Bibliographic Metadata
- TitleHermann Sudermann an Vaihinger, Berlin-Grunewald, 16.9.1918, 4 S., Ts. mit eU, Briefkopf HERMANN SUDERMANN | BLANKENSEE BEI TREBBIN (KR. TELTOW) | BERLIN-GRUNEWALD | BETTINASTR. 3, Wasserzeichen mit Wappenschilden und Beischrift Colambo Colambo, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXIII, 7 m
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXIII, 7 m
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Hermann Sudermann an Vaihinger, Berlin-Grunewald, 16.9.1918, 4 S., Ts. mit eU, Briefkopf HERMANN SUDERMANN | BLANKENSEE BEI TREBBIN (KR. TELTOW) | BERLIN-GRUNEWALD | BETTINASTR. 3, Wasserzeichen mit Wappenschilden und Beischrift Colambo Colambo, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXIII, 7 m
den 16. Sept[ember] 1918.
Hochverehrter Herr Geheimrat,
vorwurfsvoll liegt Ihr freundliches Schreiben[1] vor mir und verlangt eine ausführliche Antwort. Doch regen Sie zu viel wichtige Fragen an, als dass ich imstande wäre, mit Sorgfalt darauf einzugehen. Hierzu würde selbst ein Essay kaum ausreichen. Es handelt sich ja um nicht mehr oder weniger als die Aufgaben der Bühne überhaupt. Sicherlich hat das Drama[a] eine sozial-ethische Pflicht zu erfüllen, mit der keine andere künstlerische Hervorbringung sich messen darf. Aber die Bühne ist, meine ich, auch noch unter anderen Gesichtspunkten zu betrachten. Der dichterische Erkenntnis- und Bekenntnisdrang hat ein Recht, das nicht bestritten werden kann, und schafft Werte, die, ohne | eigentliche ethische Zwecke zu verfolgen, durch die Klarlegung von Problemen, durch den Hinweis auf verborgene Schäden dem Volkswohl nützlicher sein können als solche mit ausgesprochen moralischen Tendenzen.
Sodann wäre der Charakter des Publikums in Betracht zu ziehen, dem das Drama dargeboten wird. Ein Volksstück, das sich von vornherein an die breite Masse wendet, wird vorsichtiger gestaltet sein müssen als eine Studie, die die ethischen Schlüsse zu ziehen dem Verständnis einer ausgewählten Hörerschaft überlassen darf. Mit einer solchen Schar Auserwählter hat ein Werk wie der „Weibsteufel“ in erster Reihe zu rechnen. Das, was als Volk hinterherkommt, wird einfach hinnehmen müssen, was ihm als geprägtes Urteil bereits vorliegt. Wollte der Künstler bei seinem Schaffen ausschliesslich auf die Instinkte und geistigen Gaben der breiten Masse Rücksicht nehmen, so würde er in der künstlerischen Verwertung der Umwelt über banalste Bana|litäten[b] kaum hinauskommen. Nach diesem Grundsatze wird zur Zeit von den Zensoren das Kino behandelt, und ich meine, dass das dichterische Schaffen nicht auf das gleiche Niveau gestellt werden dürfte. Ihm wird mit anderen Freiheiten auch die gewahrt bleiben müssen, die Bilanz von Schuld und Sühne ausser Acht zu lassen, selbst auf die Gefahr hin, dass dieses oder jenes feingestimmte Gewissen daran Anstoss nimmt. Und so möchte ich auch den Schluss des „Weibsteufel“ betrachten, der wohl befremden mag, der aber schliesslich einer inneren Wahrheit nicht entbehrt. Der Schluss, den Sie vorschlagen, hat sicherlich Vieles für sich, ob er aber lebensvoller wirkt als der des Autors, möchte ich dahingestellt sein lassen.
Ich wünschte wohl, hochverehrter Herr Geheimrat, dass ich imstande wäre, mich über diese Fragen im Zusammenhang zu äussern, um der wertvollen Anregung gerecht zu werden, die Sie uns geben. Hoffentlich | bleibt mir später einmal die Zeit dazu. Augenblicklich beisse ich mir selber an dem Thema „Weibsteufel“ die Zähne aus.
In aufrichtiger Verehrung Ihr allzeit ergebener
Hermann Sudermann
Kommentar zum Textbefund
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