Bibliographic Metadata
- TitleRichard Dehmel an Vaihinger, o. O. [Hamburg], 30.1.1905, 2 S., hs. (eigenh. mit eU), aus Briefkopierbuch: Durchschlag des befeuchteten Originals mittels Handpresse auf Seidenpapier, Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, https://resolver.sub.uni-hamburg.de/kitodo/HANSb29140
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Hamburg, https://resolver.sub.uni-hamburg.de/kitodo/HANSb29140
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Richard Dehmel an Vaihinger, o. O. [Hamburg], 30.1.1905, 2 S., hs. (eigenh. mit eU), aus Briefkopierbuch: Durchschlag des befeuchteten Originals mittels Handpresse auf Seidenpapier, Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, https://resolver.sub.uni-hamburg.de/kitodo/HANSb29140
30.1.5.[a]
Verehrter Herr Professor!
Ich sage Ihnen meinen besten Dank für die Schrift über Nietzsche[1]; ich las sie mit einem wahren Vergnügen an der gradezu anatomischen Schärfe Ihrer systematischen Herlegung. Besonders wie Sie sein Kritisches Genie als eigentliches Rückgrat seiner Philosophie aufdecken, ist überzeugend; seine positiven Dogmen sind weder sicher noch eigen genug, dass man daraus die wesentliche Bedeutung und Tragweite seines Denkens ermessen könnte. Auch die Kritik, die Sie selber zwischen den Zeilen durchblicken lassen, ist mir sympathischer, als Sie vielleicht vermuten; ich erlaube mir, Ihnen eine kleine Drucksache[2] beizulegen, durch die ich mich einmal vor dem Dogmatiker Nietzsche salviert habe. Aber umso unbedenklicher darf man sich dann als fühlender Mensch von der wunderbar geistigen Leidenschaft entzücken lassen, die diesen Ikarus der Menschenliebe in seine übermenschliche Einsamkeit trieb. Und ich glaube, daß indirekt auch die „reine“ Philosophie durch dieses lebendige Bei|spiel einer erhabenen Sehnsucht wieder zur Schöpfung positiv neuer Erkenntnis-Ideale gedrängt werden wird. Gerade in der jüngeren Dichtung sind instinktive Ansätze zu einer solchen über Nietzsches Relativistik hinwegsteigenden, aufs Absolute gerichteten Kosmosophie vielfach vorhanden. Und daß auch intellektuelle Talente schon beginnen, sich bewußte Rechenschaft davon abzulegen, bewies mir kürzlich ein Buch, das Ihnen vielleicht noch nicht bekannt ist und dass ich jedem philosophischen Interessenten – trotz seiner ziemlich complicirten Terminologie – als einen wirklich originalen Klärungsversuch nach unseren arg eklektischen Gärungsjahrzehnten empfehlen möchte: „Weltwesen und Wahrheitswille[3]“ von Hermann Gottschalk (Verlag von Strecker & Schröder in Stuttgart).
Mit ergebenstem Gruß
R. Dehmel.
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Schrift über Nietzsche ] vgl. Vaihinger: Nietzsche als Philosoph. 3., vermehrte, billige Aufl. Berlin: Reuther & Reichard 1905.2↑kleine Drucksache ] liegt nicht bei. Von Dehmel war zu Nietzsche bis 1905 erschienen: An Friedrich Nietzsche. In Dehmel: Erlösungen. Eine Seelenwandlung in Gedichten und Sprüchen. Stuttgart: Göschen 1891, S. 132–133; sowie: Offener Brief an den Herausgeber der „Kultur“ (1902), davon mehrere Wiederabdrucke in Anthologien, u. a. in Dehmel: Ausgewählte Briefe 1883–1902. Berlin 1922.3↑Weltwesen und Wahrheitswille ] vgl. Hermann Gottschalk: Weltwesen und Wahrheitswille. Ein Zwiegespräch mit dem Leben. Stuttgart: Strecker & Schröder 1905.▲