Bibliographic Metadata
- TitleHeinrich Rickert an Vaihinger, Heidelberg, 26.5.1917, 2 S., Ts. mit eU, hs. Korrekturen und hs. Zusatz mit schwarzer Tinte, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXIII, 3 l, Nr. 17
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXIII, 3 l, Nr. 17
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Heinrich Rickert an Vaihinger, Heidelberg, 26.5.1917, 2 S., Ts. mit eU, hs. Korrekturen und hs. Zusatz mit schwarzer Tinte, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXIII, 3 l, Nr. 17
Heidelberg, den 26. Mai 1917.
Scheffelstraße[a] No. 4.
Sehr geehrter Herr College!
Ich danke Ihnen bestens für Ihren Brief vom 23.[1] Bitte schließen Sie daraus, daß ich sogleich antworte, nicht,[b] daß ich Sie zu einem neuen Brief veranlassen will. Ich habe mit lebhafter Teilnahme gehört, daß Sie durch körperliche Beschwerden im schreiben[c] gehindert sind,[d] und will gerne geduldig warten,[e] bis ich, wie alle andern, die in Aussicht gestellte Aufklärung erhalte. Die Sache hat ja gar keine Eile,[f] da ich, solange wir Krieg haben, entschlossen bin,[g] nichts zu unternehmen. Nur eins[h] möchte ich gleich sagen,[i] und deshalb schreibe ich schon heute. Bauch hat nicht mit einem Worte[j] mir gegenüber darauf hingedeutet, daß die Rücksicht auf jüdisches Kapital und die Angst[2], es zu verlieren,[k] bei seiner Verdrängung aus der Redaktion der Kant-Studien irgend eine Rolle gespielt habe. Ich fand im Gegenteil jeden Satz, den er mir darüber schrieb, in höchstem[l] Maße loyal[m], so daß Sie dagegen gewiss nichts hätten einwenden können. Er schrieb mir sogar, das ja seine Darstellung vielleicht einseitig sein könne,[n] und riet mir ausdrücklich,[o] mich doch an Sie[p], geehrter Herr College, zu wenden, falls ich auch die andere Seite hören wolle. Ich hielt das zuerst für überflüssig, weil mir der Brief im „Panther“[q] eine vollkommen genügende Erklärung gab,[r] und ich möchte für heute nur noch sagen, daß auch Ihr Brief mir keine Tatsachen mitgeteilt hat, die mir die ganze Angelegenheit in einem anderen Lichte erscheinen lassen als bisher. Ich habe den ersten Brief von Frau Ripke, der ja die Veranlassung für alles Folgende geworden ist, wegen der antisemitische[s] Aeußerungen auf das lebhafteste | bedauert[t], um so mehr als ich fand, daß das sachlich Richtige darin durch die Hereinziehung der Judenfrage nur verdunkelt wurde. Ebenso kann ich Bauch in seinen Bemerkungen über die Juden im Allgemeinen[u] durchaus nicht[v] zustimmen. Sie wissen vielleicht, daß mehrere meiner besten Freunde der Abstammung nach Juden sind,[w] und daß ich beim Tode von Lask und Münsterberg mich auch öffentlich über diese Männer in einer Weise geäußert habe, die jeden Verdacht einer grundsätzlich antisemitischen Gesinnung von mir fernhalten muß. Ich habe auch Bauch aus meiner abweichenden Ansicht kein Geheimnis gemacht. Andererseits aber vermag ich nach wie vor nicht einzusehen, daß[x] Bauch durch seine durchaus maßvollen und persönlich[y] nicht verletzenden Aeußerungen sich irgendwie unwürdig gemacht hätte,[z] weiter die Redaktion der Kant-Studien zu führen, um die er sich doch durch eine lange Reihe von Jahren recht große Verdienste erworben hat. Ich will gerne zugeben, daß manche Leute durch seine Worte sehr unangenehm[aa] berührt sein können, aber ebenso gewiß gilt, daß auch Cohen über Judentum und Christentum wiederholt sich in einer Weise geäußert hat, die einen gläubigen Christen schwer verletzten konnte, und trotzdem wäre doch wohl Niemand auf den Gedanken gekommen, daß Cohen nun nicht mehr würdig sei,[ab] mit seinem Namen auf dem Titelblatt der Kant-Studien zu stehen. Ich kann daher nur[ac] von Neuem meinem Erstaunen darüber Ausdruck geben, daß Bauch für Aeußerungen, die er als Privatmann in einer andern Zeitschrift getan hat, aus den Kant-Studien gedrängt worden ist, und ich weiß, daß dieses Erstaunen von Vielen geteilt wird, ja heftigen Unwillen auch bei Männern hervorgerufen hat, deren Urteil Ihnen gewiß nicht gleichgültig sein würde. Ich fürchte daher, daß diese ganze Sache schließlich den Kant-Studien viel mehr schaden wird als Bauch, wenn nicht eine Aufklärung erfolgt, welche die Entlassung Bauchs als unvermeidlich[ad] rechtfertigt. Freude haben bisher nur die Antisemiten daran gehabt, denn sie[ae] nicht etwa ich oder Bauch[af] weisen triumphierend auf den „verderblichen Einfluß des jüdischen Geldes“[ag] hin.
Mit kollegialem Gruß ergebenst
Rickert.
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
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