Bibliographic Metadata
- TitleMarcus Jacob Monrad an Vaihinger, Lindholmen bei Stockholm, 30.7.1896, 3 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXII, 9 h, Nr. 1
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXII, 9 h, Nr. 1
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Marcus Jacob Monrad an Vaihinger, Lindholmen bei Stockholm, 30.7.1896, 3 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXII, 9 h, Nr. 1
Lindholmen bei Stockholm
d. 30 Juli 1896.
Hochgeehrter Herr College!
Das Unternehmen einer neuen Zeitschrift für „Kantstudien“ hat mich ungemein interessirt. Ich sehe in der Rückkehr zu Kant ein erfreuliches Zeichen der Zeit und ein Gegengewicht gegen die allzu sehr herrschenden Nach-realistischen und sÿnkretischen Zeitrichtungen. Ich erinnere mich sogar mit einer Art persönlicher Selbstbefriedigung, daß ich vor einem Menschenalter eine solche Rückkehr vorhergesagt habe (in einer deutsch geschriebenen Abhandlung, die ich Herrn Prof. Rosenkranz[a] in Königsberg als Beitrag zum daselbst zu errichtenden Kantdenkmal sandte, und die er in der philosophischen Zeitschrift von Fichte u. Ulrici[1] Heft XXXIII und XXXIV drucken ließ).
Beiträge zu Ihrer Zeitschrift wage ich überhaupt nicht zu versprechen. Ich habe zwar in meiner Jugend Kant ziemlich gründlich studirt, bin aber jetzt zu alt (im 81ten Jahr) um dieses Studium wirksam zu erneuern. Dennoch bin ich auf den Gedanken gekommen, einen Aufsatz über das Ding an sich als Noumenon zu schreiben. Es ist keine „Kantstudie“ in dem Sinne, daß es neue historisch-kritische Aufschlüsse[b] über die | Kantische Lehre zu geben beanspruche, dazu kenne ich auch zu wenig die überreiche Kantliteratur. Es ist nur eine metaphysisch-logische Betrachtung, die sich insofern an Kant anschließt, als sie aus dem Zeichen einer leeren Stelle im System einen Begriff zu machen sucht.
Dieser Aufsatz ist bereits im Wesentlichen fertig geschrieben, und um möglicher Weise ein vergebliches Hin- und Zurücksenden zu ersparen, erlaube ich mir hierdurch vorläufig zu fragen, ob Sie in der nächsten Zukunft einem solchen Aufsatz Platz werden einräumen können? Er wird wahrscheinlich[c] ungefähr einen Bogen oder ein wenig mehr einnehmen.
Ich sehe wohl ein, es könne Ihnen schwierig sein, von einer nicht gesehenen Arbeit etwas im Voraus zu sagen. Vielleicht ist sogar mein Name Ihnen unbekannt, indem meine wissenschaftlichen Leistungen meistens einer Ihnen wahrscheinlich sprachlich unzugänglichen Literatur angehören. Sie würden sich jedoch von meinem Standpunkt und meiner Darstellungsweise einigen Begriff machen können, falls Sie sich die Mühe geben wollten, einen Blick auf eine oder die andere von folgenden deutsch erschie|nenen Schriften zu werfen: 1) die erwähnte Abhandlung in Fichte’s und Ulrici’s Zeitschrift; 2) Denkrichtungen der neueren Zeit[2], Bonn (um 1875); 3) Zwei im letzten Jahr in der Zeitschrift für systematische Philosophie aufgenommen Aufsätze: „Ueber den psychologischen Ursprung der Kunst und Poesie“, und „Idee und Persönlichkeit.“
Jedenfalls versteht es sich von selbst, daß wenn Sie auch durch eine vorläufig günstige Zusage die Zusendung der Abhandlung veranlassen sollten, es Ihnen gleichwohl frei stehen wird, dieselbe nach Durchsicht abzulehnen; in welchem Fall ich Sie vielleicht bitten dürfte, sie an Prof. Natorp in Marburg zu übersenden[3], der früher in seiner Zeitschrift zwei Arbeiten von mir aufnahm. Bei der jetzigen habe ich ursprünglich an die Kantstudien gedacht.
Ich halte mich zeitweilig in den Universitätsferien auf dem Lande unweit Stockholm auf, meine Adresse ist aber wie[d] immer Christiania, Norwegen.
Mit ausgezeichneter[e] Hochachtung
M. J. Monrad
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑philosophischen Zeitschrift von Fichte u. Ulrici ] d. i. die Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik (1847–1918).2↑Denkrichtungen der neueren Zeit ] vgl. Monrad: Denkrichtungen der neueren Zeit. Eine kritische Rundschau. Deutsche vom Verfasser selbst besorgte Bearbeitung. Bonn: Weber 1879 (zuerst Christiania 1874).3↑an Prof. Natorp in Marburg zu übersenden ] vgl. den schließlich in der von Natorp hg. Zeitschrift erschienenen Aufsatz von Monrad: Das Ding an sich als Noumenon. In: Archiv für systematische Philosophie 3 (1897), S. 129–149.▲