Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Paul Ernst, Halle, 13.4.1919, 2 S., Ts. mit eU, Deutsches Literaturarchiv Marbach, A:Ernst, Paul
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- Place and Date of Creation
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- Physical LocationDeutsches Literaturarchiv Marbach, A:Ernst, Paul
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Vaihinger an Paul Ernst, Halle, 13.4.1919, 2 S., Ts. mit eU, Deutsches Literaturarchiv Marbach, A:Ernst, Paul
Diktat.
Halle, Reichardtstr. 15, den 13. April. 19.
Hochgeehrter Herr Dr. Paul Ernst!
Ich habe Ihnen für Vieles zu danken, für Ihre zwei ausführlichen Briefe[1], und nun für Ihren neuen Dramenband[2]. Ich beglückwünsche Sie dazu, dass Sie nicht blos die meisten dieser Dramen in der bewegten Zeit der letzten Jahre vollenden konnten, sondern auch dazu, dass Sie einen Verleger gefunden haben, der trotz der Schwere der Zeit die Herausgabe übernommen hat. Es wird mir ein grosser Genuss sein, mir diese Dramen vorlesen zu lassen, zumal sie teilweise dem Titel nach unmittelbar in die Zeit hineingehören und doch wohl andererseits darüber hinaus heben. Denn jetzt braucht man notwendig Erhebung, um gegenüber den furchtbaren Ereignissen ein ästhetisches Gegengewicht zu bekommen. Die Ereignisse der letzten Wochen[3] zeigen immer deutlicher, dass die von vielen so warm begrüsste und so hoch gepriesene neue Zeit einem unreifen Volke in den Schoss gefallen ist, einem Volke, dass die Freiheit nicht ertragen kann und sie in schändlicher Weise missbraucht. Man wird an die Zeit Luthers erinnert, dessen Freiheitsevangelium auch von den Bauern in furchtbarster[a] Weise missverstanden worden ist: Diese Bauern hatten aber doch wenigstens reale Gründe zu ihren Aufständen, denn es ging ihnen tatsächlich sehr schlecht, aber die Massen die sich jetzt gegen die von ihnen selbst geschaffene Neuordnung erheben, haben keine Entschuldigung für sich. |
Längst hätte ich Ihre beiden Briefe beantworten sollen, aber auch jetzt kann ich es nicht im Einzelnen tun: meine Kraft ist jetzt zu schwach dazu. Ich muss mich auf das Allgemeine beschränken und da genügt ja auch die Mitteilung, dass mir Ihre Ausführungen in jenen Briefen sehr sympathisch sind und sich mit Gedanken decken, die ich selbst in mir schon angesponnen hatte. Besonders der Gegensatz von genetisch-kausaler Betrachtungsweise einerseits und ästhetisch-ethisch-logisch gerichteter Wertung oder auch Geltung andererseits hat mich schon oft bewegt und ich habe mir nach der Lektüre Ihrer Briefe vorgenommen, Ihren Anregungen entsprechend jene meine älteren Gedankengänge nochmals durchzugehen und zu überarbeiten. Aber jeder Tag bringt ja politisch so furchtbare Überraschungen und Schrecknisse, dass die Ruhe zum Denken genommen wird.
Ihr Herr Verleger hat mir geschrieben[4], dass er durch einen nachträglich eingelegten Zettel[5], wie das so in solchen Fällen nicht selten gemacht wird, die Erwähnung der Philosophie des Als Ob in Ihrem „Zusammenbruch des Idealismus“ nachholen möchte. Das wäre in der Tat ein guter Ausweg. Dass beim Zusammenstellen Ihrer einzelnen Aufsätze das ursprünglich vorhandene Zitat durch ein Versehen weggefallen ist, ist ja unbequem, aber ich kann das sehr gut verstehen, und weiss aus eigener Erfahrung, wie leicht man Derartiges übersehen kann, im Drange der geistigen Arbeit.
Mit besten Wünschen und Grüssen Ihr ergebener
Vaihinger
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Ihre zwei ausführlichen Briefe ] es ist lediglich das Schreiben Paul Ernst an Vaihinger vom 14.3.1919 überliefert.2↑neuen Dramenband ] vgl. Paul Ernst Gesammelte Werke [Abteilung 1]: Gesammelte Dramen, Bd. 3. 1.–3. Tsd. München: Georg Müller 1919. Enthält: Manfred und Beatrice. Der Gärtnerhund. Preußengeist. Kassandra. Pantalon und seine Söhne. York.▲