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- TitleFerdinand Canning Scott Schiller an Vaihinger, Oxford, 18.10.1911, 6 S., hs., Briefkopf mit Wappen Corpus Christi College, | Oxford, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXIII, 5 e
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXIII, 5 e
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Ferdinand Canning Scott Schiller an Vaihinger, Oxford, 18.10.1911, 6 S., hs., Briefkopf mit Wappen Corpus Christi College, | Oxford, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXIII, 5 e
18/10/11
Hochgeehrter Herr Kollege,
Ihre hochinteressanten Zeilen vom 16ten[1] waren mir um so mehr willkommen weil ich schon diesen Sommer, nachdem ich Ihr grosses Als-Ob studiert hatte, nur durch die Furcht Ihnen mit Briefen lästig zu fallen daran verhindert wurde Ihnen zu schreiben, und Ihnen mitzuteilen, wie sehr ich die Lektüre Ihres Buches genossen hatte, & wie viel Anregung | & Belehrung ich daraus geschöpft hatte. Tatsächlich wurde die Besprechung für ‛Mind’[2] so ausführlich dass[a] dieselbe wohl als Artikel erscheinen wird, aber ich habe nichts weiter darüber erfahren & weiss auch nicht wann es Prof. Stout[3] passen wird es zu drucken. Ich glaube aber dass Ihnen die Arbeit im ganzen gefallen wird, da ich nicht meine Bewunderung Ihres Werkes ausgesprochen habe, | sondern die Hauptideen genauer erörtert habe, z. B. den Begriff der Fiktion. Jedenfalls werden Sie daraus ersehen wie weit unsere Gedankengänge mit einander gehen & wo & weshalb sie am Ende etwas[b] auseinandergehen, obgleich ich auf diese Divergenz bei der viel grössern & wichtigeren Übereinstimmung sehr wenig Gewicht legen würde. Es scheint mir aber doch dass der Als-Ob-Standpunkt psychologisch sehr schwer haltbar ist, d. h. dass man nicht umhin kann, nachdem man längere Zeit eine Ansicht als praktisch notwendig behandelt hat, schliesslich selber daran zu glau|ben, & selbst wenn man es nicht täte, so kämen doch Andere die es fertig brächten. So wird schliesslich doch soziale ‛Wahrheit’ daraus. Oder aber man kann nicht handeln ‛als ob’ die Sache wahr wäre, eben weil man sie als unwahr erkennt. – Was den Unterschied zwischen Hypothese & Fiktion anbetrifft, so scheint mir derselbe begrifflich so zu sein wie Sie gesagt; in der Anwendung aber liegt die Sache doch verwickelter: es können sich Fiktionen in Hypothesen & in Tatsachen verwandeln, & es ist oft schwer zu sagen, was eine Annahme ist, wie z. B.[c] die ‛Denkgesetze’. Das geben Sie ja aber auch zu. |
Falls[d] es Ihnen passte, wäre es mir sehr lieb, wenn Sie meine Besprechung noch im MS[e] berichtigen könnten & ich würde dann an Prof. Stout schreiben & ihn bitten es Ihnen oder[f] mir zurück zu schicken[g].
Vielen Dank für die gütige Zusendung der Preisaufgabe über den Kantischen Wahrheitsbegriff[4]. Voraussichtlich aber werde ich keine Zeit haben mich darum zu bewerben[h], da mich die Ausarbeitung der neuen voluntaristischen Logik immer mehr in Anspruch nimmt. Dabei stellt sich heraus dass der Intellektualismus keinen rechten Wahrheitsbegriff hat weil er vom Unterschied zwischen | Wahrheit & Irrtum abstrahieren musste. Er abstrahiert aber noch von viel mehr, u. A. auch von der eigentlichen Bedeutung jeder Aussage. In Folge dessen ist die rein formale Logik eigentlich sinnlos. Der systematische Nachweis wird durch eine Kritik der formalen Logik erbracht die im Januar erscheinen soll, & mir selber als das Bedeutendste erscheint das ich bisher geliefert habe, & dem Rationalismus noch schärfer & viel[i] systematischer zu Leibe geht als alles was der Pragmatismus bisher zu Tage befördert hat. Eine Folge davon ist aber dass es sich nicht mehr lohnt sich[j] nur um den Wahrheitsbegriff zu streiten. Ich hoffe Sie gestatten mir Ihnen das Buch[5] zu schicken[k].
Dass meine Kant-Auslegungen Ihren Beifall haben beglückt mich sehr.
Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener
F. C. S. Schiller.
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Zeilen vom 16ten ] nicht ermittelt, nicht nachgewiesen in: University of California Los Angeles, Ferdinand Canning Scott Schiller Papers (https://oac.cdlib.org/findaid/ark:/13030/kt5q2nb18w/ (16.9.2024)). Vgl. F. C. S. Schiller an Vaihinger vom 13.4.1911.2↑Besprechung für ‛Mind’ ] vgl. die Besprechung über Vaihinger: Die Philosophie des Als Ob von F. C. S. Schiller in: Mind 21 (1912), S. 93–104.4↑Preisaufgabe über den Kantischen Wahrheitsbegriff ] vgl. Kant-Studien 15 (1910), S. 395–398: Fünftes Preisausschreiben der „Kantgesellschaft“. Kants Begriff der Wahrheit und seine Bedeutung für die erkenntnistheoretischen Fragen der Gegenwart (ausgeschrieben Juli 1910).5↑das Buch ] vgl. F. C. S. Schiller: Formal Logic. A Scientific and Social Problem. London: Macmillan and Co. 1912. – Später erschien von demselben: Logic for Use. An Introduction to the Voluntarist Theory of Knowledge. London: Bell 1929.▲