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- TitleElisabeth Förster-Nietzsche an Vaihinger, Weimar, 6.7.1915, 5 S., hs. (andere Hd., mit eU), quadriertes Papier, Briefkopf NIETZSCHE-ARCHIV. | WEIMAR, DEN …, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 8 n, Nr. 5
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 8 n, Nr. 5
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Elisabeth Förster-Nietzsche an Vaihinger, Weimar, 6.7.1915, 5 S., hs. (andere Hd., mit eU), quadriertes Papier, Briefkopf NIETZSCHE-ARCHIV. | WEIMAR, DEN …, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 8 n, Nr. 5
diktiert.
6. Juli 1915.
Verehrter Herr Geheimrat!
Alles was Sie mir schreiben[1], ist mir von höchstem Wert, und ich bin sicher, daß alles was getan werden kann, von Ihrer Seite geschieht, wofür ich Ihnen von Herzen dankbar bin. Ich füge die gewünschte, offizielle, briefliche Erklärung[2] bei[a], möchte aber in Hinsicht auf die weiteren Wünsche bemerken, daß ausdrücklich jeder Einspruch der hiesigen Regierung in die Angelegenheiten des Nietzsche-Archivs ausgeschaltet ist. Wenn ich nicht irre hat mir auch Dr. Richard Oehler erzählt, daß Minister Rothe[3] in der vorliegenden Angelegenheit jede Teilnahme abgelehnt hat. Er ist dem Archiv wohlgesinnt und weiß sehr wohl, daß | der Großherzog[4] nichts von Nietzsche versteht und verstehen will. Anders ist es mit Geheimrat Paulsen[5] in Berlin, aber auch er hat früher immer besonders betont, daß das Archiv sich ganz auf eigene Füße stellen muß und wer die Verhältnisse hier kennt, der weiß, daß man jedes unnötige Dreinreden von Seiten der Regierung vermeiden muß. Alle Angelegenheiten des Nietzsche-Archivs hat der Vorstand der Stiftung zu entscheiden, besonders der Vorsitzende, und außerdem ist meine Zustimmung unbedingt notwendig, weshalb in diesem besonderen Fall mein noch nicht[b] beiliegender offizieller Brief sozusagen dokumentarischen Wert hat. Wenn wir drei, Sie, mein Vetter[6] und ich, so völlig in einer Angelegenheit einig sind, so sind es auch die anderen Herren | des Vorstandes, und die Entscheidung haben wir, und niemand kann uns hineinreden. –
Nun aber, mein lieber Herr Geheimrat, muß ich Ihnen etwas rührendes erzählen. Da schickt mir ein Vizewachtmeister aus Galizien ein Buch, das man bei einem gefallenen Russen, auf dem Schlachtfeld in den Karpathen, gefunden hat; sehr gebraucht und nicht mehr schön in Ordnung, und was ergab sich als mir jemand die Titelzeile zu entziffern suchte? Es war eine Übersetzung von Nietzsche’s Philosophie von „Dr. Jan Vaihinger Professor Universytetu w Halle.“ So ist also dieser brave Russe oder Pole, denn ich weiß nicht ganz genau ob die Übersetzung polnisch oder russisch[7] ist, mit Ihrem Buch in den Kampf ge|zogen! Das hat mich sehr bewegt und ich denke auch Ihnen wird es herzbeweglich sein.
Nun[c] muß ich aber noch etwas ganz Vertrauliches erzählen. Ein Jugendbekannter[8] war mit dem ehemaligen Generalsecretair der schwedischen Akademie, die die Nobelpreise vergiebt, Dr. Wirsén[9] zufällig bei einer Friedensbewegung bekannt geworden. Als nun vor fünf, sechs Jahren schon einmal der Plan mit dem Nobelpreis[10] auftauchte u. mir jener Herr davon erzählte, so sagte ich: ich wüßte nichts davon u. das wäre schade denn ich könnte extra versprechen, daß der Preis dem Nietzsche-Archiv zugute kommen würde[d]. Darauf antwortete der Gute: „Ums Himmels willen[e] | mischen[f] Sie sich nicht hinein, Dr. Wirsén hat mir gesagt, daß alle Gesuche, wo der welcher ausgezeichnet werden sollte, sich selbst mit großartigen Versprechungen einmische, ohne weitere Prüfung abgelehnt würden.“ Also mein lieber Herr Geheimrath lassen Sie mich soviel wie möglich aus dem Spiel, ich meine unerwähnt mit meinen Zusicherungen. Schließlich ist ja der Vorstand der Stiftung die Hauptsache, u. allein Derjenige, der über die Zukunft der Stiftung zu entscheiden hat, da ich Ihnen mein Wort gegeben habe Ihre Wünsche zu erfüllen, die auch meine sind.
Dagegen wäre es vielleicht gut, daß von dem beigefügten Büchlein[11] Gebrauch gemacht würde? Aber ich überlasse es ganz u. gar Ihnen wie Sie darüber denken.
In wärmster Dankbarkeit Ihre
Elisabeth Förster-Nietzsche
Kommentar zum Textbefund
a↑bei ] danach Fußnotenzeichen und -text, eigenhändig von Förster-Nietzsche: Nein sie kommt erst morgen, da sie noch besser gefaßt werden kannKommentar der Herausgeber
1↑was Sie mir schreiben ] nicht ermittelt; zum Kontext vgl. Förster-Nietzsche an Vaihinger vom 19.6.1915.6↑mein Vetter ] hier ist wahrscheinlich Richard Oehler gemeint; Förster-Nietzsches beide anderen Cousins Adalbert Oehler und Max Oehler waren ebenfalls für das Nietzsche-Archiv tätig.7↑Übersetzung polnisch oder russisch ] vgl. den Titel der polnischen Übersetzung: Filozofia Nietzschego. Dr. Jan Vaihinger profesor Uniwersytetu w Halle; z drugiego wydania oryginału przełożył z upoważnieniem autora dr. Kazimierz Twardowski prof. Uniwersytetu Lwowskiego. Lwów: nakładem Księgarni H. Altenberga/Warszawa: Księgarnia pod Firmą E. Wende i Spółka 1904. Digitale Reproduktion: http://rcin.org.pl/Content/4739/WA004_2589_T1043_Vaihinger-Filozofia.pdf (3.5.3021). – Die Titel der drei bekannten russischen Übersetzungen lauten in Umschrift aus dem Kyrillischen: Gans Fajginger: Nitcše kak filosof: s portretom Nitcše. Perevel so 2. nemeckago izd. A. A. Malinin. Moskva: Vasil’ev 1902; Nicše kak filosof. Per.: P. Šutjakov. Moskva 1903; Fajginger: Nicše: filosof otricanija. S.-Peterburg: Izdanie Akc. Obšč. Tipogr. Dela 1911; vgl. Stiftung Weimarer Klassik, Herzogin Anna Amalia Bibliothek (Hg.): Weimarer Nietzsche-Bibliographie. Bearbeitet v. Susanne Jung, Frank Simon-Ritz, Clemens Wahle, Erdmann von Wilamowitz-Moellendorff u. Wolfram Wojtecki. Bd. 2: Sekundärliteratur 1867–1998: Allgemeine Grundlagen und Hilfsmittel; Leben und Werk im Allgemeinen; Biographische Einzelheiten. Stuttgart/Weimar: J. B. Metzler 2002, S. 192–193, Nr. 2788.9↑Dr. Wirsén ] Carl David af Wirsén (1842–1912), Schriftsteller, 1884–1912 Sekretär der Schwedischen Akademie (vgl. Svenskt biografiskt handlexikon 1906, http://runeberg.org/sbh/wirsencd.html; 15.7.2022).10↑der Plan mit dem Nobelpreis ] vgl. zum Kontext der Bemühungen, Elisabeth Förster-Nietzsche den Nobelpreis für Literatur zu verschaffen, Vaihinger an Wilhelm Ostwald vom 12.1.1914 sowie Ulrich Sieg: Geist und Gewalt. Deutsche Philosophen zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus. München: Hanser 2013, S. 136–143. – 1921/1922 waren sogar Gedankenspiele im Umlauf, Vaihinger mit dessen Die Philosophie des Als Ob für den Nobelpreis vorzuschlagen (Vaihinger an Richard Oehler vom 22.11.1921, abgedruckt bei Matthias Neuber: Hans Vaihinger und die Stiftung Nietzsche-Archiv. Die Briefe an Richard Oehler. In: Nietzsche-Studien 51 (2022), S. 7), nachdem die 4. Aufl. von Die Philosophie des Als Ob (1920) mit dem 1. der drei von Konsul Christian Lassen in Hamburg gestifteten Preise der literarischen Kommission des Nietzsche-Archivs prämiert wurde, vor Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes (1918/1922) und Hermann Keyserling: Das Reisetagebuch eines Philosophen (1911–1914), vgl. das Vorwort von Raymund Schmidt zur 5. und 6. Aufl. von Die Philosophie des Als Ob vom 6.5.1920.11↑beigefügten Büchlein ] vermutlich eines Exemplars von Förster-Nietzsche: Wagner und Nietzsche zur Zeit ihrer Freundschaft. Erinnerungsgabe zu Friedrich Nietzsches 70. Geburtstag den 15. Oktober 1914. München: Georg Müller 1915.▲