Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Houston Stewart Chamberlain, Halle, 7.2.1903, 3 S., hs. (andere Hand, mit eU), Briefkopf Redaction der „Kantstudien“ | (Verlag von Reuther und Reichard, Berlin) | Prof. Dr. Vaihinger | Halle a. S. – Priv.-Doc. Dr. Scheler | Jena. | Halle a. S., den … | Reichardtstrasse 15., mit einer Beilage (4 S.) von anderer Hd. (Kopie eines Schreibens von Chamberlain an einen unbekannten Adressaten, später beigelegt, nicht Teil der ursprünglichen Sendung an Vaihinger), Richard Wagner Museum (Bayreuth), Chamberlain-Nachlass, Rot 196/466
- Creator
- Recipient
- Participants
- Place and Date of Creation
- Series
- Physical LocationRichard Wagner Museum (Bayreuth), Chamberlain-Nachlass, Rot 196/466
- URN
- Social MediaShare
- Archive
- ▼
Vaihinger an Houston Stewart Chamberlain, Halle, 7.2.1903, 3 S., hs. (andere Hand, mit eU), Briefkopf Redaction der „Kantstudien“ | (Verlag von Reuther und Reichard, Berlin) | Prof. Dr. Vaihinger | Halle a. S. – Priv.-Doc. Dr. Scheler | Jena.[a] | Halle a. S., den … | Reichardtstrasse 15., mit einer Beilage (4 S.) von anderer Hd. (Kopie eines Schreibens von Chamberlain an einen unbekannten Adressaten, später beigelegt, nicht Teil der ursprünglichen Sendung an Vaihinger), Richard Wagner Museum (Bayreuth), Chamberlain-Nachlass, Rot 196/466
7.II.03.
Hochgeehrter Herr!
Empfangen Sie den Ausdruck des wärmsten Dankes für die tätige Teilnahme, welche Sie den „Kantstudien“ widmen. Es erfüllt mich mit großer Genugtuung, dass Sie für die Zeitschrift so Vieles getan haben.
Sie haben ganz richtig vermutet, dass die Bedingung der beiden Damen[1], welche die Güte hatten, zusammen 400 M in Aussicht zu stellen, etwas Hemmendes für mich hat. Es ist naturgemäß viel bequemer, die ganze erforderliche Summe aus einer Hand zu erhalten. Ich bin Ihnen nun äußerst | verbunden, dass Sie mich auf Frau von Siemens aufmerksam machen. Ich habe mehrere indirekte Beziehungen zu derselben[2] und werde diese demnächst ins Spiel setzen.
Das Anerbieten der beiden Damen lässt sich, auch wenn Frau von Siemens zusagen sollte, immer noch in sehr zweckentsprechender Weise verwerten. Ich habe schon öfters den Gedanken gehabt, nach Analogie anderer Zeitschriften Preisaufgaben[3] zu stellen, welche irgendein Kantthema behandeln. Dieses Verfahren ist, wie bemerkt, von anderen Zeitschriften früher schon öfters mit Erfolg eingeschlagen worden. Es werden dadurch gute Beiträge erzielt, und die Zeitschrift wird bekannt. Wenn die Sache reif | ist, werde ich mir gestatten, den Damen durch Ihre Vermittlung einen entsprechenden Vorschlag zu machen. Über meine Erfolge bei Frau von Siemens werde ich Ihnen event[uell] in einiger Zeit Mitteilungen machen.
Gleichzeitig freue ich mich, Ihnen noch eine Anzahl von Abdrücken meines Aufsatzes über Sie[4] zur Verfügung stellen zu können.
Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen nicht, wie das letztemal, selbst schreibe. Eines Augenleidens halber muss ich gegenwärtig diktiren.
Mit wiederholtem Danke und der Versicherung ausgezeichneter Hochachtung Ihr ergebenster
H. Vaihinger
Copie[5]
Professor H. Vaihinger, ordentl[icher] Professor der Philosophie in Halle, ist Ihnen dem Namen nach nicht unbekannt; die ersten Bände eines monumentalen – ja leider allzu monumentalen – „Kommentars der Kritik der reinen Vernunft“ kennen Sie. Sie wissen, glaube ich, auch, dass er schon vor einer Reihe von Jahren eine Art Sammelschrift für alle Studien über Kant gründete, die Kant-Studien, die seitdem von allen bedeutenderen Forschern Deutschlands und auch Englands, Frankreichs, Amerikas, Italiens, u. s. w. benutzt worden ist. Die Hefte erscheinen in ungebundener Zeitfolge, doch so, dass bisher etwa vier bis fünf im Jahre herauskamen, die zusammen einen Band bilden. Das letzte Heft des siebenten Bandes erscheint noch in diesem Monat. Ich will nun durchaus nicht behaupten, dass das Heil der Welt von dem Weitererscheinen der Kantstudien abhinge; doch wer sich mit Kant andauernd zu beschäftigen hat, | wird gestehen müssen, diesem Unternehmen viel zu verdanken – vor Allem unbezahlbare Zeitersparniss, da das Weitverstreute hier gesammelt wird, und ausser den eigenen Artikeln diese Zeitschrift Referate bringt über Alles, was irgendwo Kant betreffend erscheint, oder gesagt wird. Ich habe diese Kantstudien immer zur Hand.
Dieses Unternehmen ist nun ein echtes deutsches Unternehmen im rührend guten Sinne des Wortes. Vaihinger, ein schlichter Professor, arbeitet selber à fonds perdus; die Druck- und Versandkosten[b] werden durch die natürlich sehr kleine Zahl der abonnirenden Universitätsbibliotheken u. s. w. so ziemlich gedeckt; was fehlt, gibt er aus eigener Tasche. Ohne ein kleines Honorar aber zu zahlen, ist es unmöglich, die Gelehrten zu einem solchen Unternehmen herbei zu ziehen – weil diese ja fast Alle darauf | angewiesen sind, mit ihren Arbeiten einige Pfennige zu verdienen. Dies war nun bisher dadurch möglich, dass das Blatt einen Mäcen hatte, einen Dr. Simon in Königsberg, der diese Honorare aus Liebe zur Sache zahlte. Die Summe war wohl nicht Jahraus, Jahrein, die gleiche, doch sagte mir Prof. Vaihinger, dass es sich um rund achthundert Mark (M. 800) im Jahre handele. Dieser Dr. Simon hat nun aber bedauerlicherweise infolge des Leipziger Kraches fast sein gesammtes Vermögen verloren; er hat noch die für den siebenten Band eingegangene[c] Verpflichtung erfüllt, ist aber nicht im Stande, dem Blatte finanziell weiterhin beizustehen. Dass irgend ein gelehrtes Institut, eine Universitätsbibliothek oder dergleichen[d] die 800 Mark beisteuern könnte, ist ausgeschlossen – das weiss ich nach der Durchprüfung aller der Gesuchsbriefe für unsere Grundlagen-Stiftung[6] sehr genau. Auch wird keine offizielle Stelle sich für einen so reines Specialunternehmen einsetzen. Es müsste eine Privatperson sein; ein | Doktor Simon, der sein Geld nicht in Leipzig angelegt hatte.
Nun, was meinen Sie? sollte es ganz unmöglich sein, dem braven, aufopferungsvollen Vaihinger und der kleinen Schaar, die um die Wiedererweckung Kant’s bemüht ist, die geringe nothwendige Unterstützung in Deutschland zu verschaffen? Ein Carnegie[7] wäre ja dazu nicht nöthig. Und ich, als praktischer Engländer[8], sage sogar, eine bindende Verpflichtung wäre nicht nöthig: einstweilen wäre es ja genügend, wenn Vaihinger in die Lage versetzt würde, wenigstens für den nächsten, achten Band seine Dispositionen treffen zu können; der morgige Tag möge für sich selbst sorgen.[e]
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
3↑Preisaufgaben ] die 1904 gegründete Kantgesellschaft schrieb ab 1905 Preisaufgaben aus, vgl. Kant-Studien 10 (1905), S. 248.6↑Grundlagen-Stiftung ] in Bezug auf die Verbreitung von Chamberlains Schrift Die Grundlagen des XIX. Jahrhunderts.7↑Ein Carnegie ] Anspielung auf Andrew Carnegie (1835–1919), nordamerikanischer Stahlindustrieller und Mäzen (Carnegie Hall, New York).▲