Bibliographic Metadata
- TitleMoriz Carrière an Vaihinger, München, 11.11.1883, 3 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 4 e, Nr. 12
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 4 e, Nr. 12
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Moriz Carrière an Vaihinger, München, 11.11.1883, 3 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 4 e, Nr. 12
Verehrter Herr College!
Empfangen Sie meinen herzlichen Dank für das Goethebild[1] und für den wohlwollenden Aufsatz in den Grenzboten[2], der mich da gestern freudig überraschte; es wird mir sehr lieb sein, wenn Sie mir einen Abdruck senden können, sonst lasse ich mir das Heft kommen. Es ist die eingehendste Anzeige der Gedichte, und Sie haben das poetische Tagebuch des Seelenlebens sehr rücksichtsvoll in Bezug gesetzt zu meinem äußeren Leben u. meinem wissenschaftlichen Streben und Thun. Und da find’ ich daß auch Sie den tiefschmerzlichen Zug, der durch viele Gedichte[3] geht, der Blick auf dies Weltleid in Nornagest, Dreiklang des Lebens, Elegie[4] etc. nicht erwähnen, wie mein Freund | Steub[5], der das Buch ein Todtenopfer und doch freudig erfahren nannte, überrascht war als ich ihn darauf aufmerksam machte. Ich schrieb die Sachen mir zur Lösung und Erlösung, suchte das Weh zu überwinden[6], und muß also wohl den versöhnenden Schluß gefunden und mit meinen Schmerzensliedern selbst das trostspendende Amt der Poesie, von dem die Neumodischen nichts wissen wollen, ausüben. Ich hatte tags zuvor den auch Ihnen mitgeschickten Aufsatz über Lasson[7] an die Redaction gesandt. Wenn Sie an dem Buch über die Poesie Vergnügen finden, und Sie wollen ihm, sei es der Philosophie, sei es der vergleichenden Literaturgeschichte | darin ein Wort widmen, so soll es mir sehr willkommen sein; vielleicht auch in den grünen Heften[8]? Die neueren Literatur- und Kunsthistoriker reden davon daß der Bund mit der Aesthetik glücklich getrennt sei; ich hab’ ihnen zum Trotz erst recht Philosophie und Geschichte verschmolzen.
Die Vorlesungen sind nun auch hier im Gang; hoffentlich sind auch Sie mit denselben zufrieden. Leben Sie wohl! Mit freundlichem Gruß und Handschlag Ihr ergebenster
M Càrriere
München 11/XI 1883
Kommentar der Herausgeber
1↑Goethebild ] vermutlich hat Vaihinger an Carrière eine Reproduktion desselben Goethe-Bildnisses übersandt, wie Ende des Jahres an Friedrich Theodor Vischer (vgl. Vaihinger an Vischer vom 29.12.1883) und an Michael Bernays.2↑Aufsatz in den Grenzboten ] vgl. den ungezeichneten Aufsatz Vaihingers: Moriz Carriere und seine Gedichte. In: Die Grenzboten 42 (1883), Viertes Quartal, S. 353–360 (https://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154528 (7.8.2024)).4↑Nornagest, Dreiklang des Lebens, Elegie ] Titel von Gedichten Carrières in der Sammlung Agnes (1883).7↑Aufsatz über Lasson ] vgl. Carrière: Rechtsphilosophische Betrachtungen über Staat und Kirche. In: Deutsche Revue 8 (1883), 3. Bd. von Juli–September, S. 222–239.8↑grünen Heften ] meint die Zeitschrift Die Grenzboten (mit grünem Hefteinbänd)en; vgl. den ungezeichneten Aufsatz Vaihingers: Moriz Carriere über die Poesie. In: Die Grenzboten 44 (1885), Zweites Quartal, S. 138–145 (https://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195532 (7.8.2024)).▲