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- TitleVaihinger an Hans Prager, Halle, 17.1.1912, 16 S., hs. (andere Hd, mit eU, vereinzelten eigenhändigen Korrekturen und eigenhändigem Postskriptum), Briefkopf GEH. REG.-RAT | PROF. DR. H. VAIHINGER. | Halle a. S., d. … 19 | Reichardtstr. 15., Wienbibliothek im Rathaus, Wien, H.I.N.-131798
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- Physical LocationWienbibliothek im Rathaus, Wien, H.I.N.-131798
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Vaihinger an Hans Prager, Halle, 17.1.1912, 16 S., hs. (andere Hd, mit eU, vereinzelten eigenhändigen Korrekturen und eigenhändigem Postskriptum), Briefkopf GEH. REG.-RAT[a] | PROF. DR. H. VAIHINGER. | Halle a. S., d. … 19 | Reichardtstr. 15., Wienbibliothek im Rathaus, Wien, H.I.N.-131798
17. Jan[uar] 1912
Sehr geehrter Herr!
Verbindlichsten Dank für die liebenswürdige Übersendung des kleinen Feuilletons aus der „Frankfurter Zeitung“[1], ich habe es eben auch vom Verfasser selbst zugesendet bekommen, aus Ihrer gütigen Überschickung ersehe ich aufs neue das freundliche Wohlwollen, welches Sie mir und meinem Werke gegenüber so oft schon bewiesen haben. Das war auch der Fall in Ihrem letzten ausführlichen Briefe[2], den ich leider noch nicht beantwortet habe, weil ich in der | Zwischenzeit vielfach leidend war.
Für heute will ich aber wenigstens Ihnen herzlichst danken für Ihre neuerliche Zusendung[3], die ich mit bestem Dank gleichzeitig an Sie zurückgehen lasse.
Ich lege dieser Sendung auch einen Abdruck der „Erklärung“[4] bei, welche im letzten Hefte der Kantstudien enthalten war, sowie auch die von meinem Verleger gemachte Zusammenstellung der[b] bis jetzt erschienenen Urteile über mein Buch, ich lege Ihnen von beiden mehrere Exemplare bei, in der Annahme, dass Sie vielleicht ein und das andere Exemplar im Gespräch mit Freunden und Bekannten verwenden können. In kurzer Zeit wird eine neue erweiterte Auflage | des Prospektes der bisherigen Urteile[5] über mein Buch gedruckt werden, und da werde ich mich freuen, wenn es dem Verleger vergönnt sein wird, auch noch weitere Urteile hinzuzuführen, speziell aus dem Kreise Wiener Freunde, welche sich so besonders warm für mein Buch interessieren, davon erzählte mir jüngst mein Verleger, welcher mich hier besuchte und mir mitteilte, dass besonders nach Oesterreich viel Exemplare abgesetzt werden.
Mit grosser Freude entnehme ich aus Ihrem Briefe, dass auch Sie in absehbarer Zeit mich in Halle besuchen[6] wollen, es ist mir sehr interessant zu erfahren, dass Sie in Deutschland sich eine Stellung bei | einer Zeitung u. s. w. suchen wollen, aber da möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass der Besitz des Doktor-Titels zu diesem Zweck überaus wünschenswert ist. Sie werden ohne diesen Titel schwerlich etwas ordentliches erreichen, jedenfalls erleichtert Ihnen sein Besitz überaus das Fortkommen.
Wie Sie mir schon gelegentlich angedeutet haben, wollen Sie mit Rücksicht auf Ihre Gesundheit von der Erwerbung dieses Titels Abstand nehmen, ich möchte das für einen verhängnisvollen Entschluss halten, jetzt wo Sie mitten im Studium stehen, muss es Ihnen relativ noch leicht werden, eine Dissertation abzufassen; wenn Sie erst aus dem Studium draussen sind, dann ist es so gut wie unmöglich.
Ich habe in diesem Punkte | recht[c] viel Erfahrungen. Als ich noch mein Amt voll ausübte, habe ich mehrfach Gelegenheit gehabt von Literaten wegen Erwerbung des Doktortitels zu Rate gezogen[d] zu werden. Ich habe Mehreren (unter besonderen Schwierigkeiten) die es verdienten den Titel verschafft, teilweise indem ich ihre Arbeiten hier selbst begutachtete, teilweise indem ich sie an andere Universitäten wies und ihnen geeignete Ratschläge gab.
Auch der oben genannte Herr Lapp[7] hatte sich zu diesem Zweck an mich gewendet, meine Ratschläge werden es voraussichtlich bewirken, dass er in kurzer Zeit den Titel erhält, er ist auch Literat. |
Die Hauptsache ist eine gute Dissertation, Sie müssen zu diesem Zweck mindestens ½ Jahr ruhig arbeiten und unter der richtigen Leitung ein für Sie geeignetes Thema wählen und bearbeiten, das zweite ist die Wahl der Nebenfächer, welche zum mündlichen Examen notwendig sind.
Wie Sie mir andeuteten haben Sie durch den Tod von Müllner[8] Ihren Ratgeber in Wien verloren, meines Erachtens ist die geeignetste Universität „Erlangen“, an der Sie promovieren können, ich könnte Ihnen dahin Empfehlungen mitgeben an Falckenberg[e], Hensel und Leser[9]. Am besten wäre es, Sie würden einfach das Sommersemester in Erlangen zubringen, vielleicht aber jetzt schon einmal hinreisen, um wegen | der Wahl eines Themas mit einem der Herren zu sprechen.
Über ein geeignetes Thema kann ich Ihnen selbst keinen Rat geben, das hängt nicht blos von Ihren[f] persönlichen Studien ab, die ich nicht kenne, das hängt vor allem auch von dem Urteil des Examinators ab. Die Professoren sind hierüber verschiedener Meinung: Ein Thema, das der eine zulässt, wird eventuell von einem anderen von vornherein abgelehnt.
Für Sie ist die Hauptsache, dass Sie ½ Jahr lang in einer derartigen Umgebung leben, dass es Ihnen möglich ist ruhig und ohne jede Aufregung[g] mit Conzentration aller Ihrer körperlichen und geistigen Kräfte sich ganz mit einem Thema | zu beschäftigen, das für Sie passt.
Ich darf Ihnen bei dieser Gelegenheit verraten, dass der Ihnen wohl bekannte Dr. Dreyer[10] mir ebenfalls seinen Doktortitel verdankt, er war damals noch Geistlicher, aber sehr nervös und wollte, um eine Bibliothekarstelle übernehmen zu können sehr gern den Doktortitel haben, er wusste aber kein geeignetes Thema, nach einem Gespräch von ½ Stunde war schon das überaus geeignete Thema für ihn gefunden, das er tatsächlich bearbeitet hat (Über den Begriff Geist in der deutschen Philosophie seit Kant), er selbst dachte gar nicht daran, dass dieser Gegenstand, mit dem er sich beschäftigt hatte, sich als Thema eignet; sowie er davon sprach, sagte ich ihm sofort, dass dies ein vorzügliches Thema sei, | er[h] hat dann trotz seiner grossen Nervosität die Arbeit vollendet und hier in Halle promoviert.
Vielleicht sind diese meine Ratschläge von entscheidendem Wert für Sie und für Ihr Leben, und ich würde mich ausserordentlich freuen, wenn es mir gelungen wäre, Ihnen dadurch nützlich zu sein, denn ich nehme wirklichen Anteil an Ihrem weiteren Schicksal.
Mit besten Grüssen Ihr
H. Vaihinger
Bitte wenden![i] |
P. S.:
Auf den Inhalt Ihres vorigen Briefes[11] werde ich später zurückkommen, sobald ich mehr Zeit habe, Ihre Mitteilungen waren mir von sehr grossem Interesse und Wert. |
P. S.[j]
So eben nach Abschluß des diktirten Briefes erhalte ich Ihre freundliche Karte[12].
Besten Dank für den Hinweis auf Wize[13], der mir entgangen wäre; ich werde, sobald ich diesen Brief expedirt habe, nachlesen: ich bin sehr gespannt darauf: den Verf[asser] kenne ich übrigens persönlich; er ist auch Mitglied der K[ant] G[esellschaft].
Besonders dankenswert ist Ihr freundlicher Hinweis auf den Vortrag[14].
Mein Verleger, der kürzlich hier war, bat mich, ihn | auf[k] solche Gelegenheiten aufmerksam zu machen, damit er Prospecte dahin senden könne. Bitte haben Sie die Güte, mir zu schreiben, wie viel Teilnehmer denn gewöhnlich an einem solchen Vortrag teilnehmen? Dann könnte man Verleger eine entsprechende Anzahl[l] von Prospecten hinsenden, aber an wen? Am einfachsten doch vielleicht an Sie selbst, dann könnten Sie vielleicht vor dem Vortrag, wenn Sie zuerst daselbst anwesend wären, die Prospecte auslegen, deren Besitz und Kenntnißnahme ja den Zuhörern des Vortrages sehr willkommen sein muß, um dem Vortrage | besser[m] folgen zu können. Wenn Sie selbst nicht dazu Zeit hätten, geben Sie mir vielleicht die geeignete Adresse, aber da Sie ja wol selbst hingehen, würde es, wenn Sie nur rechtzeitig kommen, am einfachsten doch wol durch Sie selbst geschehen.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich mir die Frage erlauben, ob es vielleicht möglich wäre, ein Verzeichniß der Mitglieder gelegentlich zu erhalten? Der stellvertretende Geschäftsführer der Kant Ges[ellschaft] Dr Liebert (eigentlich früher Dr Levy geheißen)[15] hat mich schon mehrfach gebeten, ihm die Adressen der Mitglieder solcher philosoph[ischen] | Gesellschaften[n] zu Propagandazwecken für die K[ant-]G[esellschaft] zu verschaffen. Dr Liebert ist äußerst rührig und hat unserer Gesellschaft innerhalb zweier Jahre 200 Mitglieder zugeführt, so daß wir jetzt finanziell sehr gut stehen. –
Im Zusammenhang damit eine discrete Frage: warum haben Sie auf das Honorar verzichtet[16] für Ihre Minlos-Recension? Das ist gar nicht nötig, wir stehen sehr gut und zahlen gerne Honorar; auch für Ihren Bericht über die Florentiner Gesellschaft[17] sollten Sie Honorar haben. Jetzt werden gerade von Dr Liebert die Honorare versendet. |
Nochmals[o] zu Ihrer Promotion. Ich meine, Sie sollten aus dem lauten Wien heraus, auf ein halb Jahr mindestens nach dem stillen Erlangen, wo Sie ruhig arbeiten könnten. Ich weiß auch, wie Ihre Verhältnisse sind aber im schlimmsten Falle sollte doch ihre Tante Finaly Ihnen die Mittel dazu geben: es ist dies eine Lebensfrage für Sie, daß Sie den Doktortitel erwerben.
Der Herr Lapp wollte erst auch nicht recht; aber sein Vater verlangt es kategorisch, und ganz mit Recht, wie ich dem jungen Lapp schrieb – das ist eine sehr gute Zucht, deren inneren und äußeren Wert er jetzt immer mehr spürt.
V. |
P. S.[p]
Zum Schluß: So eben finde ich in unserem neuesten Mitglieder-Verzeichniß[18] Sie als „Dr phil“ aufgeführt. Das stimmt aber nicht zu den Andeutungen Ihrer Briefe. Sollte es aber doch der Fall sein, dann – die herzlichsten Glückwünsche!!
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
4↑Abdruck der „Erklärung“ ] vgl. Vaihinger: Erklärung betr. meine Autorschaft an der „Philosophie des Als Ob“. In: Kant-Studien 16 (1911), S. 522–523.5↑Prospektes der bisherigen Urteile ] zusammengestellt vom Verlag Reuther & Reichard für Vaihingers Philosophie des Als Ob, abgedruckt u. a. in: Vaihinger: Nietzsche als Philosoph. 4., vom Verf. neu durchges. Aufl., Feldausgabe, erstes bis zehntes Tausend. Berlin Reuther & Reichard 1916, nach S. 80.7↑oben genannte Herr Lapp ] hier erste Nennung, die Rede ist von Adolf Lapp (geb. 1888): Versuch über den Wahrheitsbegriff mit besonderer Berücksichtigung von Rickert, Husserl und Vaihinger. Erlanger Promotionsschrift vom 7.2.1912. 2. Aufl. u. d. T.: Die Wahrheit. Ein erkenntnistheoretischer Versuch orientiert an Rickert, Husserl und an Vaihingers „Philosophie des Als-Ob“. Stuttgart: Speemann 1913.8↑Tod von Müllner ] Laurenz Müllner (29.7.1848–28.11.1911), 1883 ao. Prof. der christlichen Philosophie an der Universität Wien, 1887 o. Prof., 1891/1892 Dekan, 1894/1895 Rektor (https://www.biographien.ac.at/oebl_6/433.pdf (16.9.2024)).9↑Falckenberg, Hensel und Leser ] Richard Falckenberg (1851–1920), seit 1889 o. Prof. an der Universität Erlangen; Paul Hensel (1860–1930), seit 1902 o. Prof. in Erlangen; Hermann Leser (1873–1937), 1901 in Erlangen habilitiert, 1908 ao. Prof., 1913 o. Prof. (BEdPh).10↑Dr. Dreyer ] vgl. Vaihinger an Prager vom 16.12.1910 sowie Ergänzungs-Heft Nr. 7 zu Kant-Studien: Hans Dreyer: Der Begriff Geist in der deutschen Philosophie von Kant bis Hegel (1907).13↑Hinweis auf Wize ] vgl. Paul Barth an Vaihinger vom 11.7.1911 sowie die Rezension über Die Philosophie des Als Ob (1911) von Kasimir Filip Wize in: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie und Soziologie 36 (1912), S. 413–424.14↑den Vortrag ] von Robert Reininger, vgl. Vaihinger an Prager vom 26.12.1911 (Reininger: Über H. Vaihingers „Philosophie des als ob“. Vortrag gehalten am 26. Januar 1912. Leipzig: Barth 1912. [Sonderdruck] aus: Jahrbuch der philosophischen Gesellschaft an der Universität zu Wien. Wissenschaftliche Beilage zum 25. Jahresbericht).18↑neuesten Mitglieder-Verzeichniß ] nicht im Druck. – Die eigentlichen Akten der Kantgesellschaft sind nicht überliefert, lediglich ein Mitgliederverzeichnis hat sich in der parallelen Aktenbildung des Kuratoriums der Universität Halle-Wittenberg erhalten (der jeweilige Kurator führte den Vorsitz der Kantgesellschaft): Universitätsarchiv Halle-Wittenberg, Rep. 6, Nr. 2022: Mitgliederverzeichnis 1918, gebundenes Typoskript: 10 Vorstandsmitglieder, 1 Ehrenmitglied (Walter Simon, Breslau), 20 „Bezugsberechtigte Dauermitglieder“, ca. 400 Jahresmitglieder, 25 Universitätsbibliotheken, 26 Universitätsseminare, 6 Schulbibliotheken, 47 Hof-, Staats- und Stadtbibliotheken, 2 Freimaurerlogen (beide Berlin: Loge Germania zur Einigkeit und Loge Viktoria), 9 Vereins- und Gesellschaftsbibliotheken, jeweils mit ihren Anschriften.▲