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- TitleVaihinger an Wilhelm Lang, Halle, 14.1.1889, 4 S., hs., Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Cod. hist. oct. 156,299
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- Physical LocationWürttembergische Landesbibliothek Stuttgart, Cod. hist. oct. 156,299
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Vaihinger an Wilhelm Lang, Halle, 14.1.1889, 4 S., hs., Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Cod. hist. oct. 156,299
Halle a/S.
14.I.89.
Hochgeehrter Herr!
Indem ich Ihnen anbei ein Recensionsexemplar meine Kölner Rede gegen Preyer[1] zugehen lasse[a], bitte ich Sie zugleich, eine möglichst eingehende Besprechung derselben im „Schwäbischen Merkur“[2] veranlassen zu wollen[3].
Sie werden gewiß auch für Erhaltung der klassischen Bildung sein, ist doch Württemberg von jeher das Land gewesen, in welchem die klassische Bildung sehr hoch geschätzt worden ist. |
Der Gedankengang meiner Rede wird Ihnen zunächst vielleicht Befremden erregen: wollen Sie aber nicht übersehen, daß ich vor Naturforschern gegen einen Naturforscher vortrug[b] und daher die naturwissenschaftliche Begründung voranstellte. Der Kern der Beweisführung ist aber unabhängig von dieser naturwissenschaftlichen Grundlage, denn die Idee der Wiederholung der menschheitlichen Kulturentwicklung durch das Individuum findet sich ja bei Lessing und Herder, bei Schiller und Goethe, bei Pestalozzi und Herbart und vielen Andren, wie ich Seite 9 ff. nachgewiesen habe. |
Die Begründung dieses Gedankens auf den Darwinismus werden Sie vielleicht nicht billigen, doch freute es mich, in der Vorrede IV darauf hinweisen zu können, daß es ein Schwäbischer Theologe[c] gewesen ist, welcher zuerst die Vereinbarkeit des Darwinismus selbst mit dem christlichen Idealismus nachgewiesen hat, und so werden Sie die darwinistische Bestätigung vielleicht auch willkommen heißen.
Jedenfalls müssen jetzt alle Freunde der klassischen Bildung zusammenstehen, um dem drohenden Äußeren[d] mit vereinten Kräften zu begegnen. Insbesondre müssen die Süddeutschen ihre Stimme erheben gegen das bilderstürmerische Wüthen, das theilweise hier in | Preußen gegen das Gymnasium tobt, und das doch nach dem Satz gutta cavat lapidem[4] auch auf die Regierung einwirkt. Wenn aber hier in Preußen das Gymnasium beschädigt wird, so leidet ganz Deutschland darunter. Der norddeutsche Charakter neigt leicht zur Maaßlosigkeit, entweder schroff für den einseitigen starren Althumanismus oder schroff für den Realismus. Wir Süddeutsche haben mehr eine harmonische Natur, und so müssen wir auch hierin vermittelnd wirken, wie das auch die Heidelberger Erklärung[5] that. In diesem Sinne konnte ich auch S. VII–IX die württembergischen Gymnasien als Vorbilder erwähnen.
Mit hochachtungsvollem Gruß Ihr ergebener
H. Vaihinger
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Rede gegen Preyer ] vgl. Vaihinger: Naturforschung und Schule. Eine Zurückweisung der Angriffe Preyers auf das Gymnasium vom Standpunkte der Entwicklungslehre. Ein Vortrag in der dritten allgemeinen Sitzung der 61. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte zu Köln am 22. September 1888 gehalten. Köln/Leipzig: Albert Ahn 1889.2↑Besprechung derselben im „Schwäbischen Merkur“ ] nicht ermittelt, vgl. das Digitalisat des Zeitungsjahrgangs: http://digital.wlb-stuttgart.de/purl/kxp776859692-1889 (30.9.2022). In Nr. 71 vom 23.3.1889, Sonntagsbeilage, in der Übersicht Württembergische Literatur im Jahre 1888 wird Vaihingers Schrift lediglich erwähnt, Abschnitt VIII. Archäologie, Pädagogik und Filologie [!].3↑veranlassen zu wollen ] Wilhelm Lang (1832–1915) war 1860–1904 Redakteur der Zeitung Schwäbischer Merkur (NDB).5↑Heidelberger Erklärung ] vgl. Gustav Uhlig: Die Heidelberger Erklärung in Betreff der humanistischen Gymnasien Deutschlands nebst den bis zum Dezember 1888 eingelaufenen Unterschriften und einem Vorworte. Heidelberg: C. Winter 1888. Auf S. 16 ist Vaihinger als Teil des Lehrkörpers der Universität Halle als Unterzeichner aufgeführt.▲