Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Eduard Zeller, Straßburg, 28.1.1883, 4 S., hs., Universitätsbibliothek Tübingen, http://idb.ub.uni-tuebingen.de/opendigi/Md747-782
- Creator
- Recipient
- ParticipantsAdolf Bolliger ; August Stadler ; Ferdinand Avenarius ; Hermann Cohen ; Ernst Bratuscheck ; Ernst Laas ; Friedrich Albert Lange ; Georg Gerland ; Gustav Glogau ; Hermann Siebeck ; Immanuel Kant ; Johann Karl Kappeler ; Johannes Kreyenbühl ; Otto Liebmann ; Richard Avenarius ; Alois Riehl ; Gustav Theodor Fechner ; Wilhelm Windelband
- Place and Date of Creation
- Series
- Physical LocationUniversitätsbibliothek Tübingen
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Vaihinger an Eduard Zeller, Straßburg, 28.1.1883, 4 S., hs., Universitätsbibliothek Tübingen, http://idb.ub.uni-tuebingen.de/opendigi/Md747-782
Straßburg i/E 28.I.83.
Hochzuverehrender Herr Geheimerath![a]
Genehmigen Sie den Ausdruck des ganz ergebensten Dankes für die gütige Übersendung Ihrer Abhandlung über Begriff und Begründung der sittlichen Gesetze[1]: ich wünschte nur, es würde mir durch die mit einem öffentlichen Amte verbundene Nothwendigkeit, Moral zu lehren, die Gelegenheit gegeben, mich eingehender mit ethischen Fragen zu beschäftigen um so die ganze Tiefe und Tragweite Ihrer Abhandlung, sowie deren Vorgängerin: Über das Kantische | Moralprincip[2][b] ganz und voll ermessen[c] zu lernen und würdigen zu können. Aber es waltet ein seltsamer Unstern über all meinen Bemühungen zur Erreichung jenes Zieles: Glogau[3], der nach Halle berufen ist, hat sich, wie ich weiß, alle Mühe gegeben, mir seine bisherige Stellung zu verschaffen; es war auch alles ordentlich im Gange, und, obgleich Bolliger[4] in Basel mitconcurrirte, schien die Sache ziemlich sicher: da habilitirt sich der Privatdocent an der Universität Zürich, Kreyenbühl[5], nun an das Polytechnicum und die maaßgebende Persönlichkeit[6], obwohl auf die Instanzen aufmerksam gemacht, welche Kr[eyenbühl] als nicht concurrenzfähig erscheinen ließen, erklärt, er | wolle zuwarten wie sich Kreyenbühl[d] mache: Hauptgrund aber ist, dadurch ein paar Semester Gehalt zu ersparen.
Was Gießen betrifft, das durch Bratuscheks Tod[7] frei geworden ist, so wünscht die Facultät daselbst einen Älteren, der sich möglichst als Ordinarius schon bewährt hat: man hat auf Avenarius[8] und Siebeck[9] das Augenmerk gerichtet. Freilich kommt auch noch Stadler[10] in Frage, der von Marburg aus[11] günstigst empfohlen ist, während aus naheliegenden Gründen[12] gegen mich aus Marburg ein sehr ungünstiger Wind weht. Ich hoffe, daß es den Bemühungen meiner Freunde[13] gelingt, mich wenigstens noch in den 3. Vorschlag | zu bringen, was ja für fernere Bewerbungen ein sehr[e] wichtiges Präjudiz schaffen würde.
Ich habe Ihre Hilfe, hochzuverehrender Herr Geheimerath, schon so oft in Anspruch genommen, und Sie schon so vielfach belästigt, daß ich es nicht wagen darf, Sie aufs Neue um Ihre directe Intervention zu bitten. Aber Ihre mir bisher mit so großer Langmuth bewiesene Güte flößt mir das Vertrauen ein, daß Sie, wenn sich Ihnen die Gelegenheit dazu bieten sollte, Sie sich meiner hilfreich annehmen möchten.
Genehmigen Sie den Ausdruck dankbarer Verehrung von Ew. Hochwohlgeboren ganz ergebenstem
H. Vaihinger
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Abhandlung über Begriff und Begründung der sittlichen Gesetze ] vgl. Zeller: Über Begriff und Begründung der sittlichen Gesetze. [Separatdruck.] Aus den Abhandlungen der Königl. Preuss. Akademie der Wissenschaften zu Berlin vom Jahre 1882. Gelesen in der Gesammtsitzung vom 14. December 1882 (Sitzungsberichte St. LI. S. 1075). Berlin. Königliche Akademie der Wissenschaften/Dümmler 1883: Zum Druck eingereicht am 14. December 1882, ausgegeben am 18. Januar 1883. 35 S. Ein Exemplar des Sonderdrucks in Vaihingers, 1923 nach Japan weiterverkauften Privatbibliothek (vgl. das Verzeichnis: https://chssl.lib.hit-u.ac.jp/images/2020/02/Catalog_Hitotsubashi_Soda.pdf (6.8.2024)).3↑Glogau ] vgl. den vorhergehenden Briefwechsel Vaihinger/Zeller, bes. Vaihinger an Zeller vom 27.6.1882.4↑Bolliger ] Adolf Bolliger (1854–1931), nach Theologiestudium im Schuldienst, 1875 in Leipzig philosophische Promotion, 1878 in Basel habilitiert, Lehramt an der Baseler Realschule. 1888–1891 im Pfarrdienst, 1891–1905 Prof. der Theologie in Basel (BEdPh).5↑Kreyenbühl ] Johannes Kreyenbühl, vgl. Verzeichnis der Dozenten an der Universität Zürich Sommersemester 1833 bis Wintersemester 1937/38. Bearbeitet von F. Peter [1938/1939], S. 987: Kreyenbühl, Johannes. *2.11.1846 Pfaffnau, Kt. Luzern; B[ürger] von Pfaffnau. W 1881–S 1900 PD für Philos und Psych; 1883—92 auch PD ETH. †24.10.1929 Zürich (https://www.archiv.uzh.ch/dam/jcr:00000000-192d-6565-ffff-ffffb128fc2a/uzh_dozierendenverzeichnis_1833-1933.pdf (6.8.2024)).6↑maaßgebende Persönlichkeit ] wahrscheinlich Johann Karl Kappeler (1816–1888), Jurist, nach Studium in Zürich, Heidelberg und Berlin 1839 Thurgauer Anwaltspatent, 1843–1857 Thurgauer Kantonsrat, 1850–1857 Präsident des Thurgauer Obergerichts, 1848–1881 Ständerat, 1854–1857 Mitglied des Bundesgerichts, 1857–1888 Präsident des eidgenössischen Schulrats und damit Vorsteher des Polytechnikums in Zürich (Historisches Lexikon der Schweiz).8↑Avenarius ] Richard Avenarius (1843–1896), 1868 in Leipzig promoviert, 1876 in Leipzig habilitiert, 1877 o. Prof. Zürich (Nachfolge Windelband), Hg. der Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie (BEdPh). Bekanntschaft mit Vaihinger bestand seit dem gemeinsamen Aufenthalt in Leipzig, wo Avenarius dem Akademisch-philosophischen Verein vorstand (gegründet im WS 1866/1867 bzw. am 1.12.1866), dessen Vorsitz 1875/1876 wiederum Vaihinger innehatte (vgl. Protokollbücher Akademisch-philosophischer Verein (1873/1875–1900), Universitätsbibliothek Leipzig, 01 ZF-2015-3: 1–2; Ms 01304 I–II (z. T. aus dem Nachlass Theodor Fechners) sowie die Tätigkeitsberichte Vaihingers in: Philosophische Monatshefte 11 (1875), S. 190–192 u. Philosophische Monatshefte 12 (1876), S. 192).11↑von Marburg aus ] August Stadler und Hermann Cohen waren befreundet; zur wissenschaftlichen Nähe und Differenz in der Interpretation und Weiterführung der Philosophie Kants sowie über beider Beziehung zu Friedrich Albert Lange vgl. Cohen: August Stadler geb. am 24. August 1850; gest. am 16. Mai 191. Ein Nachruf. In: Kant-Studien 15 (1910), S. 403–420.12↑aus naheliegenden Gründen ] vgl. Hermann Cohen an Vaihinger vom 24.6.1881 sowie Vaihinger: Commentar zur Kritik der reinen Vernunft Bd. 1, 1881, S. 21 über Cohen: Kants Theorie der Erfahrung (1871): Sehr schätzenswerthes Werk voller feiner Beobachtungen und consequenter Auffassung, aber oft willkürlich, unexact und sogar unverständlich; gespreizter Stil, erinnert oft an Maimon. Ähnlich im weiteren Verlauf zu Riehl: Der Kriticismus Bd. 1 (1876): Neben feinen Bemerkungen und sehr brauchbaren exegetischen Beiträgen ohne Exactheit; zu enger Anschluss an Cohens willkürlich deutelnden Tiefsinn; sowie zu Stadler: Die Grundsätze der reinen Erkenntnisstheorie in der Kantischen Philosophie (1876): Werthvoller Beitrag, aber oft willkürlich. Vaihingers Commentar Bd. 1 spricht sich mehrfach dezidiert gegen Cohens Auffassungen aus, vgl. die Aburteilungen Cohens auf den S. 181, 205, 284, 437, 469–472 und passim (ein Personenregister fehlt!), die auf S. 472 in den Worten gipfeln: Cohen hat den Begriff „transscendental“ missverstanden, wie sich noch oft zeigen wird, weil er die verschiedenen theils gröberen, theils feineren Nuancen der Bedeutung des Terminus nicht unterscheidet und Alles in die unklare und verwaschene Gesammtvorstellung „das Transscendentale“ zusammenwirft.13↑meiner Freunde ] Otto Liebmann, Ernst Laas, Georg Gerland; vgl. Vaihinger an Zeller vom 10.6.1882 sowie den übrigen vorhergehenden Briefwechsel Vaihinger/Zeller.▲