Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Paul Natorp, Halle, 23.11.1916, 2 S., Ts. mit eU, Briefkopf (Stempel) Kantgesellschaft | Univ.-Prof. Dr. Vaihinger | Halle a. S. | Reichardtstrasse 15., Universitätsbibliothek Marburg, Ms. 831/1170
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- Physical LocationUniversitätsbibliothek Marburg, Ms. 831/1170
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Vaihinger an Paul Natorp, Halle, 23.11.1916, 2 S., Ts. mit eU, Briefkopf (Stempel) Kantgesellschaft | Univ.-Prof. Dr. Vaihinger | Halle a. S. | Reichardtstrasse 15., Universitätsbibliothek Marburg, Ms. 831/1170
Halle, den 23. Nov[ember] 1916.
Herrn Professor Dr. Paul Natorp, Marburg.
Verehrtester Herr Kollege!
Mit Ihrem Briefe vom 20.[1] d[es] M[onat]s bin ich Wort für Wort einverstanden.
Nur ein Wort ist nicht richtig: Professor Bauch ist nicht „Geschäftsführer“ der Kantgesellschaft, sondern das bin ich und stellv[ertretender] Geschäftsführer ist Doktor Liebert. Bauch ist aber Mitglied des Verwaltungsausschusses der K[ant] G[esellschaft]. Sie gestatten mir daher, dass ich in den Abschriften[2], die ich von Ihrem Briefe machen lasse, das erstere Wort durch das Wort „Ausschussmitglied“ ersetze.
Ebenso gestatten Sie mir wohl auch, dass ich Abschriften Ihres Briefes Anderen mitteile, zunächst Herrn Professor Bauch selbst, dann vor allem dem Vorstand der Kantgesellschaft Herrn Kurator Geh[eimen] Oberreg[ierungs] Rat Dr. Meyer, hier. Ich darf wohl annehmen, dass wenn Sie mir nicht das Gegenteil schreiben, ich diesen Gebrauch von Ihrem Briefe machen darf.
Ihr Brief sagt genau alles das, was ich selbst völlig für richtig halte und was ich auch Herrn Professor Bauch selbst schon gesagt habe[3].
Herr Kollege Bauch hat, um der drohenden Spaltung in der K[ant] G[esellschaft] vorzubeugen, die Redaktion der K[ant] St[udien] derart niedergelegt, dass er nur noch das nächste Heft redigiert, und so den Jahrgang zu Ende bringt, und dann mit Schluss des Jahres von der Redaktion zurücktritt. Ersatz für ihn[4] ist schon besorgt.
So bedauerlich der Rücktritt von Bauch von der Redaktion ist, die er mit Lust und Liebe seit 13 Jahren erfolgreich geführt hat, so war dieser Rücktritt doch nicht zu vermeiden, da Herr Professor Bauch „in der Sache selbst entschieden“[5] auf seinem Standpunkt verharrt.
Übrigens ist der Artikel in den K. St. noch nicht das schlimmste: schlimmer ist noch der in der Zeitschrift „Panther“ (Juniheft) veröffentlichte Brief von Professor Bauch an Frau Dr. phil. Leonore Ripke-Kühn, in welchem er den Juden als Mitgliedern einer fremden Rasse und als „Gästen“ das volle Verständnis Kants und insbesondere seiner Ethik entschieden abspricht, mit besonderer ausführlicher Exemplification[a] auf Cohen. Bitte verschaffen Sie sich das betreffende Heft: vielleicht ist die Zeitschrift auf der Marburger Bibliothek oder vielleicht ist sie auch in einer Buchhandlung einzusehen.
Ich benutze diese Gelegenheit, um Ihrem Philosophischen Seminar | eine kleine Schrift von mir[6] zu übersenden, die vielleicht manchem von Interesse sein mag.
Sollte das Philosophische Seminar meine „Philosophie des Als Ob“ noch nicht besitzen, so bin ich gerne bereit, demselben ein gebundenes Exemplar zu übersenden.
Von Ihrem Kollegen Jaensch[b][7] erhielt ich vor etwa neun Monaten einen Brief aus Baden-Baden[8], wo er sich als Rekonvalescent befand. Hoffentlich ist er wieder hergestellt.
In aufrichtiger Verehrung Ihr ergebener
Vaihinger
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑Abschriften ] Exemplare nicht ermittelt, vgl. Vaihinger an Gottfried Meyer vom 21.11.1916 (1). Die Abschrift, die Cassirer erhielt, stammt sicher von Natorp selbst bzw. wurde von ihm veranlasst (vgl. Cassirer an Natorp vom 26.11.1916 in Holzhey: Cohen und Natorp Bd. 2, S. 462 sowie in: Ernst Cassirer Nachgelassene Manuskripte und Texte Bd. 18, S. 28).3↑selbst schon gesagt habe ] vgl. Vaihinger an Bauch vom 6.11.1916 (Beilage zu Vaihinger an Gottfried Meyer vom 17.11.1916).4↑Ersatz für ihn ] mit Jg. 1917/1918 traten Max Frischeisen-Köhler und Arthur Liebert in die Redaktion ein.5↑„in der Sache selbst entschieden“ ] vgl. Ernst Cassirer an Rudolf Eucken vom 25.11.1916 (https://agora.sub.uni-hamburg.de/subcass/digbib/view?did=c1:7143&sdid=c1:7144 (19.9.2024)): Es ist jedoch heute noch ein anderer Anlass, der mich berechtigt und aufmuntert, mich unmittelbar an Sie zu wenden. Von Herrn Geheimrat Vaihinger erhalte ich soeben den Brief, den Sie an ihn gerichtet [vgl. Eucken an Vaihinger vom 20.11.1916] und in welchem Sie ihm den Vorschlag machen, eine Verständigung zwischen Professor Bauch und mir herbeizuführen. Ich möchte Ihnen hierauf sogleich selbst erwidern – schon um Ihnen zu sagen, wie sehr ich Ihnen für die freundliche Absicht, von der Sie geleitet sind, zu Danke verbunden bin. Auch wäre ich, wenn es möglich wäre, eine Verständigung zwischen Bauch und mir herbeizuführen, dieser gewiss nicht abgeneigt; wie aber diese Möglichkeit bestehen soll, wenn Bauch – wie er gleichzeitig in einer Postkarte an Geheimrat Vaihinger schreibt [nicht überliefert] – „entschieden auf dem Standpunkt seiner Sache bleibt“, ist mir völlig unerfindlich. Denn lediglich um diesen „Standpunkt seiner Sache“ hat es sich mir in der Abwehr seines Panther-Aufsatzes gehandelt. […] Ich wäre Ihnen zu grossem Dank verbunden, wenn Sie diesen Brief auch Herrn Geheimrat Vaihinger mitteilen würden, dem ich heute nur kurz schreibe [nicht überliefert], um ihm zu sagen, daß ich mich unmittelbar mit Ihnen in Verbindung gesetzt habe; sowie Cassirer an Natorp vom 26.11.1916 in: Ernst Cassirer Nachgelassene Manuskripte und Texte Bd. 18, S. 29: Im Übrigen hat Eucken in einem Brief, den er an Vaihinger gerichtet und den dieser mir übersandt hat, gestern den Vorschlag gemacht, zwischen Bauch und mir eine „Verständigung“ anzubahnen: jede Seite solle einen Vertreter stellen u. zwischen beiden solle zunächst eine persönliche Aussprache in Halle stattfinden. Gleichzeitig teilte mir Vaihinger [Schreiben nicht überliefert, vgl. Cassirer an Vaihinger vom 8.4.1917] den Text eines Briefes von Bauch mit, in dem dieser dem Eucken’schen Vorschlag zustimmt, aber erklärt, daß er „entschieden auf dem Standpunkt seiner Sache“ bleibe. Ich musste darauf erwidern, daß für mich, der ich es keineswegs mit der Person Bauchs, sondern nur mit den sachlichen Ansichten, die er geäussert, zu thun habe, jede Verständigung davon abhängig ist, ob er bei diesen Äusserungen beharrt. Ein Gegenartikel Cassirers zu Bauchs Aufsatz blieb unveröffentlicht (abgedruckt in Ernst Cassirer Nachgelassene Manuskripte und Texte Bd. 9).6↑kleine Schrift von mir ] d. i. vermutlich Vaihinger: Die Philosophie des Als Ob und das Kantische System gegenüber einem Erneuerer des Atheismusstreites. In: Kant-Studien 21 ([1916]/1917), S. 1–25. – Dass. in: Vaihinger (Hg.), mit Bruno Bauch: Kant-Studien Bd. XXI. Heft 1. Fest-Heft zu Rudolf Euckens 70. Geburtstag. Redaktionsschluss am 15. Dezember 1915. Ausgegeben am 5. Januar 1916. Berlin: Reuther & Reichard 1916, S. 1–25. – Sonderdruck u. d. T.: Der Atheismusstreit gegen die Philosophie des Als Ob und das Kantische System. Berlin: Reuther & Reichard 1916. 32 S.7↑Kollegen Jaensch ] Erich Jaensch (1883–1940), Psychologe, 1913 Nachfolger Cohens in Marburg (BEdPh).▲