Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Fritz Mauthner, Halle, 9.1.1921, 2 S., Ts. mit eU, Briefkopf PROF. DR. HANS VAIHINGER | GEH. REG.-RAT. | Halle a. S., den … 192… | Reichardtstr. 15., Leo Baeck Institute New York, Fritz Mauthner Collection, https://archive.org/details/fritzmauthner_08_reel08/page/n688/mode/1up (S. 689–725)
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- Physical LocationLeo Baeck Institute New York, Fritz Mauthner Collection
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Vaihinger an Fritz Mauthner, Halle, 9.1.1921, 2 S., Ts. mit eU, Briefkopf PROF. DR. HANS VAIHINGER | GEH. REG.-RAT. | Halle a. S., den … 192… | Reichardtstr. 15., Leo Baeck Institute New York, Fritz Mauthner Collection, https://archive.org/details/fritzmauthner_08_reel08/page/n688/mode/1up (S. 689–725)
9.1.1921.
Herrn Schriftsteller Dr. Fritz Mauthner, Meersburg.
Hochgeehrter Herr Doktor!
Ich habe Ihnen noch zu danken für den neuen resp. erneuten Artikel über die Philosophie des Als Ob[1], der mir wohl auf Ihre Veranlassung hin vor geraumer Zeit aus Berlin zugeschickt worden ist.
Sie werden es mir nicht als Eitelkeit auslegen, wenn ich Sie bitte, als kleines Zeichen meiner Dankbarkeit das gleichzeitig an Sie als Drucksache abgehende Blatt anzunehmen. Es stammt aus den neuen Auflagen der Ph. d. A. O., in die es durch den Herrn Verleger hineingenommen worden ist.
Die Büste, nach welcher das Bild reproduziert ist[2], stammt von unserer früh verstorbenen Tochter. Diese hatte auch sehr starke philosophische Interessen und war entschiedene Gegnerin des Theismus. Diese ihre atheistische Überzeugung wurde leider auch Ihr Verhängnis[3]: sie lernte einen geistig nicht unbedeutenden Mann kennen, der überzeugter Katholik ist, der aber trotz der innigen Liebe, welche beide verband, ihrer Überzeugung unduldsam gegenüber stand. Da sie als Künstlerin ohnedies schon ein starkes Temperament hatte und schon von jeher den freien Tod hochstellte, so fand sie aus dem Konflikt zwischen Liebe und Weltanschauung nur den Ausweg des freiwilligen Verzichts auf das Leben. So gehört sie als eine „Märtyrerin ihrer Weltanschauung“, wie sie sich selbst nannte, in die Geschichte des Atheismus[4]. –
Vor mir liegen Ihre Briefe[5] vom 9. und 16. Sept[ember], sowie vom 10. und 13. Okt[ober], in denen Sie ausdrücklich mir zugesagt haben, mir die Ihnen zur Verfügung gestellten 35 Broschüren zum Atheismusstreit bis zum 1. Dez[ember] 1920 zurückzuschicken als Wertpaket von ein tausend Mark.
Ich nehme an, dass Krankheit und andere dringende Abhaltungen den Abschluss Ihrer Arbeit an diesen 35 Broschüren bis jetzt hinausgezögert | hat. Aber, da jetzt die Taxierung und der Verkauf meiner Bibliothek[6] in baldige Nähe rückt, so muss ich Sie darum bitten, mir umgehend mitteilen zu wollen, bis zu welchem Datum ich nun mit völliger Sicherheit auf die Zurücksendung rechnen kann, damit ich den betreffenden Antiquar bis zu diesem Zeitpunkt ins Haus bestellen und ihm diese überaus wertvolle Sammlung vorlegen kann.
Mit nachträglichen besten Wünschen zum neuen Jahr Ihr ergebener
Vaihinger
Kommentar der Herausgeber
1↑Artikel über die Philosophie des Als Ob ] vgl. die Besprechung der 4. Aufl. 1920 durch Fritz Mauthner in: Das neue Deutschland 9 (1920), Heft 1/2 vom Oktober 1920, S. 6–11; sowie ders. zuvor: Als ob. In: Der Zeitgeist, Nr. 10, 11 u. 12. Beiblatt zu: Berliner Tageblatt, Nr. 125, 138 u. 149 vom 10.3., 17.3. u. 25.3.1913.2↑nach welcher das Bild reproduziert ist ] vgl. Vaihinger: Die Philosophie des Als Ob. 4. Aufl., hg. v. Raymund Schmidt. Leipzig: Meiner 1920. Mit Porträt Vaihingers gegenüber dem Titel, Photographie nach einem Relief von Erna Vaihinger.3↑Ihr Verhängnis ] vgl. Vaihinger: Der Bildhauerin Erna Vaihinger Glück und Ende. (Mit 7 Bildern). In: Heimatkalender für Halle und den Saalkreis. Halle: Karras & Koennecke 1923, S. 81–88. Eine abweichende Darstellung der Zusammenhänge, die zum Freitod der Tochter am 31.12.1918 führten, gibt der in Vaihingers Text nicht erwähnte Werner Catel (1894–1981, evangelischer Konfession: https://research.uni-leipzig.de/catalogus-professorum-lipsiensium/leipzig/Catel_26/ (25.9.2024)). Catel war nach eigener Darstellung der erste, mit dem Erna Vaihinger eine Liebesbeziehung aufbaute, bevor die Eltern das Verhältnis unterbanden und Bernard Wieman (1872–1940: https://de.wikipedia.org/wiki/Bernard_Wieman (22.2.2022), Konfession nicht ermittelt, aus Osnabrück) als Verlobter auftrat. Vgl. Catel: Leben im Widerstreit. Bekenntnisse eines Arztes. Nürnberg: Glock und Lutz 1974, S. 16–27, mit einem ausführlichen Dialog, der angeblich ein Gespräch Catels mit Vaihinger wiedergibt.4↑Geschichte des Atheismus ] Anspielung auf Mauthner: Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande, 4 Bde. 1920–1923.▲