Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Paul Stettiner, Halle, 11.1.1908, abgedruckt in: Kant-Studien 13 (1908), S. 173–174 sowie in: Saale-Zeitung, Abend-Ausgabe, Nr. 24 vom 15.1.1908, S. 3 (https://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:3:1-852542/fragment/page=16910134).
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- Place and Date of Creation
- Series
- Physical LocationKant-Studien 13 (1908), S. 173–174.
Saale-Zeitung, Abend-Ausgabe, Nr. 24 vom 15.1.1908, S. 3. - URN
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Vaihinger an Paul Stettiner, Halle, 11.1.1908, abgedruckt in: Kant-Studien 13 (1908), S. 173–174 sowie in: Saale-Zeitung, Abend-Ausgabe, Nr. 24 vom 15.1.1908, S. 3 (https://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:3:1-852542/fragment/page=16910134).
Halle a. S., den 11. Januar 1908.
Sehr geehrter Herr!
Ich muss gestehen, dass es mir, wie ja wohl den Meisten, das Schönste und Würdigste erschiene, wenn die Grabstätte Kants[1], da, wo sie bisher war, erhalten bleiben könnte, und wenn es möglich gemacht würde, dass der diese Grabstätte enthaltende kleine weihevolle Raum in irgendeiner künstlerisch befriedigenden Form als Aussenglied der Kirche bestehen bleiben würde.
Ob die Gründe, welche der Magistrat der Stadt Königsberg für die Verlegung der Grabstätte ins Innere der Kirche geltend macht, stichhaltig sind, kann derjenige nicht beurteilen, der nicht an Ort und Stelle ist und nicht in der Lage sich befindet, die Pläne, die zum Umbau der Grabstätte gemacht wurden, die aber verworfen worden sind, selbst mit kunstverständigem Blick zu prüfen.
Wenn aber diese Gründe stichhaltig sind – und sie müssen es doch wohl sein, da doch sonst weder die Regierung, noch die Universität, noch der Kirchengemeinderat zugestimmt hätten – , so ist gegen die Verlegung der Grabstätte Kants in das Innere der Kirche, meines Erachtens vom philosophischen Standpunkt aus garnichts einzuwenden, sofern nur dafür gesorgt wird, dass das zu errichtende Grabdenkmal Kants nicht eine Inschrift oder ein Symbol bekommt, welche dem unabhängigen Charakter seiner Philosophie widersprächen.
Wenn ich mir erlauben darf, zu diesem Denkmal eine Idee auszusprechen, so ist es folgende: ein überlebensgrosser, ein Kolossalkopf | Kants, und daneben eine fackelhaltende weibliche Figur, um das berühmte Wort Kants lebendig vor Augen zu führen: die Philosophie sei nicht eine Dienerin der Theologie, die ihr die Schleppe nachtrage, sondern eine solche, die ihr die Fackel vorantrage.
So wird auch der am weitesten links stehende[2] Freund der Kantischen Philosophie in der Verbringung der Gebeine Kants in eine Kirche keine Verleugnung seiner Lehre erblicken, sondern im Gegenteil ein Symbol dafür, dass Kants Geist immer mehr in die Kirche hineingetragen werden möge. In ausgezeichneter Hochachtung
Professor Dr. H. Vaihinger.
Kommentar der Herausgeber
1↑Grabstätte Kants ] der Abdruck des Schreibens innerhalb von Vaihingers Artikel Der Kampf um Kants Grab in Königsberg (Kant-Studien 13 (1908), S. 167–175) wird eingeleitet mit den Worten: Wie wir schon Bd. XII, Heft 2, S. 264 vorläufig gemeldet haben, soll die Grabstätte Kants aus ihrem bisherigen Raum, der ehemaligen Stoa Kantiana an der Nordseite des Königsberger Domes, in das Innere dieser Kirche verlegt werden. Zur Orientierung über diese allgemein interessierende Frage bringen wir zunächst einen historisch-referierenden Artikel von Professor Dr. Paul Stettiner in Königsberg aus der „Königsberger Hartungschen Zeitung“ vom 22. April 1898 mit gütiger Erlaubnis des Autors und der Redaktion zum Wiederabdruck, um daran als zweites Aktenstück den Antrag des Königsberger Magistrats an die dortige Stadtverordneten-Versammlung anzuschliessen, betreffend die Zustimmung der Letzteren zu jener Verlegung.2↑am weitesten links stehende ] der Abdruck des Schreibens in Saale-Zeitung, Abend-Ausgabe, Nr. 24 vom 15.1.1908, S. 3 wird kommentiert mit den Worten: Soll Kant in einer Kirche ruhn? Wie schon vor einiger Zeit auch von uns gemeldet wurde, beabsichtigt man aus bautechnischen Gründen die bekannte Grabstätte Kants in der Stoa Kantiana am Königsberger Dom ins Innnere [!] dieser Kirche zu verlegen. Gegen diesen Plan haben sich nun aber in Königsberg verschiedene Stimmen erhoben und besonders die radikaleren Kantianer sehen in dieser Verbringung der Ueberreste Kants in eine Kirche eine Zuwiderhandlung gegen Kants eigene nichtkirchliche Anschauungen, wie er sie besonders in seiner „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ dargelegt hat. Der Referent der Angelegenheit in der Stadtverordnetenversammlung, Prof. Dr. Stettiner in Königsberg, hat sich nun an den Kantforscher, Begründer der „Kantstudien“ und der „Kantgesellschaft“, Prof. Dr. Vaihinger in Halle, gewendet, um dessen Urteil in dieser Sache zu hören. Daraufhin hat Vaihinger an Prof. Stettiner folgenden Brief gerichtet, den uns der Briefschreiber liebenswürdigst zur Verfügung stellte. […] In dieser Streitsache meldet heute eine Depesche aus Königsberg: „Die Königsberger Stadtverordneten haben den Antrag des Magistrats mit 71 gegen 21 Stimmen abgelehnt, sich mit dem Abbruch der Kapelle und mit der Verlegung der Grabstätte Kants in den Dom grundsätzlich einverstanden zu erklären sowie zur Durchführung dieses Planes einen Betrag von 50 000 Mk. zur Verfügung zu stellen.“▲