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- TitleVaihinger an Adolf Grimme, Halle, 22.3.1930, 2 S., Ts. mit eU, Briefkopf Prof. Dr. phil. Hans Vaihinger | Geh. Reg.-Rat | Dr. rer. techn. h. c. Dr. med h. c. | Dr. jur. h. c. | Halle a. d. S., den … 19… | Reichardtstr. 15, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, VI. HA, Nl Adolf Grimme, Nr. 2615
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Vaihinger an Adolf Grimme, Halle, 22.3.1930, 2 S., Ts. mit eU, Briefkopf Prof. Dr. phil. Hans Vaihinger | Geh. Reg.-Rat | Dr. rer. techn. h. c. Dr. med h. c. | Dr. jur. h. c. | Halle a. d. S., den … 19… | Reichardtstr. 15, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, VI. HA, Nl Adolf Grimme, Nr. 2615
22. März 1930
Hochverehrter Herr Staatsminister Dr. Grimme!
Als vor einigen Wochen die Zeitungen Ihre Ernennung zum Preussischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung mitteilten, erinnerte ich mich sofort daran, dass Sie mir im Mai 1919 noch als Studienassessor in Leer Ihr Interesse sowohl für die Kantgesellschaft als für die „Philosophie des Als Ob“ durch einen freundlichen Zuruf[1] kundgaben, worauf ich Ihnen auch alsbald meinen Dank aussprach. Natürlich beschloss ich sofort auch, Ihnen zu Ihrem neuen hohen Amte meine herzlichsten Glückwünsche auszusprechen, aber ich wollte damit zugleich doch auch eine literarische Gabe meinerseits verbinden können und hoffte, in kurzer Zeit Ihnen ein Exemplar der 5. Auflage meiner Schrift „Nietzsche als Philosoph“ mitsenden zu können[2], in der ich übrigens gelegentlich der Erörterung der Stellung Nietzsches zum Sozialismus auch Ihrer gedacht habe. Indessen wurde die Ausführung dieser Absicht durch zufällige Umstände bei der Druckerei immer mehr hinausgeschoben, sodass ich es nun doch nicht länger anstehen lassen kann, Ihnen noch nachträglich zu Ihrer Ernennung meine aufrichtigen Glückwünsche auszusprechen, hoffend, Ihnen im nächsten Monat die genannte Schrift zusenden zu können.
So muss ich mich heute darauf beschränken, Ihnen nur ein kleines Parergon mitzuschicken, einen Feuilleton-Aufsatz[3], der zwar schon einige Monate alt ist, aber Sie doch vielleicht[a] noch interessiert, da er sich auf das Problem der Religion des Als Ob bezieht, was ja beim Religionsunterricht, besonders in den Oberklassen der höheren Schulen, von Wichtigkeit sein könnte. Denn | für viele fortgeschrittene Primaner ist es schwer, die metaphysischen resp. religiösen Zweifel einfach zu unterdrücken und da hilft erfahrungsgemäss die Als-Ob-Betrachtung dazu, solche Zweifeler doch[b] wenigstens von dem dauernden ethischen und aesthetischen Wert der Religion zu überzeugen. So kann das bewährte Alte unter neuer Flagge, mit neuem Vorzeichen herübergerettet werden.
Sie, hochverehrter Herr Staatsminister, haben die grosse und schwere Aufgabe übernommen, das Neue, was mit Sturm und Drang[4] nach Verwirklichung strebt und nach dem Lichte drängt, mit dem bewährten Alten zu versöhnen und eben diesem bewährten Alten die Möglichkeit zu geben, auch in der neuen Zeit, aber in neuer Form seine Geltung sich zu erhalten. So werden Sie einerseits mit den Vertretern des Alten, andererseits mit den Fahnenträgern des Neuen sich auseinandersetzen müssen, werden dann aber doch schliesslich wohl nach manchen Kämpfen die Majorität der Vernünftigen für sich gewinnen.
Es sind viele und schwere Fragen der Kultur, die eine Entscheidung verlangen und so werden Sie, hochverehrter Herr Staatsminister, hoffentlich für viele Jahre lang Gelegenheit haben, Grosses zu schaffen.
In aufrichtiger Verehrung Ihr ergebener
H. Vaihinger
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
3↑Feuilleton-Aufsatz ] vermutlich Vaihinger: Haeckels Herzensfreundin und ihre Religion des Als-Ob. Ein Gedenkblatt um [!] zehnjährigen Todestage Ernst Haeckels, 9. August 1919. In: Deutsche Zeitung Bohemia (Prag) vom 8.8.1929, S. 1–2. Wiederabdruck u. d. T.: Haeckels Herzensfreundin. Ihre Religion des Als Ob. In: Vossische Zeitung, Nr. 376 vom 11.8.1929, Beilage: Das Unterhaltungsblatt Nr. 186, S. 2–3 (=28–29). – Zum Kontext vgl. Vaihinger an Grimme vom 21.10.1930.4↑Sturm und Drang ] auch Anspielung auf die der literarischen Bewegung den Namen gebende Komödie: Sturm und Drang (1776) von Friedrich Maximilian Klinger.▲