Dr. Paul Hensel zum ausserordentlichen Professor ganz ergebenst vorzuschlagen.
Die Fakultät hat in Herrn Dr. Hensel, welcher sich im Jahre 1888 bei ihr für Philosophie und deren Geschichte[d] habilitirte, mehr und mehr eine durchaus wissenschaftliche Persönlichkeit kennen und schätzen gelernt. Er ist ursprünglich für einen praktischen Beruf bestimmt und einige Jahre als Buchhändler thätig gewesen, dann aber von einem solchen Bedürfniss nach dem wissenschaftlichen Leben ergriffen worden, dass er in verhältnissmässig vorgeschrittenem Alter die humanistische Bildung und das Maturitätsexamen nachholte, um zur Universität zu gehen. Im Jahr 1885 promovirte er in Freiburg i/B. und vereinigte sodann eine Zeit lang die verschiedenen Seiten seiner Vorbildung zu einer Hilfsthätigkeit als Volontär bei der dortigen Universitätsbibliothek. Schliesslich aber veranlasste ihn die ausgesprochene Neigung zu eigner wissenschaftlicher Arbeit, sich um die Venia legendi an unsrer Universität zu bewerben.
Es ist nicht ohne Zusammenhang mit dieser Entwicklung, dass Dr. Hensel sich durch eine ungewöhnliche Breite des gelehrten Wissens auszeich|net.[e] Er umfasst damit einerseits, gestützt auf eine reiche Sprachkenntniss, die allgemeine Litteratur des Altertums und der neueren Völker, andrerseits die historischen Fächer, in denen er auf der Universität auch seminaristisch gearbeitet hat, und in besonders gründlicher Weise sein Lehrfach, die Philosophie, ihre Erscheinungsformen in den Werken der Philosophen, ihre geschichtliche[f] Entwicklung bis in die feineren Verzweigungen hinein und ihre Zusammenhänge mit dem übrigen Culturleben. Dabei verfügt er über diese umfangreichen Kenntnisse, auch im Einzelnen, mit einer glücklichen Präsenz. Diese Vorzüge Dr. H[ensel]’s[g] treten in dem persönlichen Verkehr sehr lebhaft hervor: in seinen bisherigen Veröffentlichungen hat er kein Gewicht darauf gelegt, sie äusserlich kenntlich zu machen. Es entstammt wohl seiner vielfachen Gewöhnung an englische und französische Litteratur, dass er in seiner schriftstellerischen Thätigkeit die Gelehrsamkeit mehr zurückhält als hervorhebt. Seine Schriften sind knappe theoretische Darlegungen, welche den Untergrund gelehrter Untersuchung, auf dem sie thatsächlich beruhen, nur bei genauer Sachkunde erkennen lassen. So beleuchtet seine Inauguraldissertation „Ueber Kant’s transscendentale Apperception und Fichte’s Ich“ (Freiburg 1881) eine oft behandelte entscheidende Wendung in der Geschichte des | deutschen Denkens auf eine neue Weise, welche die gedankliche Nothwendigkeit dieser Wendung aus eindringendem Verständnisss der Systeme von Kant und Fichte entwickelt. So hat er seine Habilitationsschrift zu einem feinsinnigen Essay „Ueber ethisches Wissen und Handeln“ (Freiburg 1889) ausgefeilt, welcher in der Form einer rein theoretischen Darstellung die[h] in der Geschichte zu Tage getretenen Principien der Moralphilosophie gegen einander in’s Feld führt. Beide Arbeiten lassen neben der vollkommnen Beherrschung des Stoffs überall ein wohl abgewogenes Urtheil erkennen. Das gleiche gilt von seiner neusten Veröffentlichung. Seit längerer Zeit ist Dr. H[ensel] mit den Vorarbeiten für eine philosophiegeschichtliche Monographie über Th. Carlyle[3] beschäftigt, und es ist auf das lebhafteste zu wünschen, dass es ihm gelingen möge, den häufigen[i] Arbeitsstörungen, welche sein Gesundheitszustand ihm bereitet, die Lösung dieser Aufgabe abzuringen, für welche er bei seiner genauen Vertrautheit mit der englischen wie mit der deutschen Litteratur besonders geeignet ist. Als eine verheissungsvolle Vorfrucht dieser Studien ist die der äussern Form nach durchaus populär gehaltene Einleitung über Carlyle’s Weltanschauung zu betrachten, welche er für eine deutsche Ausgabe von | Carlyle’s socialpolitischen Schriften (Göttingen, 1894) verfasst hat. Von der breitesten historischen Grundlage, an der überall die genaue und vielseitige Litteraturkenntniss fühlbar ist, spitzt sich hier die Darstellung zu dem völlig neuen Ergebniss zu, dass der Kernpunkt in Carlyle’s Weltanschauung in einer congenialen Erfassung der Fichte’schen Philosophie zu suchen ist.
In hervorragendem Maße kommen die genannten Eigenschaften Dr. Hensel’s in seiner erfolgreichen Lehrthätigkeit zur Geltung. Er hat seit seiner Habilitation regelmässig und stets vor einer verhältnissmässig grossen Zuhörerschaft gelesen, häufig auch über eines der systematischen und der historischen Hauptfächer der Philosophie, wobei der Erfolg um so mehr Anerkennung verdient, als bei dem zwischen den beiden Ordinarien des Faches bestehenden Turnus ein solches Hauptfach von dem Privatdocenten nur in dem ungünstigen Verhältniss vorgetragen werden kann, dass es im Semester vorher von dem einen und im Semester nachher von dem andern der beiden Ordinarien gelesen wird. Hervorzuheben ist, dass Dr. H[ensel] durch seine Vorlesungen namentlich die älteren und reiferen Hörer der Philosophie zu gewinnen weiss; dass er aber auch ebenso weitere Kreise selbst für schwierigere Gegenstände zu interessieren versteht,[j] hat er teils schon früher teils besonders in diesem Semester bewiesen, wo er in einer öffentlichen Vorlesung über Geschichtsphilosophie (worüber sonst | hier noch nie gelesen worden ist) ein constantes Auditorium von ca.[k] 40 Studirenden hat.
Die Facultät sieht danach in der Lehrthätigkeit des Dr. Hensel eine werthvolle Ergänzung für diejenige der ordentlichen Vertreter des Fachs, und sie hegt den dringenden Wunsch, ihre Anerkennung dafür und ihre Schätzung der wissenschaftlichen Persönlichkeit des Dr. Hensel durch seine Ernennung[4] zum ausserordentlichen Professor zum Ausdruck gebracht zu sehen.
Die philosophische Fakultät[l]
Kommentar zum Textbefund
b↑hier ] darunter von Harry Bresslaus Hd.: Den Herren Collegen zur gef[älligen] Kenntnissnahme und ev[entuellen] Genehmigung ganz ergebenst vorgelegt. | Straßburg 2. Jan[uar] 1895 | Bresslau; folgen zustimmende Umlaufvermerkec↑Strassburg ] links darüber von anderer Hand: 1894/5. Nr. 128.; darunter von weiterer Hd.: 2mal mundirt. | ab 5/I Hill (schwer leserlicher Namenszug: eines Sekretärs der Fakultät?)e↑auszeich|net. ] vor Seitenwechsel links am Fuß der S. Adreßangabe: An | den Herrn Kurator der Universität | hierj↑Hervorzuheben … versteht, ] mit Einfügungszeichen auf den Rand geschrieben für gestr.: Hervorzuheben ist, dass Dr. H. durch seine Vorlesungen namentlich auch die älteren … weiss; dass er aber ebenso auch weitere Kreise selbst für schwierigere Gegenstände zu interessieren versteht, hat er … (nur diese Variante von der Hd. Theobald Zieglers); dieses für gestr.: Es ist hervorzuheben, dass Dr. H. dabei meist die älteren und reiferen Hörer der Philosophie zu gewinnen weiss. dieses für wiederum gestr., im ursprünglichen Textverlauf stehendes: Dass er auch weitere Kreise selbst für schwierigere Gegenstände zu interessiren versteht; dieses seinerseits umgestellt und verändert aus: dass Dr. Hensel auch schwierigere Gegenstände dem Interesse weiterer Kreise zugänglich zu machen versteht,Kommentar der Herausgeber
1↑Entwurf zu dem Antrage ] vgl. in derselben Akte Nr. 119 das am 17.12.1894 eingegangene Schreiben Windelbands vom 15.12.1894: Der hohen philosophischen Facultät beehre ich mich, im Einvernehmen mit dem Herrn Collegen Ziegler, ganz ergebenst den Antrag zu unterbreiten, | die Facultät wolle bei dem Herrn Kurator die Ernennung des Privatdocenten Dr. Paul Hensel zum ausserordentlichen Professor in Vorschlag bringen. | Windelband; darunter von Harry Bresslaus Hd.: Angenommen in Facult[äts]sitz[ung] 19.XII.95 [!]. Windelband und Ziegler mit Abfassung des Berichts beauftragt. | Bresslau | vgl. Bericht Nr. 128.3↑Monographie über Th. Carlyle ] vgl. Paul Hensel: Thomas Carlyle. Stuttgart: Frommann (E. Hauff) 1901 (Frommann’s Klassiker der Philosophie Bd. 11), mit Widmung an Windelband.4↑Ernennung ] vgl. in derselben Akte Nr. 181 Universitätskurator Julius Hamm an Dekan Harry Bresslau vom 25.3.1895: teilt die Bestallung durch den Statthalter vom 20.3.1895 für Paul Hensel (und Eduard Thrämer) mit bzw. deren Ernennung zum ao. Prof., mit welchen Besoldungen nicht verbunden sind und durch die auch für die Zukunft keine Aussicht auf Gewährung eines Gehalts begründet wird.▲