Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Heinrich Rickert, Halle, 20.7.1908, 4 S., hs. (eigenh., mit eU), Briefkopf: KANTGESELLSCHAFT. Halle a. S., d. … 190 | Reichardtstr. 15. | GESCHÄFTSFÜHRER: PROF. DR. H. VAIHINGER, Universitätsbibliothek Heidelberg, Heid. Hs. 2740 III A 208 6
- Creator
- Recipient
- Participants
- Place and Date of Creation
- Series
- Physical LocationUniversitätsbibliothek Heidelberg, Heid. Hs. 2740 III A 208 6
- URN
- Social MediaShare
- Archive
- ▼
Vaihinger an Heinrich Rickert, Halle, 20.7.1908, 4 S., hs. (eigenh., mit eU), Briefkopf: KANTGESELLSCHAFT. Halle a. S., d. … 190 | Reichardtstr. 15. | GESCHÄFTSFÜHRER: PROF. DR. H. VAIHINGER, Universitätsbibliothek Heidelberg, Heid. Hs. 2740 III A 208 6
20.VII.1908
Verehrtester Herr College!
Gestatten Sie, daß ich Ihnen beiliegende Dissertation[1] übersende, deren Thema Sie wol interessiren wird. Der Hauptteil[a] der Arbeit liegt auf den §§ 8, 10, 11, 15[2].
Der Verf[asser] hat unter besonders schwierigen äußeren Verhältnissen gearbeitet, und ist etwas schwerfällig angelegt, gleichwol hoffe ich, daß schon jetzt etwas Werthvolles herausgebracht ist.
Die II. Hälfte lag mir schon im Manuscript[b] vor, aber der Verf[asser] will in den Ferien dieses Manuscript[c] noch einmal überarbeiten, und erst im Oktober kommt der Rest in den Druck. |
Da ich die Ausarbeitung bis jetzt überwacht habe und auch den Rest überwachen will, so ist es mir ganz recht, wenn Sie etwaige Bemerkungen mir mittheilen, welche etwa noch verwerthet werden können, um so mehr, als ich wol auch eine eigene Vorrede dazu abfassen werde. Sie haben ja an der Schrift insofern auch ein besonderes Interesse, als Sie in § 24[3] selbst zur Behandlung kommen.
Also Winke und Gesichtspunkte sollen mir sehr willkommen sein; meine Vorrede soll vielleicht eine Absage des Kriticismus an den Dog|matismus enthalten, denn die richtige Fassung des Begriffes des Bew[ußtsein] üb[erhaupt] bildet die Wasserscheide zwischen Kriticismus und unkritischer Metaphysik. Sie selbst haben sich einmal ähnlich geäußert[4]. –
Der II Teil der Arbeit Amrhein darf indessen nicht allzuviel Erwartungen erregen: er wird wol nur Bausteine sein, nicht eine erschöpfende Behandlung des Gegenstandes, die ja auch nur von einer Meisterhand wie der Ihrigen geschaffen werden kann. Aber auch das Herbeischaffen von Bausteinen ist eine sehr dankenswerthe Arbeit. |
Wie Sie aus den Zeitungen erfahren haben werden, ist die hiesige Besetzungsangelegenheit[5] nun definitiv entschieden, und Ihre Ahnung, daß Sie wol auserwählt, aber nicht berufen seien ist eingetroffen. Wie es gekommen ist, daß der III loco der Vorgeschlagenen berufen worden ist, der gleichzeitig I loco in Königsberg vorgeschlagen war, dafür liegt die Erklärung wol in der Absicht der Regierung, die in Preußen längst bestehende Stockung unter den jüngeren Kräften zu heben. Sonst hätte man wol eine erste Kraft wie Sie berufen: doch weiß ich Nichts darüber und äußere nur eine Vermutung.
Mit besten Grüßen Ihr ganz ergebenster
H. Vaihinger.
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑§§ 8, 10, 11, 15 ] das Manuskript ist nicht überliefert; die Zählung der Paragraphen weicht von den beiden Druckfassungen ab.3↑Sie in § 24 ] entspricht § 27 in der späteren Druckfassung in Hans Amrhein: Kants Lehre vom „Bewusstsein überhaupt“ und ihre Weiterbildung bis auf die Gegenwart. Mit einem Geleitwort von H. Vaihinger. Berlin: Reuther & Reichard 1909 (Kantstudien Ergänzungshefte Bd. 10), S. 172–178: Das „Bewusstsein überhaupt“ bei Rickert, mit Anmerkung auf S. 172: Im 2. Kapitel seines Buches: „Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung“ (1902) handelt Rickert von „Natur und Geist“. Hier zieht er dem Ausdruck „Bewusstsein überhaupt“ den Terminus „erkenntnistheoretisches Subjekt“ vor (vgl. https://archive.org/details/kantslehrevombew00amrh/page/172/mode/2up; 20.7.2021).4↑ähnlich geäußert ] an der von Amrhein angedeuteten Stelle, hier zitiert nach Rickert: Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung. Eine logische Einleitung in die historischen Wissenschaften. 2., neu bearb. Aufl. Tübingen: Mohr (Siebeck) 1913, S. 134: Es läßt sich zeigen, daß noch ein dritter Subjektbegriff in diesen Gedankengängen eine Rolle spielt, der, wie schon Kants „Bewußtsein überhaupt“, nur das Produkt einer erkenntnistheoretischen Ueberlegung ist, und der mit dem Gegenstande der Psychologie nicht mehr zu tun hat als mit dem Material der Körperwissenschaften. Wir könnten uns ja einfach auf Kant berufen, der den metaphysischen Umdeutungen der empirischen Realität in ein psychisches Sein ein für allemal ein Ende bereitet und damit jeden dogmatischen „Idealismus“, d. h. jede spiritualistische Identifizierung der unmittelbar gegebenen Wirklichkeit mit dem Seelischen, wie sie in den Ansichten Diltheys und Wundts wieder zutage tritt, vernichtet hat. Aber es wird vielleicht gut sein, das, was wir meinen, auch unabhängig von Kant zu sagen. Wir nennen also das Bewußtsein, das zu jeder empirischen Realität gehört, um es von den beiden anderen Subjekten zu unterscheiden, das erkenntnistheoretische Subjekt […].5↑hiesige Besetzungsangelegenheit ] nach dem Tod Ludwig Busses am 12.9.1907, der zum 1.4.1907 nach Halle berufen worden war, wurde Paul Menzer (1873–1960) o. Prof. in Halle (BEdPh).▲