Bibliographic Metadata
- TitleRudolf Reicke an Vaihinger, Königsberg, 27.6.1898, 4 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXIII, 3 c
- Creator
- Recipient
- ParticipantsCarl Meinert ; Christoph Friedrich Hellwag ; Christoph Friedrich Nicolai ; Wilhelm Dilthey ; Eduard Jacobs ; Eduard Josef Fischer Edler von Röslerstamm der Jüngere ; Franz Sintenis ; François Théodore de la Garde ; Friedrich Victor Lebrecht Plessing ; Johann Wolfgang von Goethe ; Heinrich Düntzer ; Johann Heinrich Voß ; Johannes Reicke ; Immanuel Kant ; Nicolai ; Reinhold ; Rose Burger ; Theodor Gottlieb von Hippel (1741–1796) ; Theodor Gottlieb von Hippel (1775–1843)
- Place and Date of Creation
- Series
- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXIII, 3 c
- URN
- Social MediaShare
- Archive
- ▼
Rudolf Reicke an Vaihinger, Königsberg, 27.6.1898, 4 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXIII, 3 c
Königsberg[a] 27. Juni 1898.
Sehr verehrter, lieber Freund!
Mit allerbestem Dank sende ich Ihnen die beiliegenden Blätter[1] zurück; daß es so spät geschieht, anderthalb Monate nach Ihrem mir so werthvollen Schreiben[2], werden Sie für entschuldigt halten, wenn ich Ihnen mittheile, daß ich vom 9ten v[origen] M[onats] ab ununterbrochen mit der Collation der Abschriften von 300 Briefen[3] mit den Originalen in dem 2ten Dorpater Briefbande zu thun gehabt habe. Da mein Sohn Johannes [Reicke][4] in Göttingen mit Benutzung eines 6-wöchentlichen[b] Urlaubs die oft recht schwer zu lesenden Briefe sehr lesbar und mit größter Zuverläßigkeit copirt hat, so war meine Arbeit doch um vieles leichter; ich hatte ihn nicht oft zu berichtigen. Wie anders wäre es gewesen, wenn ich Sintenis’[5] Abschriften zu collationiren gehabt hätte; was er aus den beiden Dorpater Briefbänden in der Baltischen und in der Altpr[eußischen] Monatsschrift durch den Druck veröffentlicht hat[6], hat mir viel Mühe u. Verdruß gemacht. Es sind doch manche höchst interessante Briefe hier beisammen, allerdings neben manchem unbedeutenden. Hätten ich und Sie nicht Rücksicht gegen die Academie und | besonders Dilthey zu nehmen, und hätte ich abmüßige Zeit, so würde ich Ihnen manches Stück für Ihre Kantstudien zur Verfügung stellen können. Wenn die Correspondenz heraus sein wird, wird man manches daraus verwerthen können, so z. B. auch für den durch Goethe bekannt gewordenen Plessing[7] u. sein Verhältniß zu Kant[c]; ist Ihnen übrigens etwas darüber aus Monographien oder Journalartikeln bekannt geworden? Düntzer[d][8] in seinem Buch „Aus Goethes Freundeskreise“ konnte über Plessings Aufenthalt in Königsb[erg] aus Mangel an Quellen nur wenig berichten.[9] Ed. Jacobs[e][10] wollte einmal ausführlich über den Pfarrerssohn aus Wernigerode handeln; ob er’s ausgeführt hat, weiß ich nicht.
Doch ich kehre zu Ihrem schätzbaren Bericht[11] über des Herrn[f] Dr. Fischer v. Roeslerstamm[12] (dessen „Mittheilungen für Autographensammler“ ich[g] gehalten habe) Kant-Mittheilungen zurück. Ich bin ihm sehr dankbar für seine Abschriften u. Notizen u. Sie thun mir einen großen Gefallen, wenn Sie ihm gelegentlich meinen Dank übermitteln möchten, bis ich es selber thun kann.
ad 1)[h] Kants Brief an la Garde[i][13] vom 21. Dec[ember] 1792 war mir bekannt. (die Briefe zwischen Kant u. Lagarde werde ich wol ziemlich vollständig beisammen haben)
ad 2) Kants Brief an J. H. Voß[14] v[om] 3. Jan[uar] 1791 ist wol ein Irrthum; der ungenannte Adressat ist Christoph | Friedrich[j] Hellwag[15] in Eutin; weil der Eutiner Voß bekannter u. berühmter war, hat man ihn unbesehen mit einem Briefe von Kant bedacht und geehrt[16]; ich habe das Original selbst noch nicht gesehen, wol aber eine als Original (Kant-Autograph) verkaufte Abschrift von Voßens Hand.
ad 3) Brief vom 25. Oct[ober] 1773 ist der bekannte, facsimilirte u. gedruckte Brief an Nicolai[17].
ad 4) Brief an Reinhold; das Datum 21. Mai 1788 ist falsch, richtig ist 7 März 1788; höchst wahrscheinlich ist 7t für 21 u. Marz[k] für May gelesen worden.
ad 5) angeblicher Kantbrief vom 15. Sept[ember] 1795 ist mir wie Ihnen höchst seltsam u. räthselhaft; von Kant kann er unmöglich sein, weder der Inhalt noch die Schrift, wenn auch die 5 Buchstaben der Unterschrift nach Kants Hand aussehen mögen; ich möchte an Hippel[18] denken, habe aber jetzt keine Zeit, deswegen auf Suche zu gehen; ich werde mich wol unter Berufung auf Sie an Herrn[l] Dr. Fischer v. R. direct wenden und um Zusendung des Originals bitten, denn es ist doch möglich, daß mir die Handschrift bekannt sein könnte.
ad 6) Brief Kants an Reinhold vom 19. Mai 1789 habe ich vor 13 Jahren im Original von Herrn Carl Meinert[19] in Dessau zur copeilichen Benutzung erhalten; in den bisherigen Ausgaben Kants ist er castrirt. |
Durch Ihre Bemerkungen sind mir die Fischer [von Roeslerstamm]’schen 6 Nummern[20] erst recht werthvoll geworden; von neuem kann ich Ihnen nicht genug danken für das freundschaftliche Wohlwollen u. warme Interesse, womit Sie meine Kant-Arbeit von jeher begleiten u. ihr förderlich zu sein mit Eifer u. Ausdauer beflissen sind; Ihnen verdanke ich viel mehr nutzbares Material als der Academie. Gedenken Sie auch ferner meiner in der Nähe u. in der Ferne wie bisher; Ihre Grüße aus Rom u. Pisa[21] machten mir rührende Freude. Sein[m] Sie versichert, daß auch ich nie aufhören werde, mich nach Kräften Ihnen dienstbar zu erweisen.
Ich habe von Octob[er] an bis jetzt tüchtig arbeiten müßen, ohne mir irgend welche besondere Erholung, auch nicht einmal in den Festtagen, zu gönnen. Nun bin ich aber auch müde u. abgearbeitet u. ich muß für 1–2 Monate ausspannen, u. in der Sommerfrische der erzgebirgischen Wälder u. Berge zu Bärenfels, das mich zeitweise wie ein Altensitz anheimelt, neue Kräfte sammeln. Ich gedenke in den ersten Tagen des Juli[n] mit meiner lieben u. getreuen Nichte[22] von hier abzureisen, unter ihrer Sorge fühl ich mich geborgen. Über Ihren freundlichen Gruß freut sie sich sehr, sie erwiedert[o] ihn mit mir u. wünscht wie ich Ihr und der Ihrigen bestes Wohlergehen.
In treuer Freundschaft Ihr
R. Reicke.
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
3↑von 300 Briefen ] zur Veröffentlichung in der Abteilung 2 der Akademie-Ausgabe von Kants Schriften.4↑mein Sohn Johannes ] Johannes Reicke (1861–1941), 1883 Bibliothekar der königlichen Universitäts-Handbibliothek u. der königlich deutschen Gesellschaft, 1886 Hilfsarbeiter an der königlichen und Universitätsbibliothek Königsberg, 1895 Bibliothekar an der Universitätsbibliothek Göttingen, später Oberbibliothekar (WBIS).5↑Sintenis’ ] Franz Sintenis (1835–1911), 1858–1862 Oberlehrer, 1862–1866 Leiter der Krümmer’schen Lehranstalt in Werro, 1866–1888 Oberlehrer am Gymnasium in Dorpat, 1878–1908 Konservator der Zoologischen Sammlungen der Naturforschergesellschaft (Baltisches Biographisches Lexikon digital: https://bbld.de/GND117416096 (23.4.2024)).6↑was er … veröffentlicht hat ] Sintenis und Reicke hatten eine Ausgabe von Briefen Kants geplant, die schließlich in die Akademie-Ausgabe der Schriften Kants einging, vgl. Stark, Werner: Nachforschungen zu Briefen und Handschriften Immanuel Kants. Berlin: Akademie 2014, S. 12–14. Stark (ebd., S. 358) weist folgende Veröffentlichungen Sintenis’ in den genannten Periodika nach: Fünfzehn Briefe von J. C. G. Kiesewetter an Kant, 4 Briefe von Daniel Jenisch an Kant, 1 Brief von Heinrich von Jung-Stilling an Kant nebst Entwurfe von Kant’s Antwort und 4 Briefe von Joh. Benj. Erhard an Kant. In: Altpreußische Monatsschrift 15 (1878), S. 193–268; Maria von Herbert und Kant. Eine Studie. In: Altpreußische Monatsschrift 16 (1879), S. 270–285; Ein Brief aus Kurland an Immanuel Kant. In: Baltische Monatsschrift 26 (1879), S. 280–289. – Der 3. Dorpater Briefband wurde erst in die nicht mehr von Reicke selbst besorgte 2. Auflage der Abteilung 2 der Akademieausgabe eingearbeitet (vgl. Stark, Nachforschungen zu Briefen und Handschriften Immanuel Kants, S. 12–13).7↑Plessing ] Friedrich Victor Lebrecht Plessing (1749–1806), 1783 Promotion in Philosophie in Königsberg, 1788 Prof. in Duisburg (ADB); nach anderen Angaben 1783 Magister, 1788 Prof. in Königsberg (BEdPh).8↑Düntzer ] Heinrich Düntzer (1813–1901), Philologe, Literaturwissenschaftler und Bibliothekar (https://d-nb.info/gnd/116239131 (23.4.2024)).9↑Düntzer … berichten. ] vgl. das Kapitel zu Plessing in Düntzer: Aus Goethe’s Freundeskreise. Darstellungen aus dem Leben des Dichters. Braunschweig: Friedrich Vieweg und Sohn 1868. Digitalisat: https://www.google.de/books/edition/Aus_Goethe_s_Freundeskreise/zq0MAQAAIAAJ?hl=de&gbpv=1 (23.4.2024), S. 343–383, insbesondere S. 359–361 und S. 365–368.10↑Ed. Jacobs ] Eduard Jacobs (1833–1919), nach Promotion 1859 zunächst Gymnasiallehrer, ab 1864 im Archivdienst in Magedburg, 1866 Archivrat und Bibliothekar in Wernigerode, 1868 Gründer des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde und Hg. der Zeitschrift des Vereins (NDB); verfasste u. a. den Eintrag zu Plessing in: Allgemeine Deutsche Biographie 26 (1888), S. 277–281.12↑Dr. Fischer v. Roeslerstamm ] Eduard Josef Fischer Edler von Röslerstamm der Jüngere (1848–1915), Autographensammler, Journalist und freier Schriftsteller, 1884 Begründer und Hg. der Zeitschrift Mittheilungen für Autographensammler, keine Promotion ermittelt, vgl. Köster, Eberhard: Eduard Fischer von Röslerstamm d. J. und seine Mittheilungen für Autographensammler. In: Parallelwelten des Buches. Beiträge zu Buchpolitik, Verlagsgeschichte, Bibliophilie und Buchkunst. Wiesbaden: Harrassowitz 2008, S. 323–371, hier S. 323, S. 331.13↑la Garde ] François Théodore de la Garde (1756–1824), Buchhändler, Fabrikant und Unternehmer (WBIS), verlegte 1790 Kants Critik der Urtheilskraft, vgl. Stark, Werner: Zu Kants Mitwirkung an der Drucklegung seiner Schriften. In: Ludwig, Bernd: Kants Rechtslehre. Mit einer Untersuchung zur Drucklegung Kantischer Schriften von Werner Stark (= Kant-Forschungen Bd. 2). Hamburg: Meiner 1988, S. 7–29, darin Tabelle 1: Übersicht der Kant-Drucke, S. 9.14↑J. H. Voß ] Johann Heinrich Voß (1751–1826), Übersetzer, Dichter und Philologe, 1775 freier Schriftsteller, 1778 Rektor der Lateinschule in Ottendorf (Hadeln), 1782 in Eutin, 1802 pensioniert, 1805 Berater an der Universität Heidelberg (NDB).15↑Chph. Frdr. Hellwag ] Christoph Friedrich Hellwag (1754–1835), praktischer Arzt, Philosoph und Stadtrat (ADB).16↑weil der … und geehrt ] Quelle des Irrtums nicht ermittelt; nicht in der Zeitschrift Mitteilungen für Autographensammler17↑Nicolai ] Christoph Friedrich Nicolai (1733–1811), Buchhändler, Verleger, Schriftsteller und Geschichtsschreiber (NDB).18↑Hippel ] kann sowohl den späteren preußischen Beamten Theodor Gottlieb von Hippel (1775–1843) meinen, der 1791–1795 in Königsberg u. a. bei Kant studierte, als auch dessen gleichnamigen Onkel, den Kommunalpolitiker und Schriftsteller Theodor Gottlieb von Hippel (1741–1796), der ebenfalls mit Kant in Kontakt stand (NDB).19↑Carl Meinert ] Carl Meinert (gest. 1913), Autographensammler und möglicherweise Tuchfabrikant, vgl. den Eintrag in: Carl-Maria-von-Weber-Gesamtausgabe. Digitale Edition (Version 4.9.1 vom 5. Februar 2024): https://weber-gesamtausgabe.de/A009763 (23.4.2024).21↑Ihre Grüße aus Rom u. Pisa ] etwaige Schreiben Vaihingers nicht ermittelt; Vaihinger schreibt am 7.4.1898 aus Rom an Paul Natorp, zu Reiseplänen Vaihingers nach Pisa vgl. Alessandro Paoli an Vaihinger vom 23.4.1898.▲