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- TitleVaihinger an Wilhelm Wundt, Heidelberg, 19.8.1918, 2 S., Ts. mit eU, Universitätsbibliothek Leipzig, https://collections.uni-leipzig.de/item/UBLNachlassWundt_mods_00001146
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- Physical LocationUniversitätsbibliothek Leipzig
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Vaihinger an Wilhelm Wundt, Heidelberg, 19.8.1918, 2 S., Ts. mit eU, Universitätsbibliothek Leipzig, https://collections.uni-leipzig.de/item/UBLNachlassWundt_mods_00001146
Diktat.
Bad Steben b[ei] Hof i[n] B[ayern], Villa Voigt, 19.VIII.18.
Ew. Exzellenz
beehre ich mich ganz ergebenst auf Ihr Schreiben[1] in der Angelegenheit der neuen Zeitschrift „Annalen der Philosophie“ folgendes zu erwidern[a].
Ew. Exzellenz haben seit vielen Jahren bei den verschiedensten Gelegenheiten an den hauptsächlichsten Vertretern des deutschen Idealismus, z. B. an Kant, Fichte und Hegel objektive und unparteiische Kritik geübt, wozu diese Philosophen ja manche Gelegenheit geben. Trotzdem haben Ew. Exzellenz in Ihrer jüngsten Schrift[2] über die nationalen Unterschiede im philosophischen Denken mit Recht im allgemeinen die Fahne des deutschen Idealismus aufgenommen und aufrecht gehalten. Ew. Exzellenz sind damit für das Gute und dauernd Brauchbare eingetreten, was im deutschen Idealismus in der Tat enthalten ist, unter Absehen von den Fehlern und Unvollkommenheiten seiner einzelnen Vertreter.
So glaubte ich annehmen zu dürfen, dass die scharfe Kritik, die Ew. Exzellenz an verschiedenen Vertretern des Positivismus geübt haben, besonders an Avenarius, nicht ausschliesse die Anerkennung desjenigen, was etwa doch noch von Wertvollem im Positivismus enthalten sein dürfte.
Ich komme zu einem anderen Punkte. Da zwischen einigen schroffen Vertretern des Kantianismus einerseits und den Psychologen andererseits starke Differenzen[3] bestehen, so glaubte ich, um über meine eigene[b] Stellung in dieser Hinsicht keinen Zweifel aufkommen zu lassen, darauf hinweisen zu dürfen, dass ich selbst ein Linkskantianer | sei im Sinne von F. A. Lange[4], also Vertreter einer Richtung, die der Psychologie ihr volles Recht zugesteht.
Damit wollte ich durchaus nicht ausdrücken, dass ich das Recht hätte, nun auch Ew. Exzellenz für den Linkskantianismus in Anspruch nehmen zu dürfen. Ebensowenig setze ich voraus, dass die Mitarbeiter an den neuen „Annalen der Philosophie“ Linkskantianer sein müssten.
Ich schliesse mit dem dritten Punkte. Wir, d. h. die Redaktion der neuen Zeitschrift hat[c] natürlich sofort den Wunsch von Ew. Exzellenz erfüllt, Ihren Namen aus dem Programm der Zeitschrift wegzulassen.
In aufrichtiger Verehrung Ew. Exzellenz ganz ergebenster
vaihinger.[d]
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑jüngsten Schrift ] vgl. Wundt: Die Nationen und ihre Philosophie. Ein Kapitel zum Weltkrieg. Leipzig: Kröner 1918. Ein Exemplar befand sich in Vaihingers, 1923 nach Japan weiterverkauften Privatbibliothek: https://chssl.lib.hit-u.ac.jp/images/2020/02/Catalog_Hitotsubashi_Soda.pdf (24.9.2024).4↑im Sinne von F. A. Lange ] zum Bekenntnis Vaihingers zu Friedrich Albert Lange vgl. Vaihinger: Wie die Philosophie des Als Ob entstand. In: Die Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen Bd. 2. Hg. v. Raymund Schmidt. Leipzig: Meiner 1921, S. 174–203.▲