Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Julius Bab, Friedrichroda, 21.10.1916, 4 S., hs. (andere Hd., mit eU), Briefkopf (Stempel) Univ.-Prof. Dr. Vaihinger | Halle a. S. | Reichardtstrasse 15., Leo Baeck Institute, Julius Bab Collection: https://ia600903.us.archive.org/29/items/juliusbabcollect03babj/juliusbabcollect03babj.pdf (S. 379–380)
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- Physical LocationLeo Baeck Institute, Julius Bab Collection
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Vaihinger an Julius Bab, Friedrichroda, 21.10.1916, 4 S., hs. (andere Hd., mit eU), Briefkopf (Stempel) Univ.-Prof. Dr. Vaihinger | Halle a. S. | Reichardtstrasse 15., Leo Baeck Institute, Julius Bab Collection: https://ia600903.us.archive.org/29/items/juliusbabcollect03babj/juliusbabcollect03babj.pdf (S. 379–380)
z. Z. Friedrichroda, Haus Schlüter,
den 21.X.16.
Herrn Schriftsteller Julius Bab, Berlin-Grunewald.
Sehr geehrter Herr!
Ihre vielen Beiträge in der „Gegenwart“[1] (in der ich aber neuerdings Ihren Namen vermisse) habe ich stets m[it] großem Interesse, freilich öfters auch mit Widerspruch meinerseits, gelesen. Stets fesselte mich die Originalität Ihrer Betrachtung, die Unabhängigkeit Ihres Urteils und der geistvolle Stil. Dies war der Grund, weshalb ich glaubte, meine Nietzscheschrift einem Manne, wie Sie, übersenden zu sollen[2], als Zeichen dankbarer Anerkennung mannigfacher Anregung.
Durch die gütige Übersendung Ihres Nietzsche-Artikels[3] in „der Hilfe“ vom 31. Dez[ember] 1914 haben Sie mich ebenso sehr erfreut, wie überrascht. Überrascht, weil ich zu meiner Freude aus dem mir bis jetzt leider unbekannt gebliebenen Artikel ersehe, daß Ihre Auffassung sich mit der meinigen so überaus nahe berührt. | Hätte ich Ihren schönen Artikel gekannt, so hätte ich in einem Vorwort auf ihn hingewiesen.
Sie sagen in Ihrem Essay so Vieles, was mir aus der Seele gesprochen ist, was ich aber in dem Zusammenhang meiner eigenen Ausführungen nicht sagen konnte: auch hätte ich schwerlich dafür den schönen Ausdruck gefunden, den Sie diesen Gedanken gegeben haben.
Vielleicht darf ich hier speziell darauf hinweisen, daß ich über 2 Punkte, welche Sie auch besonders hervorgehoben haben, Spezialuntersuchungen von Schülern von mir zu der Zeit habe anstellen lassen, als mein Augenleiden noch nicht so wie jetzt vorangeschritten war: das Problem des Tragischen bei Nietzsche und die Überwindung des Schopenhauer’schen Pessimismus durch ihn, worüber Sie das Nähere auf S. 79 meiner Schrift finden.
Sie sprechen einmal in Ihrer Abhandlung über den Ihrer Ansicht nach geringen Einfluß Darwins auf Nietzsche. Man kann zu dieser Ansicht kommen, wenn man gewisse Stellen von ihm über Darwin ins Auge faßt, in denen N[ietzsche] über diesen und seine Lehre loszieht. Diese Negation erklärt | sich[a] aus der Antipathie von N[ietzsche] gegen gewisse Oberflächlichkeiten, die sich damals an Darwin anschlossen, so besonders bei Strauss. Aber man kann, sowohl indirekt als direkt nachweisen, daß N[ietzsche] vieles aus Darwin entnahm. So hörte ich noch neustens, daß Romundt[4], jetzt in Dresden, früher in Basel und dort mit Nietzsche noch befreundet, erzählt, N[ietzsche] habe damals oft geäußert: „mit Darwin läßt sich etwas machen.“[5] Was ihn an Darwin anzog, war dessen Lehre vom Kampf ums Dasein, wie ich das in meiner Schrift näher ausgeführt habe.
Am Schluß derselben habe ich auch auf meine „Philosophie des Als Ob“ hinweisen können. Aus Ihren mir bekannt gewordenen Essays und Schriften möchte ich annehmen, daß Sie für dieses Buch und seine Ideen Interesse haben möchten. In der Poesie kommt gerade das „Als Ob“ zur deutlichsten Ausprägung. Ich habe in der „Phil[osophie] des Als Ob“ (welche mit gewissen Lehren v[on] Nietzsche parallel geht, ohne von ihm abhängig zu sein) das Als Ob in den verschiedensten Gebieten der Wissenschaft u. besonders in der Philosophie dargestellt. Das „Als Ob“ | spielt aber in der Poesie u. bes[onders] im Drama, speziell im gespielten Drama, d. h. im Theater, eine nicht minder große Rolle, ja sogar natürlich eine viel anschaulichere. So haben denn auch Dramaturgen[6], wie z. B. Martersteig und Karl Wollf (jetzt in Dresden) in der „Philosophie des Als Ob“ die wissenschaftliche Grundlegung ihrer dramaturgischen Theorien gefunden.[b]
Freilich ist die Durcharbeitung eines Werkes von 800 Seiten eine starke Zumutung. Sollten Sie aber jetzt oder später einmal Lust und Zeit dazu haben, so würde ich dann um Nachricht bitten: ich würde mir eine Freude daraus machen, Ihnen das Werk zu übersenden, da ich glauben möchte, daß Sie demselben besonderes Verständnis entgegen bringen.
Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebener
Vaihinger[c]
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Beiträge in der „Gegenwart“ ] Bab war regelmäßiger Beiträger der Zeitschrift: Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben.4↑Romundt ] Heinrich Romundt (1845–1919; https://www.e-manuscripta.ch/name/view/2588806 (19.9.2024)).▲