Bibliographic Metadata
- TitleHans Driesch an Vaihinger, Leipzig, 5.10.1925, 2 S., hs., Briefkopf (Stempel) Prof. Dr. Hans Driesch | Leipzig | Zöllnerstraße 1, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 6 m, Nr. 1
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 6 m, Nr. 1
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Hans Driesch an Vaihinger, Leipzig, 5.10.1925, 2 S., hs., Briefkopf (Stempel) Prof. Dr. Hans Driesch | Leipzig | Zöllnerstraße 1, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 6 m, Nr. 1
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Hochverehrter Herr Geheimrat!
Recht herzlichen Dank für Ihre freundlichen Zeilen vom 22 September[1] und für die beiden schönen Aufsätze[2].
Meine Frau[3] und ich freuen uns sehr, in Ihnen einen Gesinnungsgenossen gefunden zu haben. Leider giebt es deren gerade an den Universitäten so wenige; in Köln, Hamburg und Frankfurt meinen Erfahrungen nach noch am meisten. Erfreulich war es für uns anlässlich der Darmstädter Wochen Keyserling’s[4], an der wir teilnahmen[5], zu sehen, daß in manchen Kreisen des Adels u. der Grosswirtschaft recht verständige Anschauungen herrschen, vernünftigere als an den Hochschulen.
Ein Paar Worte möchte ich Ihnen über „Kulturbund“ (union intellectuelle) und „Kulturverband“ (fédération des unions intell[ectuelles]) sagen. Ueber diese Dinge herrschen in Deutschland noch viele Dunkelheiten, weil alles noch im Entstehen begriffen ist, man es aber in manchen Kreisen schon für fertig hält. Alle die verschiedenen „Bünde“ (unions)[a] gingen in ihrer Gründung aus vom Prinzen Charles Rohan[6], einem Oesterreicher[b] (Emigrant aus der Zeit der grossen Revolution) zurück[c]. Rohan bat Goetz, den Historiker[7], und mich, die Sache für Deutschland in die Hand zu nehmen. | Wir taten es; dann aber wurde der Wunsch laut, eine so breite Basis zu schaffen, daß sie von Sozialdemokraten bis zu Deutschnationalen geht. Da machen nun aber diese immer noch Schwierigkeiten betreffs der Veröffentlichung der Pläne; sie fürchten die völkische Presse.
Aber diesen Winter wird sicherlich noch an die Öffentlichkeit gegangen werden – wenn auch vielleicht ohne die Deutschnationalen.
Voriges Jahr tagte in Paris die fédération und wählte mich zum Obmann der deutschen – (wie gesagt, zur Zeit noch „latenten“) – Union. Ich selbst war nicht in Paris. Leider kann ich auch dieses Jahr nicht zu der Fédération-Sitzung nach Mailand[8]. Diese sollte zuerst Ende Oktober sein, und für diese Zeit hatte ich mein Kommen zugesagt. Da verlegten die Italiener sie plötzlich auf 8 November, und das ist eine Zeit, in der ich unmöglich hier fort kann.
Es ist möglich, daß ich im Laufe des Winters nach Halle[d] zu einem Vortrag[9] komme. Dann würde ich Sie jedenfalls aufsuchen[e] und könnte Ihnen vielleicht noch näheres über den Kulturbund erzählen.
Mit besten Empfehlungen von Haus zu Haus Ihr ergebener
Hans Driesch
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑beiden schönen Aufsätze ] gemeinte nicht ermittelt; vgl. die annotierte Bibliographie Hans Vaihinger für 1925.4↑Darmstädter Wochen Keyserling’s ] gemeint sind die Jahrestagungen der von Hermann Graf Keyserling (1880–1946) 1920 in Darmstadt begründeten Schule der Weisheit, getragen von der Gesellschaft für freie Philosophie (BEdPh). Die dortigen Vorträge erschienen 1919–1927 im Jahrbuch Der Leuchter (Otto Reichl-Verlag, Darmstadt, vgl. Würffel: Lexikon Deutscher Verlage, Berlin 2000, S. 695).5↑an der wir teilnahmen ] mit Vortrag von Driesch, vgl. z. B. den Bericht über die VII. Tagung der Gesellschaft für Freie Philosophie in Darmstadt. In: Hallische Nachrichten, Nr. 225 vom 25.9.1925, S. 3 (http://dx.doi.org/10.25673/opendata2-65768 (26.9.2024)).6↑Prinzen Charles Rohan ] d. i. Karl Anton Rohan (1898–1975), der aus einer französischen Familie des Hochadels stammte, die nach 1789 nach Österreich emigriert war, vgl. NDB (Bd. 21, 2003, S. 760–761, Verfasser: Guido Müller): Nach dem Besuch der Kavallerie-Offiziersschule nahm er 1916–18 in Rußland am Krieg teil und legte Anfang 1918 die jur. Staatsprüfung ab. Der Aufstieg des Bolschewismus sowie der militärische und politische Zusammenbruch der Habsburgermonarchie erschütterten sein Weltbild. […] Seit 1921 betätigte sich R. […] für einen Zusammenschluß der nationalen geistigen Eliten Europas zu einer gemeinsamen Front gegen Bolschewismus und Liberalismus. Zu diesem Zweck gründete er 1922 in Wien den „Kulturbund“, der sich besonders um Kontakte nach Frankreich bemühte. Anfang 1923 wurde ein franz. Komitee gegründet, Ende 1924 bildete sich in Paris die „Fédération des Unions intellectuelles“ mit R. als Generalsekretär. Im Gegensatz zur „Paneuropa“-Idee seines Landsmannes Richard Gf. Coudenhove-Kalergi (1894–1972) propagierte R. in Ablehnung demokratisch-liberaler Ideale die konservative „Abendland“-Idee. Es entstanden zahlreiche nationale und lokale Gruppen des „Kulturbundes“, 1924–34 fanden europ. Jahrestagungen statt, gefördert v. a. von dt. und luxemburg. Großindustriellen und franz. Verlegern […]. Intellektuelle und Künstler wie Hugo v. Hofmannsthal, Paul Valéry, Paul Langevin, Pierre Viénot, Annette Kolb, Max Beckmann, Hermann Gf. Keyserling, Alfred Weber und Carl Schmitt wirkten an ihnen mit. Zur Propagierung eines „jungen Europa“ gründete R. die angesehene Kulturzeitschrift „Europ. Revue“, die er 1925–36 leitete. Vom ital. Faschismus fasziniert, setzte sich R. seit 1932 für ein Bündnis von Katholizismus, Faschismus und Nationalsozialismus ein. Seit 1934 wirkte er intensiv für eine dt.-österr.-ungar. Zusammenarbeit, spielte indes wegen seines Einsatzes für die Unabhängigkeit Österreichs seit 1938 keine politische oder publizistische Rolle mehr. Nach 1945 betätigte sich R., der in der Zwischenkriegszeit zu den wichtigsten Propagandisten des Europagedankens und der Idee der Konservativen Revolution zählte, für die Sudetendt. Landsmannschaft, deren Kulturpreis er 1974 erhielt, und publizierte zu internationalen und kulturpolitischen Fragen. Zur Fédération internationale des Unions intellectuelles – M. le Prince de Rohan gibt es eine reiche Aktenüberlieferung bei der UNESCO, vgl. das Digitalisat: https://atom.archives.unesco.org/uploads/r/5c00m/8/a/4/8a452cbc920402ed09b0bc20870253790f94b4030fffb5c68b478f1353d3fbe0/0000000619.pdf (29.3.2022), ferner Guido Müller: Europäische Gesellschaftsbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg. Das Deutsch-Französische Studienkomitee und der Europäische Kulturbund. München: R. Oldenbourg 2005.7↑Goetz, den Historiker ] vermutlich Walter Goetz (1867–1958), 1901–1913 bei der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 1913 o. Prof. in Straßburg, 1915 in Leipzig, 1933 emeritiert (NDB).8↑Fédération-Sitzung nach Mailand ] vom 5.–7.11.1925, vgl. das Protokoll in: https://atom.archives.unesco.org/uploads/r/5c00m/8/a/4/8a452cbc920402ed09b0bc20870253790f94b4030fffb5c68b478f1353d3fbe0/0000000619.pdf (S. 425–431; 26.9.2024).9↑zu einem Vortrag ] am 16.1.1926, vgl. die Annonce auf der Anzeigenseite in: Saale-Zeitung, Nr. 8 vom 10.1.1926, 3. Blatt: China und die Chinesen | Gr. öffentl. Lichtbildervortrag | Profess. Dr. Hans Driesch, Leipzig | Hochinteressante eigene Erlebnisse (dazu eine ausführliche Ankündigung im 2. Blatt; Zeitungsnummer erreichbar via http://dx.doi.org/10.25673/opendata2-70810 (26.9.2024)).▲