Bibliographic Metadata
- TitleAlma von Hartmann an Vaihinger, Berlin, 6.7.1924, 2 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXII, 2 f, Nr. 6
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXII, 2 f, Nr. 6
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Alma von Hartmann an Vaihinger, Berlin, 6.7.1924, 2 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXII, 2 f, Nr. 6
Berlin d. 6. Juli 24
Verehrter Herr Geheimrat.
Tausend Dank für Ihre freundlichen Glückwünsche[1]. Aber wie leid tut es mir, Sie krank zu wissen! In unseren Jahren darf man einfach nicht krank werden. Das wenigstens könnte uns das grausame Schicksal an unserem Lebensabend ersparen. Das Alter ist ja an und für sich eine Krankheit. Unter diesem Gesichtspunkt vermochte ich den 70. Geburtstag, der ja wesentlich ein Markstein des Alters ist, nicht grade in Festesstimmung zu begrüßen. In meinen vier Kinderfamilien herrscht neben der – selbstverständlich gewordenen – Armut soviel Not durch Krankheit und Kränklichkeit, daß man aus den Sorgen nicht heraus kommt. Und mit welcher Bangnis muß man wegen der dritten Generation in die Zukunft blicken, deren schwarze Schatten durch das neue Blutaussaugungsinstrument des Dawesplans[2] nur noch verstärkt werden. Der edle Morel kämpft wie ein rechter Don Quixote gegen Mächte, deren er nie Herr zu werden vermag, wenn er die Staatsmänner seines Landes zur Umkehr von den Wegen des Versailler Traktats[3] auffordert, Deutschlands Unschuld in jeder Nummer seines Foreign Affairs[4] betont und immer wieder betont, daß Deutschland schon Unsummen an Entschädigungen aufgebracht habe.
Ist es nicht, als ob die Herrschaft des blinden Willens, der sich der Zügelung durch die Idee entrafft hat, jetzt in voller Blüte stände?
Wie gern hätte ich es gesehen, daß gerade Sie etwas über mich geschrieben hätten[a]! Aber ich begreife, daß Sie sich | schonen müssen. Es ist ohnehin erstaunlich, was Sie bei Ihrem Augenübel alles noch leisten können. Ich bin durch körperliche Invalidität, die mich auch an längerem Schreiben verhindert, auch an der Fortsetzung meiner geistigen Arbeiten verhindert. Doch setze ich wenigstens noch meine „Politischen Memoiren“[b][5] fort. Ganz allgemein gesprochen ersehne ich das Ende, aber wenn dann wieder Ansprüche an mich gemacht werden, dann erwacht die Energie. So mache ich der Welt gegenüber den Eindruck der „Rüstigkeit“[c], die mir in Wirklichkeit eigentlich ganz abhanden gekommen ist.
Mit den besten Wünschen für eine baldige Kräftigung Ihrer Gesundheit Ihre herzlich grüßende
Alma v. Hartmann.
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑Dawesplans ] für die Reparationsleistungen Deutschlands (1924), Namensgeber war der Vorsitzende des vorbereitenden Ausschusses Charles Dawes (1865–1951).3↑Versailler Traktats ] meint den Friedensvertrag von Versailles (1919) mit seinen weit reichenden Folgen für Deutschland.4↑in jeder Nummer seines Foreign Affairs ] vgl. die seit Juli 1919 in London erscheinende Zeitschrift Foreign Affairs. A Monthly Digest and Interpretation, hg. v. Edmund Dene Morel.5↑„Politischen Memoiren“ ] meint wahrscheinlich: Eduard von Hartmann: Gedanken über Staat, Politik und Sozialismus. Zusammengestellt v. Alma von Hartmann. Mit Bildnis. Leipzig: Kröner 1923 (Kröners Taschenausgabe Bd. 29).▲