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- TitleVaihinger an Hans Prager, Halle, 16.12.1910, 4 S., hs. (andere Hd., mit eU), Briefkopf KANTGESELLSCHAFT. | GESCHÄFTSFÜHRER: PROF. DR. VAIHINGER | Halle a. S., d. … 19 | Reichardtstr. 15., Wienbibliothek im Rathaus, Wien, H.I.N.-131777
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- Physical LocationWienbibliothek im Rathaus, Wien, H.I.N.-131777
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Vaihinger an Hans Prager, Halle, 16.12.1910, 4 S., hs. (andere Hd., mit eU), Briefkopf KANTGESELLSCHAFT. | GESCHÄFTSFÜHRER: PROF. DR. VAIHINGER | Halle a. S., d. … 19 | Reichardtstr. 15., Wienbibliothek im Rathaus, Wien, H.I.N.-131777
16.12 1910
Sehr geehrter Herr Prager!
Wie Sie wohl wissen hat Professor Tocco eine Schrift erscheinen lassen: Studi Kantiani; ich habe sie noch nicht zu Gesicht bekommen. Vielleicht haben Sie die Freundlichkeit, den Verlag zu veranlassen, mir ein Rezensionsexemplar zu übersenden; freilich kann ich das Buch nicht selbst rezensieren, auch fehlt uns hier ein geeigneter Rezensent, aber ich möchte an Sie selbst die freundliche Bitte richten, Sie möchten uns einen Bericht über die Resultate der Schrift geben. Sie können dies tun in Form einer Rezension[1] oder auch in Form eines Aufsatzes; beides freilich in möglichster Kürze. Nicht, als ob wir dem Buch von Tocco nur wenig Raum widmen möchten, sondern aus dem einfachen Grunde, weil wir einen Ueberfluß von Material leiden; aber ein Bericht über die wesentlichsten Ergebnisse des Buches darf in den „Kanstudien“ nicht fehlen, zumal ja Tocco auch formell Mitherausgeber[a][2] der Kantstudien ist.
Uebrigens hat er auch einmal an den Kantstudien | mitgearbeitet und zwar im Bande II (1898);[b] der Aufsatz[3] betraf das nachgelassene Werk von Kant. Dieser Aufsatz ist wohl auch in diesen Studi Kantiani wieder abgedruckt; nichtsdestoweniger müßte Ihr Bericht auch auf diesen Aufsatz näher eingehen. Denn erstens ist es schon lange her, daß jener Aufsatz erschienen ist und zweitens können ja die Wenigsten bei uns das Italienische fertig lesen.
Einer Anregung des Herrn Dr. Dreyer[4] folgend, möchte ich Sie auch ersuchen, uns eine[c] kurze Mitteilung, etwa im Umfang von ½ bis höchstens einer ganzen Druckseite über die neu gegründete Biblioteka Filosofika[5]; diese ist auch Mitglied der Kant-Ges[ellschaft] geworden für das Jahr 1911; aus den uns übersendeten Publikationen der Biblioteka entnehme ich, daß in derselben ein reges Leben herrscht, daß nicht bloß Bücher daselbst angeschafft werden, sondern daß auch Vorträge und Diskussionen stattfinden und vielleicht weisen Sie in Ihrer Mitteilung, vielleicht auch darauf hin, was in der Biblioteka speziell für Kant geschehen ist.
Sie werden ja wohl an dem Congreß in Bologna teilnehmen vom 6.–11. April; auch ich selbst gedenke zu diesem Zweck dahin zu reisen[6] und denke sogar einige Tage früher in Bologna anzukommen, um mich vorher in der Stadt zu orientieren, die mir noch unbekannt ist. Als ich im Frühjahr 1898 meine | italienische Reise[7] nach Florenz, Rom und Neapel machte, habe ich Bologna nur passiert.
Es würde mir eine große Beruhigung sein, schon jetzt zu wissen, daß auch Sie an dem Congreß teilnehmen, denn ich würde doch dann auch hoffen dürfen, daß Sie mir behilflich sein würden, mich zurecht zu finden, was mir besonders Abends sehr schwer fällt, denn wie Sie ja wohl wissen, habe ich ein schweres Augenleiden, welches mir besonders auf der Reise überaus hinderlich ist. Vielleicht könnten wir in demselben Hôtel oder in derselben Pension wohnen, dann würden Sie mir ohne große Mühe für Sie selbst leicht helfen können.
Ich gedenke dann auch von Bologna aus nach Florenz zu reisen, das ich damals sehr lieb gewonnen habe und das Sie ja auch selbst so gut kennen.
Es wird mich sehr freuen über Ihre Studien etwas zu erfahren; vielleicht finden Sie während Ihrer jetzigen Muße ein geeignetes Thema zu einer Promotionsarbeit[8], das Thema: „Kant in Italien“ ist ja nun schon mehrfach bearbeitet worden, aber vielleicht finden Sie doch gerade in dieser Linie einen speziellen Punkt, über den Sie arbeiten könnten und damit hätten Sie ein Thema gefunden, durch welches Sie die Wissenschaft bereichern könnten, auch würde das ja dann eine Arbeit sein, welche für die „Kantstudien“ geeignet | wäre. Die Kenntnis des Italienischen, sowohl der Sprache, als der wissenschaftlichen Literatur, ist bei uns sehr wenig verbreitet, um so wertvoller wäre es, wenn Jemand, der wie Sie das Italienische beherrscht, nur über irgend einen Punkt daraus eine Arbeit machen würde, aber Sie müssen, wie gesagt, einen speziellen Punkt herausnehmen; entweder einen speziellen Schriftsteller und dessen Meinungen über Kant, oder ein spezielles Kapitel z. B. die Antinomien und ihre Behandlung bei verschiedenen Schriftstellern.
Es würde mich sehr freuen, wenn ich durch diese Andeutungen Ihren Studien eine bestimmte Richtung geben könnte, die für Sie selbst und für die Wissenschaft von Nutzen wäre. Wir werden uns ja, wie zu erwarten ist, im April persönlich treffen, aber Sie müssen doch die lange Zeit bis dahin wissenschaftlich ausnutzen und so sind vielleicht die obigen Winke für Sie nicht ohne Wert.
Ich habe mich gefreut auf Ihrer letzten Karte[9] eine Abbildung der Villa Landau[10] zu sehen; es wird mich sehr freuen, dieselbe in Natura schauen zu können.
Mit besten Grüßen und Wünschen Ihr
H. Vaihinger
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Rezension ] wurde nicht von Prager verfasst, der lediglich das Buch an die Redaktion vermittelte, vgl. Vaihinger an Prager vom 19.6.1911 sowie Nikolai von Bubnoff: Tocco, Felice. Studi Kantiani (L’Indagine Moderna VIII). Milano-Palermo-Napoli, Remo Sandron-Editore 1909. (271 S.). In: Kant-Studien 16 (1911), S. 450–453.2↑formell Mitherausgeber ] Felice Tocco, der am 6.6.1911 verstarb, wird zuletzt auf dem Titel von Kant-Studien 15 (1910) namentlich aufgeführt.3↑der Aufsatz ] vgl. Tocco: Dell’opera postuma di E. Kant sul passaggio dalla Metafisica della Natura alla Fisica. In: Kant-Studien 2 (1897/1898), S. 69–89 u. 277–289.4↑Herrn Dr. Dreyer ] Hans Dreyer (geb. 1871), seit 1907 Bibliothekar an der Bibliothek Landau-Finaly (Florenz), vgl. Friedrich Gundolf – Elisabeth Salomon Briefwechsel (1914–1931). Im Auftrag des Deutschen Literaturarchivs Marbach hg. v. Gunilla Eschenbach u. Helmuth Mojem unter Benutzung v. Vorarbeiten v. Michael Matthiesen. Berlin/Boston: de Gruyter 2015, S. 453. Seit 1910 Mitglied der Kantgesellschaft, vgl. Kant-Studien 16 (1911), S. 119.5↑Biblioteka Filosofika ] vgl. Prager: Die „Biblioteca Filosofica“ in Florenz. In: Kant-Studien 16 (1911), S. 116–117, mit den Schlussworten: Durch Zahlung eines Mitgliedsbeitrages, der nicht hoch ist, kann man Mitglied des Institutes werden, sich Bücher entlehnen und an den Vorträgen und Diskussionen teilnehmen. – Es liegen natürlich auch sehr viel deutsche philosophische Werke auf, auch die Werke Kants in deutschen und italienischen Ausgaben. – Von Kant selbst war jedoch in den bisherigen Vorträgen fast gar nicht die Rede.6↑dahin zu reisen ] dieser Plan kam nicht zur Ausführung, vgl. auch Vaihinger an Prager vom 1.9.1910.7↑italienische Reise ] vgl. Vaihinger an Wilhelm Schrader vom 7.4.1898. Auch Anspielung auf Goethe: Italienische Reise (1816/1817).10↑Villa Landau ] Aufstellungsort der Bibliothek Landau-Finaly, vgl. Vaihinger an Prager vom 9.7. u. 28.10.1910.▲