Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Hans Prager, Halle, 22.1./23.1.1912, 10 S., hs. (andere Hd, mit eU und eigenhändigem Postskriptum), Briefkopf GEH. REG.-RAT | PROF. DR. H. VAIHINGER. | Halle a. S., d. … 19 | Reichardtstr. 15., Wienbibliothek im Rathaus, Wien, H.I.N.-131799
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- Physical LocationWienbibliothek im Rathaus, Wien, H.I.N.-131799
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Vaihinger an Hans Prager, Halle, 22.1./23.1.1912, 10 S., hs. (andere Hd, mit eU und eigenhändigem Postskriptum), Briefkopf GEH. REG.-RAT[a] | PROF. DR. H. VAIHINGER. | Halle a. S., d. … 19 | Reichardtstr. 15., Wienbibliothek im Rathaus, Wien, H.I.N.-131799
22. Jan[uar] 1912.
Sehr geehrter Herr!
Die Sendung der 60 grossen Inhaltsprospekte von meinem Verleger in Berlin werden Sie unterdessen erhalten haben, in einem schon vom 20. datiertem Briefe[1] teilt er mir mit, dass er diese Sendung erledigt habe, für alle Fälle habe ich ihn nochmals moniert. Ich werde Ihnen sehr verbunden sein, wenn Sie diese Prospekte in dem Vortragsraum auslegen wollen[2].
Von den Urteilsprospekten hat der Verlag im Augenblick keine vorrätig | daher konnte er keine mitsenden, dagegen erlaube ich mir die 10 von Ihnen gewünschten[3] Prospekte meinerseits Ihnen beizulegen. Ich würde Ihnen sehr verbunden sein, wenn Sie gelegentlich Ihren Bekannten gegenüber von denselben Gebrauch machen.
Es ist mir ausserordentlich lieb zu erfahren, dass Sie die Erwerbung des Doktorats[4] mit Sicherheit in Aussicht genommen haben, Sie[b] können ohne den Titel in Deutschland nicht viel anfangen, es sind zwar allerdings in den letzten Jahrzehnten eine Anzahl österreichischer Literaten ohne diesen Titel hier in Deutschland vorwärts gekommen, aber die Situation ist jetzt eine andere: die Übervölkerung ist jetzt derartig bei uns, dass es immer schwerer wird sich durchzusetzen, und da ist der | Doktortitel eine sehr wertvolle Mitgift, welche den Kampf ums Dasein wesentlich erleichtert, verlassen Sie also auf keinen Fall Ihre Heimat ohne diesen Titel vorher erworben zu haben, sei es in Wien selbst, sei es anderwärts. Durch meine zahlreichen Beziehungen wird es mir voraussichtlich auch möglich sein, Ihnen dann wertvolle Empfehlungen an verschiedene Zeitungen, Verleger u. s. w. zu geben.
Von Reininger habe ich unterdessen die Einladung zum Vortrag erhalten und antworte ihm gleich heute, natürlich würde ich persönlich selbst sehr gern kommen, aber mein Gesundheitszustand erlaubt es mir leider nicht, in jüngeren Jahren war ich in dieser Hinsicht sehr mobil, fuhr die Nacht durch und war am anderen Tage da, aber jetzt muss ich auf solche Extratouren verzichten. Es ist mir | eine sehr große Ehre, dass in einer so bedeutenden Gesellschaft ein Vortrag über mein Buch gehalten wird, es wird Sie interessieren zu erfahren, dass auch in Amerika schon mehrere Vorträge darüber gehalten worden sind.
Überaus verbunden bin ich Ihnen für die freundliche rasche Übersendung der beiden Besprechungen, die Rezension von Jentsch[5] beweist trotz ihrer Kürze, dass der Mann das Buch sehr sorgfältig gelesen hat, das ist um so bewunderungswürdiger, als er halbblind ist; ich kann mit dieser Besprechung sehr zufrieden sein.
Wie Hermann Bahr dazu gekommen ist mein Buch zu besprechen[6] ist mir vollständig unerklärlich, ich habe weder direkt noch indirekt Beziehungen zu ihm, auch hat die „Neue | freie[c] Presse“ selbst kein Rezensions-Exemplar erhalten, sondern Dr. Eisler[7] persönlich und direkt. Um so überraschender ist mir diese völlig unerwartete Besprechung, die ich soeben mit grossem Interesse mir habe vorlesen lassen, es steht viel Interessantes darin; was Bahr über den Pragmatismus sagt, ist ganz vorzüglich, der Mann hat einen weiten Blick. Natürlich muss nun dafür gesorgt werden, dass die Besprechung von Eisler untergebracht wird[8], ich schreibe heute an ihn in dem mir von Ihnen angegebenen Sinn.
Mit bestem Gruß eiligst Ihr aufrichtig ergebener
H. Vaihinger.[d] |
23.I.12[e]
P. S.
Ich lege die 10 Urteilsprospekte bei, welche der Verleger im Augenblick nicht mehr vorrätig hatte.
Auch lege ich noch 10 große Inhaltsprospekte bei, da vielleicht der Besuch des Freitag-Vortrages durch die beiden am Sonntag erschienenen Rezensionen gesteigert werden könnte.
Falls die Wiener Zeitungen über solche Vorträge in der Philos[ophischen] Gesellschaft Berichte bringen, so ist es mir sehr lieb, wenn Sie mich darauf aufmerksam machen, damit ich sie mir kommen lassen kann.
V. |
23.I.12.
P. S.
Haben Sie auch den verbindlichsten Dank für den Hinweis auf Wize[9], dessen Erwähnung meines Buches mir entgangen war.
Soeben teilt mir Dr Liebert mit, daß Sie schon das Verzeichniß der Mitglieder der Philos[ophischen] Gesellschaft in Wien an ihn gesendet haben. Das ist ja äußerst dankenswert; ich habe ihm geschrieben, er möge diese Arbeit honoriren in angemessener Weise. Diese Adressen sind uns sehr wertvoll. Daß Sie aus dem Wiener Adreßbuch die Adressen ausgeschrieben haben, ist besonders mühsam gewesen. Wahrscheinlich hat ja doch wol der Schriftführer | Herr Privatdocent Dr Philipp[f] Frank ein vollständiges Verzeichniß, auch der außerordentlichen Mitglieder nebst[g] deren sämtlichen Adressen – vielleicht können Sie das an Dr Liebert gesendete Verzeichniß noch ergänzen durch das im Besitz von Dr Frank befindliche vollständige Originalverzeichniß.
Es liegt uns natürlich sehr daran, unsere Tätigkeit immer mehr auszudehnen, und immer neue Mitglieder zu gewinnen: wir können immer mehr leisten, je mehr wir Teilnehmer haben. |
In Berlin besteht wol auch eine Philos[ophische] Gesellschaft, aber diese ist ganz veraltet[10], ohne Triebkraft und Energie, mit veralteten Statuten und Einrichtungen, eine wahre Karrikatur und ein Trauerspiel, in Anbetracht der Weltstadt Berlin.
Paris und London haben auch gute Philos[ophische] Gesellschaften, ebenso Amerika, aber Berlin ist darin ganz rückständig[11].
Das große Interesse, das mein Buch gerade in Wien findet, erklärt sich zu einem guten Teil durch | den Hochstand des philosophischen Verständnisses, das durch die Philos[ophische] Gesellschaft in Wien gepflegt wird und von da aus wol auch nach den Provinzen einigermaßen ausstrahlt.
Vaihinger
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
6↑mein Buch zu besprechen ] vgl. die Rezension von Hermann Bahr in: Neue Freie Presse, Beilage zu Nr. 17030 vom 21.1.1912, S. 31–32 (erreichbar via https://anno.onb.ac.at/ (16.9.2024)).8↑die Besprechung von Eisler untergebracht wird ] ursprünglich geplant für die Wiener Zeitung Neue Freie Presse, dort nicht erschienen; vgl. die Rezension von Rudolf Eisler über Vaihinger: Die Philosophie des Als Ob in: Das monistische Jahrhundert 1 (1912), S. 475–480.9↑Hinweis auf Wize ] vgl. Paul Barth an Vaihinger vom 11.7.1911 sowie Vaihinger an Prager vom 17.1.1912.11↑Berlin ist darin ganz rückständig ] die reservierte Haltung beruhte auf Gegenseitigkeit, vgl. den Bericht über einen der Philosophie Vaihingers gewidmeten Vortrag von Ferdinand Jakob Schmidt in der Philosophischen Gesellschaft Berlin am 24.2.1912 in: Deutsche Literaturzeitung, Nr. 10 vom 9.3.1912, Sp. 619–620. Die Schlussworte lauten: Die Darlegung der ganzen Kultur als einer großen Fiktion läßt die Frage nach dem Fingierenden offen. Ist nicht der der Positivismus selber diese Fiktion? Vaihinger wird vorkritisches, materialistisches Denken attestiert.▲