Bibliographic Metadata
- TitleBartholomäus von Carneri an Vaihinger, Marburg an der Drau (Maribor), 6.1.1886, 4 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 4 d, Nr. 27
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 4 d, Nr. 27
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Bartholomäus von Carneri an Vaihinger, Marburg an der Drau (Maribor), 6.1.1886, 4 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 4 d, Nr. 27
Marburg a[n der] D[rau] 6. Jänner 1886
Hochverehrter Herr!
Nehmen Sie mit meinem besten Dank die herzlichste Erwiderung[a] Ihrer liebenswürdigen Glückwünsche[1] freundlich auf und verargen Sie mir’s nicht, daß ich in diesem Stück von einer, ich gebe es zu, abscheulichen Pflichtvergessenheit[2] bin. Ich komme, weiß Gott, weil ich gar zu schwer schreibe[3], zu schwer dazu.
Fleißig bin ich, so fleißig ich sein kann, und bin eben mit einer langen Einleitung zu meinen Essay’s[4] fertig | geworden, in welcher ich den Spiritismus auf das zurückführe, was er unter allen Umständen sein kann. Mit Du Prel ist nichts zu[b] machen[c], und es ist jammerschade, denn er ist nicht nur ebenso unterrichtet als geistvoll, er ist als Schriftsteller rein bestrebend. Allein das metaphysische Bedürfnis[5] ist stärker als er. Das letzte Mal war er so freundlich mich in Wien aufzusuchen. Ich wußte nicht, daß er Hellenbach[6] kenne, den ich sehr gut kenne, u. als er seinen Namen nannte, erklärte ich mit meiner gewohnten Aufrichtigkeit rundheraus: Hellenbach ist ein Schwindler. Er fuhr über dieses Wort rein zusammen, u. ich sah, daß ich ihn sehr unangenehm berührt hatte. Aber ich konnte nicht helfen. Er schickt mir alles, ich lese alles, was er | mir schickt, und das Wichtigste unter dem von ihm selbst Erlebten charakterisiert ihn und seine Beobachtungsweise vollständig. Lesen Sie: Ein Problem für Taschenspieler, Heft XXXIX der Deutschen Bücherei, Breslau, Schottländer, S. 12 Absatz 5 bis S. 15. Das Wort „zufällig“ S. 13 Z. 12 v[on] o[ben] sagt alles.[d] Nur sein Vertrauen in Hellenbach hindert ihn zu vermuthen, daß die Sache ganz zwischen diesem u. Eglinton abgekartet war. Sie hatten mehrere Stunden dazu Zeit, u. um das zu vollbringen, braucht man gar kein Taschenspieler zu sein, sobald Einem nur gestattet wird, das Buch, das man eben haben will „zufällig herabzuholen.“ – Da kann man nicht mehr Kritik üben, ohne zu beleidigen. Und zu hei|len ist derlei nicht. Mich rührt’s zudem bei Du Prel; was ihn, meiner Überzeugung nach, dazu drängt, ist der Wunsch, Weib und Kind nach dem Tode wiederzufinden. Auf’s Entsagenkönnen[7] kommt’s an.[e]
Gleichzeitig mit diesem Schreiben sende ich an Dr. Kerry meinen kleinen Beitrag – mehr kann ich nicht – zum Laas-Monument[8]. Mich hat selten ein Tod so tief erschüttert weil ich noch im Juni einige Zeilen von ihm erhielt mit dem merkwürdigen Satz: „Daß Verdienst[9] und Lohn (ähnlich wie Gerechtigkeit) auf Umwegen aus Rücksicht auf die socialen Folgen begründet werden müssen, ist mir einleuchtend.“ Er sprach auch von der Absicht diese Begründung zu versuchen, wobei ihm der Begriff Effort vorschwebte, und schließt, geistvoll wie immer, auf sein Leiden anspielend: „bin seit Monaten in meiner Arbeitskraft gehemmt, so daß ich nichts in Aussicht stellen kann. „Anstrengung“ würde sogar das Übel vergrößern.“ Meine Auseinandersetzungen betreffend das Verdienst hatten ihn natürlich nicht befriedigt.
Doch es ist Zeit, daß ich schließe. Meinen besten Dank wiederholend Ihr unwandelbar ergebener
B. Carneri
Kommentar zum Textbefund
d↑S. … alles. ] mit Blaustift unterstrichen; die gesamte S. ist am linken Rd. mit Blaustift angestrichen.Kommentar der Herausgeber
1↑Ihrer liebenswürdigen Glückwünsche ] dem Datum nach zum Neuen Jahr, Schreiben Vaihingers nicht überliefert.3↑gar zu schwer schreibe ] behinderungsbedingt, vgl. Carneri an Vaihinger vom 16.11.1878 u. 2.11.1884.4↑Einleitung zu meinen Essay’s ] vgl. Carneri: Entwicklung und Glückseligkeit. Ethische Essays. Stuttgart: Schweizerbart 1886, S. 1–21.5↑metaphysische Bedürfnis ] Auch Anspielung auf Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung 2. Bd. (1844). Ergänzungen zum ersten Buch. Zweite Hälfte, Kapitel 17: Ueber das metaphysische Bedürfniß des Menschen.6↑Hellenbach ] Lazar von Hellenbach (1827–1887), philosophischer Schriftsteller, Politiker und Okkultist in Wien, widmete sich der Verteidigung spiritistischer Medien, wie z. B. William Eglinton (1857–1933), gegen Betrugsvorwürfe (WBIS, NDB).8↑zum Laas-Monument ] vgl. Georg Gerland an Vaihinger vom 4.11.1885 sowie Ernst Laas’ Literarischer Nachlaß: I. Idealistische und positivistische Ethik. II. Oekonomische Mängel unseres nationalen Bildungswesens. III. Gymnasium und Realschule. Hg. u. eingeleitet von Benno Kerry. Wien: Verlag der „Deutschen Worte“ (E. Pernerstorfer) 1887. – Beitrag Carneris, bei dem es sich auch um einen unterstützenden Geldbetrag für den Druck gehandelt haben könnte, nicht ermittelt.▲