Bibliographic Metadata
- TitleMoriz Carrière an Vaihinger, München, 27.7.1892, 3 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 4 e, Nr. 21
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 4 e, Nr. 21
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Moriz Carrière an Vaihinger, München, 27.7.1892, 3 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 4 e, Nr. 21
Verehrter Herr College!
„Wie innres Wachsthum ewig uns erfreue“
Agnes S. 54[1], oder 40 Jahr alt
Innerlich stets sich steigernd etc.
Agnes S. 90[2] vom Jahr 1864
In meiner Aesthetik in der Lehre von der Phantasie (1859) die Marmorfigur[a] als Mutter der Musen[3], das Beharren als Bedingung[4] alles geschichtlichen Fortschrittes – das schien mir alles nicht neu; neu ist daß ich seit Jahren in Vorlesungen den Unterschied von Geist und Natur auch so bestimmte: dort Wachsthum, hier Erhaltung der Energie; was gelegentlich in die Sittliche Weltordnung[5] überging, wo ich andeutete was nun die Abhandlung[6] näher entwickelt: die Steigerung der Energie im Innenleben bedingt auch wesentlich ein Außen|leben der höheren Organisationsformen, ja ist davon Ursache neben den Anlässen und Mitteln, die der Naturmechanismus bietet, und die der Darwinismus zu vorwiegend betont. Das hat, soviel ich sehe, bis jetzt Niemand betont. Auch ist ja bereits Anfang März im Märzheft der Deutschen Rundschau ein sehr auszüglicher[b] Bericht über meinen Vortrag[7], der für ein größeres Publikum mir geeignet Scheinende erschienen. Also doch kein Prioritätstreit, Siebeck[8] hat diesen Aufsatz wohl schon gekannt! Ich danke Ihnen recht herzlich für die Notiz. Besser und | erfreulicher noch wär’ es, wenn Sie in einem Aufsatz[9] auf die Sache eingingen, […] u.[c] Siebeck jeden in seiner Art charakterisirten, meinen Grundgedanken besprächen! Das würde rasch die Sache zur Discussion stellen, die Aufmerksamkeit auf sie lenken. Ich halte streng an der Erhaltung der Energie in der anorganischen Natur, in der Außenwelt[d] fest; – in der Innenwelt aber ist Steigerung, von der aus für die höhern Entwicklungsstufen der Organismen durch die Organisation der Kräfte bedingt und die Seele ist Organisations- und Denkkraft, empfindend und bewegend zugleich, so erklärt sich der Weltzusammenhang.
Herzlichen Gruß!
Ihr ergebener
M Càrriere
München 27/VII 1892
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Agnes S. 54 ] vgl. Carrière: Agnes. Liebeslieder und Gedankendichtungen. Leipzig: Brockhaus 1883, aus den Schlußzeilen des Gedichtes Zwei Lebenswege, S. 54: Und quillt aus Leid und That die Offenbarung / Wie innres Wachsthum ewig uns erfreue.2↑Agnes S. 90 ] vgl. Carrière, Agnes (1883), aus der Dichtung Elegie, S. 90: Innerlich stets sich steigernd, und doch beruhend im / eignen / Wesen, unendlichen Lichts nimmer erlöschender Strahl.3↑Marmorfigur als Mutter der Musen ] kein direktes Selbstzitat. Vgl. z. B. Carrière: Aesthetik. Die Idee des Schönen und ihre Verwirklichung durch Natur, Geist, und Kunst. Erster Theil. Die Schönheit. Die Welt. Die Phantasie. Leipzig: Brockhaus 1859, S. 478: Die Muse der Geschichte hat schon durch die Griechen ihre Darstellung gefunden […]. Mit kühnem glücklichen Griff hat ihr Kaulbach das nordische Gepräge verliehen, die dämonische Größe der altgermanischen Dichtung scheint in ihr verkörpert; ein Riesenweib sitzt sie auf einem keltischen Hünengrab […].4↑das Beharren als Bedingung ] vgl. z. B. Carrière: Aesthetik. Erster Theil (1859), S. 356: Das Prinzip des Beharrens und der Bewegung wirken auf diese Art ineinander, und die Linie des Fortschritts wird dadurch zur Curve gebogen.6↑die Abhandlung ] vgl. Carrière: Das Wachsthum der Energie in der geistigen und organischen Welt. In Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Philologische Klasse 1892, S. 685–744 (https://publikationen.badw.de/de/003205020 (20.8.2024)).7↑Bericht über meinen Vortrag ] vgl. Carrière: Das Wachsthum der Energie in der geistigen und organischen Welt. Aus einer größeren Abhandlung, die in der Münchener Akademie der Wissenschaften zum Vortrag gekommen ist. In: Deutsche Rundschau 7(1892), Januar–März, S. 389–402.8↑Siebeck ] von Hermann Siebeck erschien: Ueber die Lehre vom genetischen Fortschritte der Menschheit. Akademische Festrede zur Feier des Stiftungsfestes der Großherzoglich Hessischen Ludewigs-Universität am 1. Juli 1892 gehalten von dem derzeitigen Rektor. Gießen: Universitäts-Buch- und Steindruckerei Münchow 1892.▲