Bibliographic Metadata
- TitleBenno Erdmann an Vaihinger, Kiel, 1.2.1880, 6 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 7 m, Nr. 1
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 7 m, Nr. 1
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Benno Erdmann an Vaihinger, Kiel, 1.2.1880, 6 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 7 m, Nr. 1
Kiel, Niemannsweg 25
½ 80
Sehr geehrter Herr Dr.,
Erst heut fand ich Gelegenheit, die neu erschienenen Hefte der philos[ophischen] Zeitschriften durchzusehen, und erst diese Durchsicht machte mich auf Ihre Besprechung[1] der Arnoldtschen Abhandlung aufmerksam. Sie haben mich durch diese ebenso sorgsame als klare Erörterung zu aufrichtigem Danke verbunden, zu um so größerem, als ich die Bedenken wol zu schätzen weiß, die einen dritten leicht abhalten können, in einen Streit einzutreten, der von persönlich gehässiger Form der Polemik nicht frei geblieben ist.
Ich habe bisher mit aller Absicht trotz mancher directen Aufforderung geschwiegen; denn mir schien nach eingehender Prüfung, dass Arn[oldts] Angriff mich durch seinen | sachlichen Inhalt jeder Antwort überhebe, so dass die Anmaßung und die persönlich verdächtigende Form seines Auftretens sich selbst richte.
Nur in einem Fall würde ich diese Zurückhaltung aufgegeben haben, wenn nämlich ein Autor, auf dessen Urteil ich Wert zu legen hätte, sich zu Gunsten der Arnoldtschen Ausstellungen ausgesprochen haben würde. Das ist, da die Recensionen von Göring[2] (Lit[erarisches] Centr[alblatt]), Ulrici und Nolen[3][4] nicht aus einer Prüfung der Sache hervorgegangen sind, bisher nicht geschehen; und Ihre durchdacht[a] motivirte Zustimmung verringert die Möglichkeit, dass es geschehen werde, um ein bedeutendes.
Zwar scheinen Sie mit Arn[oldt] u. andren der Meinung zu sein, dass die sachlichen Gründe der Divergenz des Inhalts zwischen Auszug und Zusätzen nicht zutreffend sind, dass also keine Fortentwicklung der Problemstellung für K[ant] in den letzteren nachweisbar sei. Auch hier jedoch werde ich abwarten, bis mir greifbare Gegen|gründe vorliegen, die ich weder bei Arn[oldt] noch in einzelnen allgemeinen Andeutungen Volkelts[b] gefunden habe. Wenn meine Auffassung, die sich mir durch das zwischenliegende Studium von Kants[c] Entwicklungsgeschichte nur noch befestigt hat, zutreffend ist, scheint sie mir allerdings auch auf Inhalt und Ursprung des Kritic[ismus] Licht zu werfen, sofern sie die Meinung stützt, dass das Problem des Idealismus im eigentl[ichen] Sinne für K[ant] 81 als solches nicht bestimmend war.[d] Doch es hat keinen rechten Sinn, nach dem Nutzen einer wissenschaftlichen Untersuchung zu fragen.
Auf einzelne Ihrer Ausstellungen gestatten Sie mir freundlichst, kurz einzugehen. Übersehen hatte ich die Belegstelle II; die übrigen waren mir nicht unbekannt geblieben, aber ich fand keinen Anlass sie zu citiren, da sie nichts neues enthalten. Denn dass der Zusatz „für Laien“ nicht Kantisch ist, schien und erscheint mir durch 2) nicht aufgehoben. Hier stehen mir inhaltliche Überlegungen[e] höher als Briefnotizen, und noch dazu Stellen aus Briefen Hamanns, denen gegenüber man sich, da sie fremdes und eigenes oft | genug unentwirrbar zusammenmischen, nicht skeptisch genug verhalten kann.
Sie haben recht in Ihrem Nachweis, dass ich mehrere mögliche Fragen nicht aufgeworfen habe. Aber wollen Sie hinzunehmen, dass ich auf einen Teil derselben nicht geführt wurde, weil ich die Arnoldtschen Möglichkeiten gar nicht zur Discussion reif ansah, als sie mir bei einer Lectüre der Briefe Hamanns z. B. in der Differenz der Bezeichnung aufstießen[f]: Denn aus mehr als einem Beispiel wusste ich, wie wenig man ein Recht hat, von der Voraussetzung zweifelloser Wahrheit Hamannscher Berichte auszugehen. Ihm ist in seinen Briefen das erste Wort, das ihm in die Feder kam, oft genug[g] das beste geblieben.
Die Briefsammlung von Reicke und Sintenis[h][5], die Sie erwähnen, enthält nicht nur keine Beweisstellen für Arnoldt, sondern vielmehr die Daten für die Unmöglichkeit der Arn[oldtschen] Vermutung, hinsichtlich der Verwendung des Kantischen Manuscripts für Schultz’ Buch[6], die übrigens schon nach den ausdrückl[ichen] Erklärungen Schultz’ und den Berichten Hamanns über Kants[i] Hilfe ganz ausgeschlossen ist. Ich habe diese Sammlung kürzlich bei einem Studienaufenthalt in Königsb[erg] durchgesehen.[j] |
Sehr bedauert habe ich, dass Sie nicht auf die beiden inneren Argumentationsreihen eingehen, die ich für meine Auffassung entwickelt habe. Ich bin mit Ihnen der Ansicht, dass der Schwerpunct der ganzen Fragen in diesen liegt. Sie deuten nur einzelnes, und so unbestimmt an, dass ich Ihnen dankbar sein würde, wenn Sie mich auf das, was Ihnen unzulässig erscheint, falls es sich brieflich überhaupt abmachen lässt, hinweisen wollen. Dazu rechne ich auch, was Sie p. 62 über Arnoldts Interpretation mehrerer, nicht in diesen Zusammenhang notwendig hineingehörigen Ausführungen meiner Einleitung sagen.[k]
Fast möchte ich mir erlauben, Ihnen am Schluss eine Bitte auszusprechen, da sie etwas betrifft, was nur freiwillig geschenkt[l] werden kann. Vielleicht würden Sie es so auch getan haben.[m] Falls Sie nämlich noch im Besitz von Separatabzügen dieser letzten Abh[andlung] sowie derer über die Blattversetzung[7] sein sollten: wollen Sie die Güte haben, mir je einen derselben zu überlassen? Es wird mir ein | Vergnügen sein, Ihnen im ähnlichen Falle eine solche Sendung meinerseits ebenfalls zu machen.
In aufrichtiger Hochachtung Ihr ganz ergebener
B Erdmann
Kommentar zum Textbefund
e↑inhaltliche Überlegungen ] mit Bleistift unterstrichen; am linken Rd. zusätzlich doppelt angestrichenKommentar der Herausgeber
1↑Ihre Besprechung ] vgl. Vaihinger: Die Erdmann-Arnoldt’sche Kontroverse über Kant’s Prolegomena. In: Philosophische Monatshefte 16 (1880), S. 44–71. Dazu ein Nachtrag. In: Dass., S. 209.2↑von Göring ] vgl. die ungezeichnete Rezension: Arnoldt, Emil, Kant’s Prolegomena nicht doppelt redigirt. Widerlegung der Benno Erdmann’schen Hypothese. Berlin, 1879. In: Literarisches Centralblatt. Nr. 16 vom 19.4.1879, Sp. 510.3↑Nolen ] vermutlich gemeint: Désiré Nolen (1838–1904), 1881 Rektor Académie de Douai, 1887 Rektor Académie de Besançon. Verfasser von: La Critique de Kant et la métaphysique de Leibnitz, histoire et théorie de leurs rapports. Paris: Baillière 1875.5↑Briefsammlung von Reicke und Sintenis ] Rudolf Reicke plante gemeinsam mit Franz Sintenis eine Kant-Briefausgabe, die schließlich in die Akademie-Ausgabe der Werke Kants einging, vgl. Werner Stark: Nachforschungen zu Briefen und Handschriften Immanuel Kants. Berlin: Akademie 2014, S. 12–14 sowie Vaihinger: Die Erdmann-Arnoldt’sche Kontroverse über Kant’s Prolegomena. In: Philosophische Monatshefte 16 (1880), S. 67, Anm. 24: Die von Reicke und Sintenis geplante Ausgabe der Briefe von und an Kant wird wohl auch kein Material zu einem Gegenbeweis an die Hand geben.6↑Schultz’ Buch ] vgl. Johann Friedrich Schultz (1739–1805, Freund Kants): Erläuterungen über des Herrn Professor Kant Critik der reinen Vernunft. Königsberg: Dengel 1784.7↑über die Blattversetzung ] vgl. Vaihinger: Eine Blattversetzung in Kant’s Prolegomena. In: Philosophische Monatshefte 15 (1879), S. 321–332 (dass., Zweiter Artikel. [Historische Nachwirkungen.] In: Philosophische Monatshefte 15 [1879], S. 513–532).▲