Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Hans Delbrück, Halle, 14.4.1914, 4 S., hs. (andere Hd. mit eU), Briefkopf GEH. REG.-RAT | PROF. DR. H. VAIHINGER. | Halle a. S., d. … 19 | Reichardtstr. 15., Bundesarchiv Koblenz, Teilnachlass Delbrück 2, N 1017/17
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- Physical LocationBundesarchiv Koblenz, Teilnachlass Delbrück 2, N 1017/17
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Vaihinger an Hans Delbrück, Halle, 14.4.1914, 4 S., hs. (andere Hd. mit eU), Briefkopf GEH. REG.-RAT | PROF. DR. H. VAIHINGER. | Halle a. S., d. … 19 | Reichardtstr. 15., Bundesarchiv Koblenz, Teilnachlass Delbrück 2, N 1017/17
14. April 1914
Hoch geehrter Herr Kollege!
Die Korrekturbogen Ihres mir angekündigten Artikels[1] werde ich mir sogleich nachdem ich sie erhalten habe, vorlesen lassen, selbst wenn die Zusendung Ihres Artikels in den Tagen vom 18.–20. erfolgt, an denen ich, wie Sie aus der Beilage[2] ersehen, stark in Anspruch genommen bin. Aber die Sache, die Sie vertreten, ist so wichtig, und so werde ich die Zeit dazu herausschlagen.
Es ist sehr zweckmäßig, wenn Sie eine Massenversendung Ihres Artikels in Aussicht nehmen. Ich bin persönlich sehr gern bereit dazu beizutragen und zeichne dafür vorläufig 25 Mk, die ich Ihnen übersenden werde[3], sobald die stürmischen Kant-Tage vorbei sind.
Eine regelmäßige Sprachecke einzurichten, halte ich für sehr zweckmäßig. Der Sprachverein sendet an eine große Anzahl von Zeitungen regelmäßig derartige Mitteilungen, meistens unter der Spitzmarke „Sprachecke“. Ich sende eine | solche aus neuester Zeit Ihnen zu zu beliebigem Gebrauch.
Dieser kleine Artikel[4] macht natürlich auf jeden Laien einen überwältigenden Eindruck. Dabei ist er im Grunde ganz sophistisch. Natürlich verlangt es der gute Ton, daß man nicht Fremdwörter gebraucht, welche außer Kurs gekommen sind. Natürlich hat man vor 100 Jahren und noch vor 50 Jahren Fremdwörter allgemein gebraucht, welche jetzt nicht mehr Mode sind. Diese noch zu gebrauchen, ist natürlich jetzt gegen den guten Ton und geschmacklos. Aber erstens gibt es doch noch eine unendliche Menge von Fremdwörtern, welche man auch in der Welt des guten Tones nicht entbehren kann, und welche durch Verdeutschung zu ersetzen unmöglich oder wenigstens mißverständlich wäre, und zweitens sind doch in den letzten 50 Jahren wieder eine große Anzahl neuerer Fremdwörter aufgekommen, welche wir absolut nicht entbehren können. (z. B. Sport)
Sehr wichtig ist es für Ihren Artikel, daß Sie an recht klaren Beispielen zeigen, wozu verkehrte[a] Verdeutschungen führen. So hat der Reichspostmeister Stephan[5] sich verführen lassen, Telephon durch Fernsprecher zu übersetzen. Aber das Volk hat das nicht acceptiert. Man gebraucht die | Worte Telephon, telephonisch, telephonieren. Darin liegt zugleich der Grund, warum unsere Sprache das Fremdwort in diesem Fall vollzieht: weil man von demselben Stamm ein Substantiv, ein Adjektiv und ein Verbum bilden kann. Das kann man aber von unserem Wort „Fernsprecher“ nicht machen, oder wenigstens nur mit sehr schwerfälligen Wortgebilden.
Es ist mir nicht bekannt, ob dieser Gesichtspunkt schon hervorgehoben ist. Mir ist es aber immer aufgefallen, daß besonders solche Fremdwörter unentbehrlich sind, aus denen andere sprachliche Formen abgeleitet werden können. Solche Ableitungen erlauben[b] die lateinischen und griechischen Fremdwörter, nicht aber unsere deutschen Wörter.
Bei dem Fall „Telephon“ kommt noch besonders in Betracht, daß das Wort ein internationales Gut ist. Gerade dieses Beispiel ist besonders geeignet, zu zeigen, daß wir durch Ausmerzung derartiger Fremdwörter uns selbst schädigen in unserem internationalen Verkehr.
Es wäre also sehr zweckmäßig, wenn Sie eine regelmäßige Rubrik gegen den Sprachverein einführen | würden. Am besten ist es, wenn Sie die Leser der „Preußischen Jahrbücher“ auffordern, derartige Beispiele einzusenden, die dann natürlich von der Redaktion gesichtet werden müssen.
Zweckmäßig ist dann auch, wenn von derartigen kurzen Mitteilungen ein paar 100 Abzüge gemacht werden, die dann regelmäßig an eine große Anzahl von Zeitungen zu beliebigem Abdruck versendet werden.
Mit kollegialen Gruß Ihr ganz ergebener
Vaihinger
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑angekündigten Artikels ] die Rede ist von Delbrück: Die Sprachreinigung, Fürst Bismarck und Heinrich v. Treitschke. In: Preußische Jahrbücher 156, April–Juni 1914, S. 308–334. Zum Kontext vgl. Vaihinger an Delbrück vom 31.3.1914.2↑aus der Beilage ] liegt nicht bei, vermutlich eine Einladung zur Feier des zehnjährigen Jubiläums der Kantgesellschaft in Halle.5↑Reichspostmeister Stephan ] Heinrich von Stephan (1831–1897) war 1876–1880 Generalpostmeister der Reichspost, danach bis 1897 Staatssekretär des Reichspostamtes (ADB).▲