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- TitleHeinrich Rickert an Vaihinger, Heidelberg, 9.7.1917, 4 S., Ts. mit eU, vereinzelte hs. Korrekturen mit schwarzer Tinte, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXIII, 3 l, Nr. 18
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXIII, 3 l, Nr. 18
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Heinrich Rickert an Vaihinger, Heidelberg, 9.7.1917, 4 S., Ts. mit eU, vereinzelte hs. Korrekturen mit schwarzer Tinte, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXIII, 3 l, Nr. 18
Heidelberg, den 9. Juli 1917.
Scheffelstraße No. 4.
Sehr geehrter Herr College!
Ich danke Ihnen bestens für Ihre Briefe vom 26. und 27. Juni[1] und für die Beilagen[2], die ich zurück schicke.[a]
Zunächst ein Nebenpunkt. Ihre Mitteilung, daß Bauch 1912 mich nicht in den Redaktionsausschuß der Kant-Studien aufnehmen wollte, war mir nur in einer Hinsicht von Wichtigkeit, nämlich wegen der Angabe,[b] Bauch habe als Student eine unveränderte Annahme seiner Dissertation bei mir erst dadurch erreicht, daß er mir drohte,[c] er würde sonst an einer anderen Universität promovieren![d] Daran ist selbstverständlich kein wahres Wort, und Jeder, der mich kennt, weiß das. Ich mußte Bauch hiervon Mitteilung machen, da Sie dies auch einem Dritten erzählt haben. Bauch bestreitet nun auf das Entschiedenste, je von einer „Drohung“ gesprochen zu haben, und erkennt die Richtigkeit Ihrer Darstellung auch in andern Punkten nicht an. Doch hat das für mich weiter keine Bedeutung. Ich wollte Sie nur bitten, jedem, dem Sie von dieser Sache erzählt haben, zu sagen, daß auch nach Bauchs Erklärung von einer Drohung nie die Rede war.
Im Uebrigen kann ich Bauch nur zustimmen, wenn er schreibt, meine Aufnahme in den Redaktionsausschuß sei ihm bedenklich gewesen, da schon Windelbands Name auf dem Titelblatt stand, und der Anschein eines Ueberwiegens der „südwestdeutschen Richtung“ zu vermeiden war. Auch ich hätte, abgesehen von andern Gründen, Ihren Vorschlag deswegen nicht angenommen. Ich lege überhaupt keinen Wert darauf, auf dem Titel einer Zeitschrift zu stehen, an der ich nicht wirklich dauernd mitarbeite. Schon vor einigen Jahren mußte ich die Ab|sicht einer anderen Zeitschrift[3], meinen Namen auf ihr Titelblatt zu setzen, dankend ablehnen, und ich bitte aus demselben Grunde auch Sie, es mir nicht übel zu nehmen, wenn ich nicht drauf eingehen kann, in Ihren Redaktionsausschuß einzutreten. Es fehlt mir an Zeit, mich um die Redaktion der Kant-Studien zu kümmern, und eine bloße Namensnennung auf dem Titelblatt, wie sie vielfach üblich ist, hat nicht meine Sympathie.
Was die Angelegenheit Bauchs betrifft, so will ich mein definitives Urteil so lange zurückhalten, bis Ihre in Aussicht gestellte ausführliche Darstellung vorliegt. Vorläufig haben Ihre Briefe, offen gestanden, meine Meinung nicht wesentlich ändern können, ja nur bestätigt, daß Bauchs Erklärung im Panther in dem mir[e] wesentlichen Punkte zutreffend ist.[f] Nach Ihrem Brief an Bauch vom 6. November 1916[4] blieb Bauch in der Tat nichts anderes übrig, als zurückzutreten, denn er konnte sich weder „aus Gesundheitsrücksichten“ beurlauben lassen noch eine „Ehrenerklärung“ für Cohen abgeben. Diesen erzwungenen Rücktritt Bauchs aber halte ich nach wie vor für sehr bedauerlich und sachlich nicht notwendig. Es liegt mir fern, zu bestreiten, daß Bauch Fehler gemacht hat. Seine Rezension über Wahle[5], die ich bisher nicht kannte, mißfällt mir entschieden, und auch seinen Pantherbrief finde ich wenig glücklich.[g] Aber beides war doch nicht so[h] schlimm, daß er deswegen zurücktreten mußte. Sie legen besonderen Wert darauf, daß Bauch die allgemeine These[i] aufgestellt habe, alle Juden seien durch Ihre Abstammung verhindert, Kant zu verstehen. Ich gebe zu, daß Bauchs Brief vieldeutig ist. Man kann einige Worte so interpretieren, daß diese These sich daraus als Consequenz ergibt. Der allgemeine Satz selbst steht aber nicht ausdrücklich in Bauchs Panther-Brief. Ja man kann geradezu sagen, Bauch wende sich darin gegen[j] Frau Ripke, welche diese These vertritt. Jedenfalls hat Bauch das, was ihn unmöglich gemacht haben soll, nicht sagen wollen[k]. Er ist | kein „Antisemit“, und es wäre alles gut zu machen gewesen, wenn Bauch, ohne Cohen zu nennen, kurz erklärt hätte, es läge ein Mißverständnis vor, und er sei von der Aufstellung eines allgemeinen Satzes weit entfernt.[l] Dann hätte er Redakteur der Kant-Studien bleiben können, und kein verständiger Jude wäre nach einer solchen Erklärung verhindert gewesen, an der Zeitschrift mitzuarbeiten.[m] Vereinzelte Uebereilungen[n] waren kein genügender sachlicher Grund, Bauch aus einer Stellung zu entfernen, in der er sich durch eine lange Reihe von Jahren bewährt hatte[o]. Das ist der für mich entscheidende Punkt.
Sie werden vielleicht sagen, dies sei ein[p] billiger „Treppenwitz“, und ich will gerne zugeben, daß auch ich eventuell nicht gleich den richtigen Weg gefunden hätte. Aber das ändert nichts daran, daß Bauch sachlich Unrecht geschehen ist.[q] Sein Pantherbrief brauchte ihn nicht „unmöglich“ zu machen und hätte das wohl auch ohne den Austritt von Cohen und Cassirer aus der Kantgesellschaft nicht getan.[r] In dieser Austrittserklärung vermag ich nur das Zeichen einer übertriebenen Empfindlichkeit zu sehen. Bauch mag mit seinem Pantherbrief noch so sehr sachlich im Unrecht sein, so war er doch persönlich nicht beleidigend, und es lag kein Grund vor, die Angelegenheit so auf die Spitze zu treiben.[s] Entschuldigen Sie, wenn ich rückhaltlos meine Meinung sage. Ihre Briefe und die Beilagen, für die ich sehr dankbar bin, hatten doch den Zweck, mich zu überzeugen. Ich fühle mich daher verpflichtet, Ihnen zu sagen, wie ich die Sache ansehe.
Um jedem Mißverständnis vorzubeugen, möchte ich noch einmal hervorheben, daß ich Bauchs Pantherbrief in keiner Weise billige. Das habe ich ihm selbst mit Nachdruck gesagt. Es handelt sich für mich allein[t] darum, ob es gerechtfertigt war,[u] Bauch nur noch die drei Möglichkeiten zu lassen, die Sie ihm vorgeschlagen haben, und ihn damit zum Rücktritt zu zwingen. Ich bedaure das umsomehr, als es jetzt fast unmöglich geworden ist, Bauchs Ausführungen sachlich[v] zu bekämpfen. | Grade das hätte aber geschehen sollen, und es wäre leicht gewesen, zu zeigen, einen wie unhaltbaren, ja in sich widerspruchsvollen Standpunkt Bauchs Pantherbrief vertritt.[w] Eine solche sachliche Diskussion hätte auch während des Krieges geführt werden können.[x] Jetzt aber, da Bauch aus einer Stellung entfernt worden ist, in der er sich durch lange Jahre hindurch unbezweifelbare Verdienste erworben hat, fehlt mir jede Lust, ihn sachlich zu bekämpfen, und ich denke, Andern wird es ebenso gehen.
Ich will, wie gesagt, Ihre Darstellung abwarten, aber vorläufig muß der Schein entstehen, daß Bauch einer übertriebenen Empfindlichkeit[y] von jüdischer Seite, wie sie leider öfter zu Tage tritt, zum Opfer gefallen ist. Das hätte, besonders während des Krieges und grade im Interesse der Juden sorgfältig vermieden werden sollen. Das hat mir und manchem Andern die Freude an den Kant-Studien und an der Kant-Gesellschaft gründlich verleidet.
Selbstverständlich ist das, was ich Ihnen sage, nur für Sie privatim bestimmt, und ich bitte Sie, keinen weiteren Gebrauch davon zu machen. Nicht deswegen, weil ich mich scheue, das auch öffentlich zu sagen, sondern weil die Zeit zum Austrag solcher Meinungsverschiedenheiten in der Oeffentlichkeit nicht geeignet ist. Wenn wir wieder Frieden haben, werde ich mich eventuell[z] auch öffentlich äußern. Grade weil Niemand bei mir antisemitische Gesinnungen vermuten kann, fühle ich die Pflicht, für Bauch einzutreten. Vorläufig möchte ich schweigen, und ich darf das um so eher, als der Rücktritt Bauchs sich auf keinen Fall wieder ungeschehen machen läßt, mein Schweigen also an der Sache nichts ändert.
Mit kollegialem Gruß Ihr ergebener
Rickert.
Kommentar zum Textbefund
y↑Schein entstehen … übertriebenen Empfindlichkeit ] jeweils mit Bleistift unterstrichen, am linken Rd.: !Kommentar der Herausgeber
1↑Briefe vom 26. und 27. Juni ] nicht überliefert; im Zusammenhang der Affäre um Bruno Bauch 1916/1917.2↑Beilagen ] die Dokumente, die Rickert vorgelegen haben, könnten u. a. Manuskript- bzw. Typoskriptfassungen des Gegenartikels von Cassirer gewesen sein (vgl. Kommentar zu Cassirer an Vaihinger vom 8.4.1917). Aus zeitgleichen Briefwechseln weiterer Beteiligter ist ungefähr ersichtlich, welche Dokumente außerdem im Umlauf waren, vgl. Vaihinger an Gottfried Meyer vom 17.11.1916, Ernst Hoffmann an Ernst Cassirer vom 20.8.1916 (in: Ernst Cassirer Nachgelassene Manuskripte und Texte Bd. 18 (ECN 18). Ausgewählter wissenschaftlicher Briefwechsel. Hamburg: Meiner 2009, S. 22–23), Cassirer an Paul Natorp vom 26.11.1916 und vom 1.1.1917 (ECN 18, S. 29–31) sowie Cassirer an Rudolf Eucken vom 25.11.1916 (https://agora.sub.uni-hamburg.de/subcass/digbib/view?did=c1:7143&sdid=c1:7144 (20.9.2024)): Es ist jedoch heut noch ein anderer Anlass, der mich berechtigt und aufmuntert, mich unmittelbar an Sie zu wenden. Von Herrn Geheimrat Vaihinger erhalte ich soeben den Brief, den Sie an ihn gerichtet [vgl. Eucken an Vaihinger vom 20.11.1916] und in welchem Sie ihm den Vorschlag machen, eine Verständigung zwischen Professor Bauch und mir herbeizuführen. Ich möchte Ihnen hierauf sogleich selbst erwidern […]. Auch wäre ich, wenn es möglich wäre, eine Verständigung zwischen Bauch und mir herbeizuführen, dieser gewiss nicht abgeneigt; | wie aber diese Möglichkeit bestehen soll, wenn Bauch – wie er gleichzeitig in einer Postkarte an Geheimrat Vaihinger schreibt – „entschieden auf dem Standpunkt seiner Sache bleibt“ [nicht überliefert], ist mir völlig unerfindlich. Denn lediglich um diesen „Standpunkt seiner Sache“ hat es sich mir in der Abwehr seines Panther-Aufsatzes gehandelt. Ich kann, wenn ich nicht allzu ausführlich werden will, hier die ganze Vorgeschichte meines Streitfalls mit Bauch nicht entwickeln, da mir jedoch andererseits unbedingt daran gelegen sein muss, von Ihnen, sehr geehrter Herr Geheimrat, in meinen Motiven nicht verkannt zu werden, so sehe ich keinen anderen Ausweg, als Ihnen das Manuskript des Aufsatzes einzusenden, den ich gegen Bauch gerichtet habe. Hier habe ich all das ausgesprochen, | was mich nach meiner Auffassung der Sache zum eingreifen zwang. Sie werden hieraus zugleich entnehmen, daß es sich mir keineswegs um die Abwehr eines Angriffs handelte, den ich persönlich gegen mich gerichtet glaubte […] sondern einzig und allein um die Abweisung einer Verquickung wissenschaftlicher und geistiger Fragen mit Rassenfragen, die ich an sich selbst für gefährlich und irreführend ansehe. […] hier handelte es sich nicht um die Erregung über einen Vorwurf, | den ich irgend auf meine eigene Person bezog, sondern über den Versuch, mir den Grund und Boden zu bestreiten, auf dem ich im geistigen Sinne stehe und von dem ich mich nicht abdrängen lasse. In dieser Frage giebt es somit für mich kein Paktieren. In dem Augenblick, in dem Bauch seine Stellungnahme ändern und dies öffentlich erklären würde, entfiele für mich jeder Grund, ihm entgegenzutreten; solange er dies indes nicht thut und so lange er sogar den Streitpunkt so verkennt, daß er glaubt, es handle sich hier um einen Austrag persönlicher Gegensätze, sehe ich keine Brücke und keine mögliche Gemeinschaft zwischen seiner und meiner Anschauung. | […] Ich wäre Ihnen zu grossem Danke verbunden, wenn Sie diesen Brief auch Herrn Geheimrat Vaihinger mitteilen würden, dem ich heute nur kurz schreibe [Schreiben nicht überliefert], um ihm zu sagen, daß ich mich unmittelbar mit Ihnen in Verbindung gesetzt habe. Noch | muss ich mit einem Worte den schlechten Zustand des Manuskripts, das ich Ihnen einsende, entschuldigen: er ist dadurch verschuldet, daß ich mich, nachdem es fertiggestellt war, auf Anraten von Dr. Liebert noch zu wesentlichen Änderungen in Form und Ausdruck entschlossen habe. – Cassirer an Natorp vom 26.11.1916 (ECN 18, S. 29): Im Übrigen hat Eucken in einem Brief, den er an Vaihinger gerichtet und den dieser mir übersandt hat, gestern den Vorschlag gemacht, zwischen Bauch und mir eine „Verständigung“ anzubahnen: jede Seite solle einen Vertreter stellen u. zwischen beiden solle zunächst eine persönliche Aussprache in Halle stattfinden. Gleichzeitig teilte mir Vaihinger den Text eines Briefes von Bauch mit, in dem dieser dem Eucken’schen Vorschlag zustimmt, aber erklärt, daß er „entschieden auf dem Standpunkt seiner Sache“ bleibe. Ich musste darauf erwidern, daß für mich, der ich es keineswegs mit der Person Bauchs, sondern nur mit den sachlichen Ansichten, die er geäussert, zu thun habe, jede Verständigung davon abhängig ist, ob er bei diesen Äusserungen beharrt. Thut er dies nicht mehr, so entfällt für mich jeder Grund zur Beschwerde; thut er es, so können mir irgendwelche persönliche Erklärungen, die er etwa zu Cohens oder meinen Gunsten abzugeben denkt, nicht das Geringste an meiner Auffassung von seinem Vorgehen ändern. Ich habe dies an Eucken geschrieben und hoffe auch hierin auf Ihre Zustimmung.3↑einer anderen Zeitschrift ] nicht ermittelt; Rickerts Name findet seit 1910 sich auf dem Titelblatt der Zeitschrift LOGOS.4↑Brief an Bauch vom 6. November 1916 ] vgl. die Beilage zu Vaihinger an Gottfried Meyer vom 17.11.1916.5↑Rezension über Wahle ] vgl. den Verriss: Bruno Bauch: Wahle, Richard, o. ö. Professor an der Universität Czernowitz. Die Tragikomödie der Weisheit. Die Ergebnisse und die Geschichte des Philosophierens. Ein Lesebuch. Wien und Leipzig 1915. Verlag von Wilh. Braumüller. (VII. u. 415 S.). In: Kant-Studien 21 ([1916]/1917), S. 334–335.▲