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- TitleBartholomäus von Carneri an Vaihinger, Marburg an der Drau (Maribor), 30.1.1891, 2 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 4 d, Nr. 29
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 4 d, Nr. 29
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Bartholomäus von Carneri an Vaihinger, Marburg an der Drau (Maribor), 30.1.1891, 2 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 4 d, Nr. 29
Marburg 30. Jänner 1891.
Hochgeehrter Herr!
Besten Dank für die Freundlichkeit, mit der Sie mein Buch[1] aufgenommen haben und ein herzliches: Glückauf! zu Ihrer großen Arbeit[2].
Die Notwendigkeit einer parallelen Entwicklung[3] war immer auch meine Überzeugung. Werden Sie’s glauben, daß noch nichts in dem Buch so energische Vorwürfe mir[a] zugezogen hat, als dieser Punkt? Die neueste Parole lautet: Hinaus aus der Schule mit dem Religionsunterricht! | Und leider auch: Hinaus mit der classischen Bildung!
Die Menschheit wird noch entsetzliche Gährungen durchmachen müssen.
In alter Treue Ihr ganz ergebener
B. Carneri
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑mein Buch ] vgl. Carneri: Der moderne Mensch. Versuche über Lebensführung. 2 Auflagen Bonn: Emil Strauß (Anfang/Mitte) 1891.2↑Ihrer großen Arbeit ] wenn nicht die Arbeiten an Vaihinger: Commentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft, 2. Bd. 1892 gemeint sind, bezieht sich Carneri auf Vaihinger: Naturforschung und Schule. Eine Zurückweisung der Angriffe Preyers auf das Gymnasium vom Standpunkte der Entwicklungslehre. Ein Vortrag in der dritten allgemeinen Sitzung der 61. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte zu Köln am 22. September 1888 gehalten. Köln/Leipzig: Albert Ahn 1889. Eine Versendung dieses Werks an Carneri ist nicht ermittelt.3↑Notwendigkeit einer parallelen Entwicklung ] vgl. Vaihinger an Eduard Zeller vom 20.12.1888 und an Ernst Haeckel vom 27.12.1888; sowie Carneri, Der moderne Mensch (1891), S. 137–138: Gewiß hat es gegenüber Kindern, wie gegenüber Völkern, deren Entwicklung auf der Stufe der Kindheit sich befindet, einen praktischen Werth, den Nachdruck darauf zu legen, daß, wie die Liebe der Menschen, auch die Liebe Gottes verloren werden könne. Dieser Gedankengang ist wirksam, leicht faßlich und rasch beizubringen. Aber weiter darf der Staat die Kirche nicht gehen lassen. […] Und was sind die Folgen? Die Kinder wachsen heran in der Ueberzeugung, daß es überhaupt nur für die Gläubigen eine Moral gebe; und verlieren sie später den Glauben, so wird für sie die ganze Moral hinfällig. Die zur Gläubigkeit Neigenden werden immer gläubiger, je lauterer die Lehre ist; die nicht dazu Neigenden, sind für die Kirche verloren, wovon man täglich sich überzeugen kann. Sollen sie aber auch für ihre Mitmenschen verloren sein? […] Wir wissen ganz gut, daß unser Standpunkt von beiden Seiten bekämpft wird: die Kirche findet, daß wir das Wesen ihres Amtes verkennen; die Gegner der Kirche wollen sie ganz aus der Schule entfernt wissen. Wir sind aber nicht Feinde der Kirche, wir sind nur Gegner ihrer Machtüberschreitungen. Die sehr triftigen Gründe, aus welchen wir es vorziehen, daß sie unter der Aufsicht des Staates ihren Unterricht ertheile, haben wir schon gekennzeichnet. Hier wollen wir nur zeigen, von welchem hohen Werth der Religionsunterricht ist, den wir meinen.▲