Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Eduard Zeller, Straßburg, 6.2.1884, 4 S., hs., Universitätsbibliothek Tübingen, http://idb.ub.uni-tuebingen.de/opendigi/Md747-782
- Creator
- Recipient
- ParticipantsAlois Riehl ; Friedrich Althoff ; August Krohn ; Benno Erdmann ; Eduard Zeller ; Emil Heitz ; Ernst Laas ; Friedrich Theodor Althoff ; Gustav Ferdinand Thaulow ; Gustav Glogau ; Gustav Hermann Zeller ; Heinrich Hoseus ; Heinrich Julius Holtzmann ; Julius Hamm ; Karl Ledderhose ; Otto Liebmann ; Gustav Thaulow ; Theobald Ziegler ; Wilhelm Windelband
- Place and Date of Creation
- Series
- Physical LocationUniversitätsbibliothek Tübingen
- URN
- Social MediaShare
- Archive
- ▼
Vaihinger an Eduard Zeller, Straßburg, 6.2.1884, 4 S., hs., Universitätsbibliothek Tübingen, http://idb.ub.uni-tuebingen.de/opendigi/Md747-782
Straßburg i/E den 6. Febr[uar] 1884
Hochzuverehrender Herr GeheimeRath, Verehrtester Herr Professor![a]
Nachdem die für Ew. Hochwohlgeboren anstrengenden Tage der Feier Ihres siebenzigsten Geburtsfestes[1] und die ersten Eindrücke des tragischen Verlustes[2], den Sie zu gleicher Zeit erlitten haben, vorüber sind, wage ich es, mich ergebenst an Ew. Hochwohlgeboren zu wenden und um Ihre gütige Intervention an maaßgebendem | Orte zu Gunsten meiner Bewerbung um das erledigte Ordinariat in Kiel vertrauensvollst und vertraulichst zu bitten.
Herr Professor Benno Erdmann[3][b], dessen Berufung nach Breslau mir sowohl um der Sache als um seine Person willen große Freude gemacht hat, und dem ich für sein erfolgreiches Eintreten für mich zu herzlichstem Danke verpflichtet bin, hat mir mitgetheilt, daß die philosophische Fakultät in Kiel mich an erster Stelle einstimmig zu seinem Nachfolger vorgeschlagen habe.
Wenn ich nun auch die angenehme Hoffnung hegen darf, daß die hohe Kgl.[c] Regirung auf diesen Vorschlag eingehen und ihm die Sanction erteilen werde, so weiß | ich doch nicht, ob nicht höheren Ortes vielleicht andere Intentionen sich geltend machen könnten, und in dieser Ungewißheit glaube ich das Wagnis unternehmen zu dürfen, Ew. Hochwohlgeboren meine ergebenste Bitte vorzutragen.
Nicht sich vordrängender Ehrgeiz, sondern meine hiesige Situation macht mir eine Änderung sehr wünschenswerth: der Herr Curator[4] unserer Universität hat mir gegenüber diesen Wunsch selbst schon mehrfach in ebenso freundlicher als bestimmter Form ausgesprochen, da er keine Mittel findet, um mir einen regelmäßigen Gehalt zu bieten: denn nach dem Wortlaut meines Decretes[5] bin ich auf „Remuneration nach Maaßgabe der verfügbaren Mittel“ angewiesen. Vielleicht herrscht an maaß|gebendem Orte über diesen Punkt eine irrthümliche Auffassung, die ein mir ungünstiges Resultat herbeiführen könnte.
Es kommt dann auch noch hinzu, daß die unerquicklichen literarischen und persönlichen Fehden zwischen den beiden hiesigen Ordinarien[6] meine eigene Lage zu einer peinlichen machen und eine Entfaltung der Kraft zu befördern nicht geeignet sind.
Gestatten Sie mir noch die Nachricht hinzuzufügen, daß die von uns geplante Festschrift[7] Ihnen bald wird zugesendet werden können: der Druck derselben hat schon begonnen.
Indem ich meine Bitte Ew. Hochwohlgeboren vertrauensvoll ans Herz lege, drücke ich zugleich die Wünsche zu dem schönen Feste Ihres 70. Geburtstages, die mir die innigste und dankbarste Pietät Ihnen gegenüber eingibt, in herzlichster Weise noch besonders aus, und zeichne in tiefster Verehrung Ew. Hochwohlgeboren ganz ergebenster
H. Vaihinger.
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑tragischen Verlustes ] am 21. Januar 1884 war gestorben: Gustav Hermann Zeller (1812–1884), zuletzt Präsident der wüttembergischen Katasterkommission, ein Bruder Eduard Zellers (vgl. Zeller an Vaihinger vom 8.2.1884 sowie die genealogischen Angaben in https://merkel-zeller.de/getperson.php?personID=I16842&tree=Merkel-Zeller; 7.6.2021).3↑Benno Erdmann ] 1884 waren an der Universität Kiel durch die Berufung Benno Erdmanns nach Breslau und den Tod Gustav Thaulows zwei ordentliche Professuren freigeworden, für die Friedrich Theodor Althoff geignete Nachfolger suchte. Vaihinger war als Nachfolger für Benno Erdmann in Kiel im Gespräch. Eduard Zeller warb bei Althoff für Vaihinger, Windelband und Otto Liebmann votierten für Gustav Glogau. Glogau wurden gegen den Protest Erdmanns und der philosophischen Fakultät der Universität Kiel berufen, als Nachfolger Thaulows rückte der Kieler ao. Prof. August Krohn nach (Ulrich Jahnke: Promotor des Fortschritts!? Friedrich Althoff und die deutsche Universitätspsychologie. In: Bernhard vom Brocke (Hg.): Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftspolitik im Industriezeitalter. Das „System Althoff“ in historischer Perspektive. Hildesheim: Lax 1991, S. 319). Vaihinger ging 1884 als ao. Prof. nach Halle und wurde dort 1894 o. Prof. (BEdPh, NDB). Es ist für das „System Althoff“ bezeichnend, daß Vaihinger im Oktober 1893 ein umfangreiches Dossier über die Dozenten der Philosophie in Deutschland, Österreich und der Schweiz, sortiert nach Richtungen, für Althoff anfertigte (abgedruckt in: Reinhardt Pester (Hg.): Hermann Lotze Briefe und Dokumente. Mit einem Vorwort v. E. W. Orth. Würzburg: Königshausen & Neumann 2003, S. 723–733).4↑Curator ] vgl. Friedrich Paulsen: Die deutschen Universitäten und das Universitätsstudium. Berlin: A. Asher & Co. 1902, S. 93: Die Universitäten sind […] unmittelbar dem Ministerium unterstellt. Doch findet sich in Preussen die Einrichtung, dass an den Provinzialuniversitäten ein Kurator als ortsanwesender Vertreter der Zentralinstanz bestellt ist; seine Aufgabe ist, die allgemeine Staatsaufsicht zu üben und für das Gedeihen und die Leistungsfähigkeit der Anstalt in jeder Richtung Sorge zu tragen. Der Verkehr der Universität mit dem Ministerium geht durch seine Hand. Für Straßburg fungierten 1872–1.8.1887: Carl Ledderhose, von dem hier die Rede ist (lebte ca. 1821–1899, † 1. oder 2.1.1899 (78jährig)), 1880–1887 gleichzeitig Unterstaatssekretär im Ministerium für Elsaß-Lothringen (Meldung des Todes in Hochschul-Nachrichten (Paul von Salvisberg), Nr. 4 von Januar 1899, S. 89); 1888–1895: Heinrich Hoseus/Hosëus (1841–28.4.1897), Unterstaatssekretär für Kultus und Justiz; ab Februar 1895: Julius Hamm (24.4.1839–27.4.1908), Ministerialrat (Kuratorialakten Universität Straßburg ADBR Strasbourg; WBIS).5↑Wortlaut meines Decretes ] vgl. die Erwähnung dieser Verfügung in Karl Ledderhose an Vaihinger vom 7.6.1883 (Abschnitt Dokumente zu Leben und Werk).6↑Fehden zwischen den beiden hiesigen Ordinarien ] gemeint sind Ernst Laas und Wilhelm Windelband. Der Fakultätsvorschlag zur Besetzung der Nachfolge Otto Liebmanns an der Universität Straßburg, vermutlich von Ernst Laas und Otto Liebmann vor dem 24.5.1882 verfasst, hatte zwar durchaus positiv über Windelband geurteilt (Archives Departementales du Bas-Rhin (ADBR) Strasbourg, 62 AL 3 (Dekanat Georg Gerland 1882/83), Nr. 38, Anlage 1), jedoch war Alois Riehl der Favorit der beiden Gutachter. Windelband trat seine Stellung in einem vergifteten Klima an, wie eine Reihe von Eingaben zur Organisation der Arbeit am Straßburger philosophischen Seminar an vorgesetzte Stellen unterstreichen (vgl. Bohr/Hartung: Forschungsgrundlagen Wilhelm Windelband. Hamburg: Meiner 2020). Laas hatte weder vor, den Direktorenposten des Philosophischen Seminars mit Windelband zu teilen noch den jüngeren Kollegen ohne weiteres in die Prüfungskommission für das Lehramt aufzunehmen. In diese Zeit fällt das Erscheinen von Windelband: Präludien. Aufsätze und Reden zur Einleitung in die Philosophie. Freiburg i. B./Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1884, prompt beantwortet von einem polemischen Angriff durch Laas, der einzigen Äußerung über ein Werk Windelbands, dem dieser eine öffentliche Entgegnung widmete. Laas eröffnete den Schlagabtausch mit seinem Artikel: Ueber teleologischen Kriticismus. In: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie 8 (1884), S. 1–17, Windelband reagierte mit der Replik: Ueber den teleologischen Kriticismus. Zur Abwehr. In: Philosophische Monatshefte 20 (1884), Heft 2/3, S. 161–169. Die mehr oder weniger öffentlichen Auseinandersetzungen endeten erst mit dem Tod von Ernst Laas am 25.7.1885.7↑Festschrift ] vgl. Strassburger Abhandlungen zur Philosophie. Eduard Zeller zu seinem siebenzigsten Geburtstage. Freiburg i. Br./Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1884. Inhalt: Emil Heitz: Der Philosoph Damascius; Heinrich Julius Holtzmann: Die Gütergemeinschaft der Apostelgeschichte; Ernst Laas: Einige Bemerkungen zur Transcendentalphilosophie. Vaihinger: Zu Kants Widerlegung des Idealismus; Wilhelm Windelband: Beiträge zur Lehre vom negativen Urtheil; Theobald Ziegler: Abälards Ethica. Ein Beitrag zur Geschichte der Ethik.▲