Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Paul Natorp, Halle, 12.5.1911, 4 S., hs. (andere Hd., mit eU und eigenhändigem Postskriptum), Briefkopf PROF. DR. H. VAIHINGER. Halle a. S., d. … 19 | Reichardtstr. 15., Universitätsbibliothek Marburg, Ms. 831/1110
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- Physical LocationUniversitätsbibliothek Marburg, Ms. 831/1110
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Vaihinger an Paul Natorp, Halle, 12.5.1911, 4 S., hs. (andere Hd., mit eU und eigenhändigem Postskriptum), Briefkopf PROF. DR. H. VAIHINGER. Halle a. S., d. … 19 | Reichardtstr. 15., Universitätsbibliothek Marburg, Ms. 831/1110
12 Mai 1911[a]
Hochgeehrter Herr College!
Das Werk[1], das ich mir erlaube, Ihnen gleichzeitig zu übersenden, stammt aus der Zeit, als wir uns in Straßburg kennen lernten[2]; als ich Sie zum ersten Male daselbst traf, war der erste Teil schon fertig, denn es war nichts Anderes, als meine Habilitationsschrift, die ich damals bei unserem unvergeßlichen Freunde Laas eingereicht hatte. Ich arbeitete um die Zeit als wir uns trafen, an dem zweiten Teile oder hatte ihn schon fertig.
Gründe der verschiedensten Art haben die Publikation des Werkes hinausgehalten, aber nun kehrt es doch nach 35 Jahren bei | Ihnen ein, um Ihnen einen Gruß aus jener Zeit zu bringen.
Freilich – Sie werden an Vielem Anstoß nehmen. Meine Stellung zu Kant ist ja eine ganz andere als die Ihrige, aber auf der anderen Seite finden sich doch auch wieder sehr viele Berührungspunkte; vor Allem wohl in den Partien über Mathematik und Physik, mehr noch aber wohl in meiner Auffassung des kantischen Als-Ob, das merkwürdiger Weise bis jetzt noch nie eine monografische Behandlung gefunden hat. Freilich in den Schriften der Marburger Schule[b] habe ich hin und wieder Stellen gefunden, aus denen ich entnehmen muß, daß die Marburger die Sache ähnlich auffassen wie ich, und auch Ihr bedeutsames Buch[3] über die Religion innerhalb der Grenzen der Humanität dürfte wohl dieser Auffassung nahe stehen. |
Vor allem aber dürfte dasjenige Ihre Beachtung finden, und vielleicht auch zum Teil Ihre Zustimmung, was über den Unterschied von Ding-an-sich und Erscheinung gesagt ist; was im ersten Teil darüber steht, ist meine eigene Auffassung und vielfach vielleicht zu radikal ausgedrückt, aber merkwürdig ist und bleibt dasjenige, was ich hierüber im Dritten Teil aus Kants Opus Posthumum ausgezogen habe. Das ist seltsamer Weise bis jetzt ganz unbeachtet geblieben, weil dieses letzte Werk Kants fast von Allen ganz falsch beurteilt wird und weil es überhaupt nur sehr wenige kennen: ist es doch auch sehr schwer zugänglich. Die Auszüge aus diesem letzten Werke Kants dürften für Manchen vielleicht sogar das Bedeutsamste an meinem Buche sein. Indessen hoffe ich auch, daß | meine sonstigen Ausführungen Beachtung finden; wenn sie Angriffe finden, kann ich mich nur darüber freuen. Auch Ihnen selbst lasse ich natürlich die volle Freiheit der Kritik, falls sich Ihnen einmal die Gelegenheit ergeben sollte, sich über meine Ausführungen zu äußern, was mir natürlich eine sehr große Ehre sein wird.
Mit collegialem Gruß Ihr ergebener
H. Vaihinger
Das Buch geht gleichzeitig per Packet an Sie ab.[c]
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑in Straßburg kennen lernten ] Natorp hat 1876 in Straßburg promoviert (BEdPh), Vaihinger dort Ende 1876/Anfang 1877 habilitiert.3↑Ihr bedeutsames Buch ] vgl. Natorp: Religion innerhalb der Grenzen der Humanität. Ein Kapitel zur Grundlegung der Sozialpädagogik. 2., durchgesehene u. um ein Nachwort vermehrte Aufl. Tübingen: Mohr (Siebeck) 1908 (zuerst 1894).▲