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- TitleNr. 7, Heft mit Fadenheftung und Umschlag aus blauem Papier, mit eigenhändigem Titel Einleitung in die Philosophie. | Akademische Vorlesungen. | von W Windelband., auf dem Umschlag Bleistiftnotiz von anderer Hd. Fock 6, Umfang: 36 S., davon beschrieben: 19, Textbeginn auf Bl. 1r, hs. (dt. Schrift), schwarze Tinte, Maße: 20,5 x 16,4 cm, Universitätsbibliothek der Tohoku Universität Sendai (Japan): II, A 2–2 WW 1, 7
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Nr. 7, Heft mit Fadenheftung und Umschlag aus blauem Papier, mit eigenhändigem Titel Einleitung in die Philosophie. | Akademische Vorlesungen. | von W Windelband., auf dem Umschlag Bleistiftnotiz von anderer Hd. Fock 6, Umfang: 36 S., davon beschrieben: 19, Textbeginn auf Bl. 1r, hs. (dt. Schrift), schwarze Tinte, Maße: 20,5 x 16,4 cm, Universitätsbibliothek der Tohoku Universität Sendai (Japan): II, A 2–2 WW 1, 7
Einleitung in die Philosophie.
Akademische Vorlesungen.
Erste Vorlesung.
Vom metaphysischen Bedürfniß.[c]
Meine Herren! Ich habe diese Vorlesungen in der Absicht unternommen, Ihnen die Philosophie sozusagen menschlich näher zu bringen. Sie bedarf dessen leider mehr als alle anderen Wissenschaften. Bei kaum Einem unter Ihnen kann ich darauf rechnen, daß er die Philosophie zum eigentlichen Hauptgegenstande seines Studiums macht, bei Wenigen, daß sie ihr eine eingehendere Beschäftigung widmen: den bei weitem Meisten wird sie immer ein Object nebensächlicher Kenntnißnahme, vielleicht persönlichen Interesses, häufig auch[d] nur gelegentlicher Unterhaltung sein. Wenn ich den Wunsch hege, sie Ihnen werthvoller zu machen, so stehen mir vor Allem die große Masse schiefer oder gänzlich falscher Vorstellungen im Wege, welche – zum Theil nicht ohne Schuld der Philosophen – in weiteren Kreisen über sie verbreitet zu sein pflegen und welche ich Sie, sofern Sie dieselben theilen, zunächst einmal bei Seite zu setzen bitten muß.[e] Und dabei ist es zweifelhaft, ob die Wirkung der Philosophie mehr durch ihre Ueberschätzung, oder durch ihre Unterschätzung beeinträchtigt wird. Bald meint man von ihr, sie bewege sich in so hohen, der Gedankenwelt des gewöhnlichen Menschen so fern liegenden Regionen und bedürfe einer so ganz hingebenden Betreibung, wohl auch einer so besonderen Begabung, daß, wer Anderes vollauf zu thun habe, sich nicht erst mit ihr einlassen solle: bald wieder glaubt man in ihr ein werthloses Wortgezänk, oder ein hohles Phrasengeklingele[f] in mildester Auffassung eine gestaltlose Träumerei und jedenfalls eine völlig nutzlose Zeit-und Gedankenverschwendung zu sehen, welche vor Allem aus der Arbeit der Wissenschaft als ein hemmendes Element zu halten[g] sei. Am meisten möchte, wenn nicht noch jetzt, so doch in einer erst kurz vergangenen Zeit über sie diese letztere[h] Ansicht gang und gäbe gewesen sein[i], welche sich am liebsten dahin auszusprechen pflegt, die Geschichte der Philosophie sei diejenige der menschlichen Irrthümer.
Es wird Sie vielleicht[j] Wunder nehmen, wenn ich Ihnen bekenne, diesem Satze meinerseits nicht einmal widersprechen zu können. Indem ich mir vorbehalte, den Sinn, in welchem wir ihn anerkennen müssen, in dem weiteren Zusammenhange dieser Betrachtungen Ihnen klarer aus einander zu legen, möchte ich Sie nur zunächst auf einen Umstand aufmerksam machen, der mir am besten geeignet scheint, jener Behauptung ihre absprechende Spitze abzubrechen. Zugegeben nämlich, es sei die Geschichte der Philosophie nichts weiter, als diejenige der menschlichen Irrthümer, so ist es doch immerhin[k] recht eigenthümlich, daß, diese Geschichte zu machen, nicht etwa Schwächlinge und Dummköpfe, sondern zu allen Zeiten Männer sich bemüht haben, |[l] welche theils wegen der[m] Größe ihrer Persönlichkeit[n] das bewundernde Andenken der Nachwelt genießen, theils durch ihre Arbeit in den sog. exacten Wissenschaften vor dem Verdacht der Thorheit oder der Albernheit und auch der Oberflächlichkeit[o] gesichert erscheinen sollten. Je mehr man die sonstige geistige Bedeutung der Philosophie anerkennt, um so mehr sollte man bei jenem Urtheil stutzig werden und sich fragen, ob nicht vielleicht doch denjenigen Irrthümern[p], in welche sie den Schwerpunct ihrer Bestrebungen[q] verlegt haben, ein realer Werth zukomme.
Allein jener Vorwurf wird gegen die Philosophie noch im besonderen Sinne erhoben. Auch andere Wissenschaften haben ja ihre Geschichte, und auch diese ist eine solche der Irrthümer. Nur eins zu erwähnen, – welch wunderliche Gänge haben die Phantastereien der Alchemie durchmachen müssen, ehe auch nur das Geringste von dem sich herausarbeitete, was die Chemie jetzt ihr sicheres Besitzthum nennt! Aber in allen diesen Fällen, erwidert man, ist doch die Geschichte der Irrthümer diejenige der werdenden und wachsenden Wahrheit: in der Philosophie ist sie es nicht. Die übrigen Wissenschaften sind, wenn auch auf Irr- und Umwegen doch im Laufe der Zeit alle zu festen Ergebnissen gelangt, welche als Wahrheit gelten und gelten dürfen: – die Philosophie kann sich dessen nicht rühmen. In ihr ist noch heut das gleiche Schwanken und die gleiche Vielgespaltenheit der Meinungen, wie vor zwei Jahrtausenden. Andre Wissenschaften erwerben reale Kenntnisse, welche eine Generation als zins- und zinseszinstragendes Capital für die folgenden zurücklegt: die Philosophie ist noch so arm, wie[r] am Anfang, weil sie mit jedem Vertreter von vorne anfängt. Aus der Geschichte ihrer Irrthümer hat sich noch keine Wahrheit durchgesiebt: sie ist ein Danaidenfaß, in welches jede Zeit ihre Meinungen gießt und welches heut noch so leer ist, wie am ersten Tag. – Auch diesem Tadel ist schwer zu widersprechen, und ich werde auf die Gründe dieser Erscheinung, welche sich sehr einfach klar machen lassen, an späterer Stelle zurückkommen: in diesem Augenblick möchte ich Sie bitten, diese Thatsache von einem besonderen Gesichtspuncte aus in’s Auge zu fassen. Es gehört nämlich[s] nur eine geringe und oberflächliche Kenntniß der Geschichte der Philosophie dazu, um nachzuweisen, daß bei allem Wechsel und allem Widerspruch, die in ihr herrschen, den Grundcharacter eine merkwürdige Stabilität bildet. Wenn man genau zusieht und sich durch den äußeren Anschein der in steter sprachlicher[t] Umbildung begriffenen Terminologie nicht täuschen läßt, so sind es immer dieselben Probleme, mit denen die Philosophen noch heute wie um die Tage des Socrates ringen und die ganze Zeit hindurch gerungen haben, und selbst die Antworten, welche auf diese Räthselfragen gegeben wurden, bewegen sich in bestimmten, stets wiederkehrenden Richtungen. Die Vorstellungen von zwei Jahrtausenden mit ihrem wechselnden Culturinhalt[u] sind durch die philosophischen Systeme hindurchgewandert: aber die Probleme und die Grundrichtungen der Versuche zur Problemlösung sind dieselben geblieben: Es ist das
„qualvoll uralte Räthsel,
Worüber schon manche Häupter gegrübelt,
Häupter in Hieroglyphenmützen,
Häupter in Turban und schwarzem Barett,
Perückenhäupter und tausend andre,
Arme, schwitzende Menschenhäupter“[1] – |[v]
Wenn nun alles Constante auch constante Ursachen hat, so kann[w] diese Gleichförmigkeit[x] nicht zufällig sein. Sie läßt sich in der Weise begreifen, daß es in der Natur der menschlichen Vorstellungsthätigkeit und vielleicht in ihrer Beziehung zu der ihr Erkenntnißobject bildenden Wirklichkeit[y] gewisse constante Veranlassungen zum philosophischen Denken und gewisse constante Nöthigungen giebt, vermöge deren dasselbe immer wieder die gleichen Wege einschlägt. Gerade deshalb diese Thatsache, welche man der Philosophie vorzuwerfen pflegt, dient zu ihrer Rechtfertigung. Wenn der menschliche Geist in allem Wechsel seiner Form und seines Inhalts immer wieder auf diese Probleme zurückdrängt und immer wieder in den gleichen Richtungen sich aus ihnen herauszuwinden sucht, – beweist das unwiderleglich, daß der Philosophie ein sehr reales Bedürfniß des menschlichen Geistes zu Grunde liegt, daß ihre Arbeit nicht in der Luft schwebt, sondern aus unserer Vorstellungswelt organisch erwächst und[z] einen unentbehrlichen Bestandtheil derselben bildet.
Und genau das ist der Standpunct, von dem aus ich es unternehmen will, Ihnen die Philosophie „menschlich näher zu bringen“. Denn sofern dies richtig ist, so wird dies Wesen der Philosophie allein aus demjenigen des menschlichen Geistes, d. h. also[aa] psychologisch begreiflich sein. Ich hoffe Ihnen die Nothwendigkeit klar zu machen, mit welcher in der psychologischen Entwickelung des Menschen die philosophischen Probleme entspringen und ihre Lösung suchen; ich hoffe Sie auf die Puncte zu führen, wo das menschliche Denken unentfliehbar vor den Problemen der Philosophie steht, und zu zeigen, wie die Versuche, welche es zur Lösung derselben macht, ebenso nothwendig durch seine Form und seinen Inhalt bedingt sind. M[it] a[nderen] W[orten]: was diese Vorlesungen beabsichtigen, ist nicht mehr und nicht weniger als eine Psychologie der Philosophie[ab].
Es ist selbstverständlich, daß eine solche Betrachtung sich nur auf die Grundprobleme der Philosophie erstrecken kann, denn nur diese sind überall und zu allen Zeiten die gleichen und lassen sich deshalb auf den allgemeinen, gesetzmäßigen Proceß des menschlichen Geisteslebens zurückführen. Welches diese Grundprobleme sind, kann man natürlich zunächst nur aus der wirklichen Philosophie, d. h. aus ihrer Geschichte lernen. Nur eine vergleichende Induction der in der Geschichte aufgetretenen Systeme kann lehren, welche Fragen überall wiederkehren und welche Formen ihrer Beantwortung sich stetig wiederholen: und erst, wenn man dies festgestellt hat, wird man an die schwierigere Aufgabe herantreten, die Genesis dieser Probleme und ihrer Lösungsversuche psychologisch zu erklären.
In der That ist dies allein der Weg, auf welchem ich zu den Untersuchungen gekommen bin, deren Resultate ich Ihnen hier vortragen will. Allein Sie brauchen nicht zu fürchten, daß ich Sie diesen mühseligen Weg hier führen werde. Das eben ist die akademische Arbeitstheilung, daß ich diese Arbeit für Sie gethan habe.[ac] Die Darstellung dagegen soll den umgekehrten Weg nehmen: sie soll die Probleme und ihre Lösungsversuche vor Ihnen mit psychologischer Nothwendigkeit[ad] entstehen lassen; und ich werde nur, wenn sie fertig vor uns stehen[ae], Sie auf die historischen Erscheinungen aufmerksam machen, in denen sie sich niedergelegt finden. Und auch das nur kurz – denn ich wünsche, so wenig wie möglich von historischen Kenntnissen der Philosophie bei Ihnen voraussetzen zu müssen, um Sie desto besser von der allgemein menschlichen Nothwendigkeit der philosophischen Arbeit zu überzeugen.
Eins allerdings muß ich unweigerlich bei Ihnen allen voraussetzen: das ist der wissenschaftliche Sinn, der Geist der Wahrheit, der mit sittlichen Ernste den Dingen auf den Grund wühlt und der in dieser Arbeit des Gedankens vor keiner Consequenz seiner inneren Nöthigungen[af] zurückschreckt. Vielfach werde ich Sie dabei[ag] auf die nothwendigen Verbindungen auf|[ah]merksam zu machen haben, in welchen sich das philosophische Denken mit den Aufgaben und Arbeiten der übrigen Wissenschaften befindet. Unsere gemeinsame Wanderung wird uns auf allen den Wegen führen, die aus den besonderen Wissenschaften auf die Philosophie hinweisen, und so hoffe ich, daß Keiner von Ihnen auch für das unmittelbare Interesse seines speciellen Wissenszweiges leer ausgehen, sondern Jeder einmal sich an dem Puncte befinden soll, wo seine Wissenschaft nothwendig in die Philosophie übergeht.
Ihren Ausgangspunct kann diese Betrachtung natürlich von keinem der einzelnen Probleme nehmen, welche etwa das Interesse der einen oder der anderen Wissenschaft mit sich bringt, sondern nur von den allgemeinsten aller Probleme, von demjenigen, welches schon allen besonderen Wissenschaften vorhergehend, in dem allgemeinen Bewußtsein seinen natürlichen und überall gleichen Ursprung hat. Was verlangt denn dies allgemeine Bewußtsein von der Philosophie? Mit welcher Frage wendet sich an sie der Laie? Es ist leicht möglich, daß er sich zuerst von ihr ein ganz andre Vorstellung macht, als es in der wissenschaftlichen Auffassung erscheint: aber in letzter Instanz wurzelt doch diese wissenschaftliche Auffassung auch immer in den ursprünglichen Fragen, die der Laie gethan hat. Den Laien interessirt an der Naturwissenschaft vielleicht die Frage nach der Entstehung des Regenbogens[ai] oder die Zertheilung des electrischen Lichtes[aj]: der Naturforscher fragt nach dem gesetzmäßigen Zusammenhange der Körperwelt und ihrer Bewegungen; aber zuletzt ist doch dies ihr wissenschaftliches Fragen auch immer aus jener Neugierde des Staunens und aus practischen Bedürfnissen hervorgewachsen. Der Laie will von der Jurisprudenz vielleicht Aufklärung über den Werth der Schwurgerichte[2] oder die Berechtigung der Todesstrafe: Die Jurisprudenz, welche die Entwickelung des Begriffs des Rechts für ihre Aufgabe erklärt, ist doch in ihrem Beginne sicher auch aus den practischen Aufgaben des staatlichen Zusammenlebens entsprungen.[ak] Wir lassen deshalb die zahllosen Definitionen vom Wesen der Philosophie, welche im Laufe der Zeit von den Philosophen aufgestellt worden sind, zunächst gern beiseite: jedes Lehr- und Handbuch der Geschichte der Philosophie, jede Encyclopädie hat sie verzeichnet. Statt dessen fragen wir uns: Was interessirt den Laien an der Philosophie? was will er von ihr? Die Tausende, die doch auch jetzt noch sich fragend an die Philosophie wenden, – was suchen sie darin? Ich glaube, es läßt sich sehr kurz und einfach zusammenfassen: sie suchen eine Weltanschauung und zwar in wissenschaftlicher Entwickelung und Begründung, ein Wissen vom Weltall. In der Definition des Laiens ist die Philosophie die Wissenschaft der Weltanschauung[al].
Wie kommt der Mensch dazu, eine solche Wissenschaft zu suchen? Wozu braucht er eine Weltanschauung? und weßhalb sucht er sie bei der Wissenschaft? Das sind die Vorfragen, welche uns vielleicht am schnellsten in das Innerste des philosophischen Denkens einführen, und ihnen wollen wir die heutige Betrachtung widmen. Ein neuerer Philosoph, Schopenhauer, hat diesen Trieb des Menschen, eine Weltanschauung zu suchen, mit einem Schlagworte bezeichnet, welches sich in die allgemeine Ausdrucksweise verpflanzt hat: er nennt ihn das metaphysische Bedürfniß[am].
Lassen Sie mich mit einer Worterklärung beginnen. Jene schopenhauer’sche Bezeichnung rührt von einem Theil der Philosophie her, welcher als Metaphysik bezeichnet wird. Welcher ist dies? Es ist aus dem Worte nicht zu erkennen, und der Name hat einen sehr äußerlichen und zufälligen Ursprung. Das Werk nämlich, in welchem Aristoteles[an] diese Disciplin behandelt hatte, stand in der ersten Sammlung seiner Schriften hinter der Physik, μετὰ τὰ φυσικά, und da der Sammler dafür keinen besseren Titel wußte, so bezeichnete er diese Bücher als τὰ μετὰ τὰ φυσικά; und so hat sich der Name Metaphysik gebildet. Was war nun das für eine Disciplin? Jener Sammler hätte bei Aristoteles[ao] selbst den besseren Namen finden können; Aristoteles[ap] nannte sie die πρώτη φιλοσοφία, zu deutsch „erste Wissenschaft“; |[aq] denn φιλοσοφία bedeutet im platonisch-aristotelischen Sprachgebrauch genau dasselbe, was wir im Deutschen mit dem Worte Wissenschaft bezeichnen. Aber was ist die erste Wissenschaft? Die Ordnungszahl besagt hier nicht etwa eine äußerliche Numerirung, sondern das wissenschaftliche Werthverhältniß: in der Wissenschaft geht das Begründende dem Folgenden vorher, und die erste Wissenschaft ist deshalb die alle übrigen begründende, die Grundwissenschaft. So bestimmt denn Aristoteles[ar] ihre Aufgabe dahin: δεῖ αἰτήν τῶν πρώτων ἀρχῶν καὶ αἰτιῶν εἶναι ϑεωρητικήν[3]. Es ist diejenige Wissenschaft, welche sich nicht mit der Erkenntniß einzelner Dinge oder Regionen von Dingen, sondern mit der Einsicht in die höchsten und letzten Gründe alles Seins beschäftigen will – die Wissenschaft eben der Weltanschauung. Die Metaphysik also ist die Disciplin der Philosophie, welche den Laien im Wesentlichen interessirt, – an den übrigen, die auch in der Folge zur Sprache kommen werden, nimmt er stets nur ein bedingtes, nämlich eben durch die metaphysische Beziehung bedingtes Interesse.
Indessen hat nun mit der Zeit das Wort metaphysisch eine allgemeinere Bedeutung gewonnen. Nicht nur das wissenschaftliche, resp. mit dem[as] Anspruch der Wissenschaftlichkeit auftretende, sondern jedes andere Denken, welches zur Weltanschauung strebt, und allgemeine Ergebnisse über den Zusammenhang der Dinge aufsucht resp. gefunden zu haben meint, pflegt man als metaphysisch zu bezeichnen: und sofern nun im menschlichen ein allgemeiner und durch kein Fehlschlagen zerstörbarer Trieb nach einer[at] den ganzen Umfang der Dinge umfassenden Erkenntniß besteht, sprechen wir von metaphysischem Bedürfniß. Ehe wir nun fragen, wie dasselbe entsteht und bedingt ist, wollen wir uns zunächst nach den Thatsachen umsehen, in welchen es sich[au] zu manifestiren pflegt: es wird sich zeigen, daß es auf allen Stufen des individuellen wie des allgemeinen Geisteslebens seinen Ausdruck und seine Bethätigung findet.
Wenn das Kind die Freiheit des selbständigen Denkens gewonnen hat, so zeigt dasselbe[av] nach[aw] allgemeiner Erfahrung eine lebhafte und oft zur Unbequemlichkeit der Erzieher gesteigerte Fragethätigkeit, und zwar besonders nach den Richtungen, welche über den Kreis der unmittelbaren Erfahrbarkeit hinausgehen. Ob diese bunte Mannigfaltigkeit der Dinge, die wir erfahren, irgendwo eine Grenze hat, – wie es jenseits jenes blauen Himmelsgewölbes aussehen mag, das diese Grenze zu bilden scheint, – woher die Dinge kommen und wohin sie gehen – was den Weg, den sie machen, ihnen vorschreibt –: diese Räthsel von Geburt und Tod und Weltbewegung ergreifen das jugendliche Gemüth: und aus Ammenmärchen und Elternbelehrung setzt sich dann eine elastisch verschwommene Vorstellungsmasse zusammen, in welcher das Kind sich von dem, was es nicht weiß, „eine Vorstellung macht“, ein dürftig gezeichnetes, vielfach sich in einander verschiebendes Bild von der umgebenden Welt. Das ist die Metaphysik der Kinderstube.
Die Kindheit der Menschheit zeigt in großen Zügen die analoge Erscheinung. Dieselben großen Räthsel, die das Menschendasein umfangen, setzen auch hier die Phantasie in Bewegung. Aber indem die luftigen Vorstellungsgebilde sich mit dem Ernst des wirklichen Lebens durchdringen, verdichten sie sich zu religiösen Gestalten. So ist keine Religion, auch nicht die niedersten Formen des Fetischismus[ax], ohne wenigstens den Versuch einer Weltanschauung: jede enthält mehr oder minder ausgebildete Vorstellungen über den Zusammenhang aller Dinge und die sie bewegenden Kräfte[ay], über den Ursprung der Welt und des Menschen, über ihre einstige Bestimmung. Auch diese Weltanschauungen sind noch kaleidoscopisch beweglich. Ihre einzelnen Gestalten haben noch unbestimmte Linien und gehen leicht in einander über, weil sie sich von dem allgemeinen Hintergrunde noch nicht scharf abheben. Das ist Metaphysik der Mythologie. |[az]
Diese Unbestimmtheit der religiösen Metaphysik hört überall da auf, wo das religiöse Leben die Form der Kirche annimmt. Aus mannigfachen Gründen, deren Entwickelung nicht dieses Orts ist, bedarf jede Kirche für ihre innere Organisation so gut wie für ihre äußere Abgrenzung und für ihren Kampf um’s Dasein mit anderen Religionen und Kirchen eines fest und klar bestimmten Lehrgehaltes. An die Stelle der mythischen Umrisse treten hier die sicheren Linien von Lehrsätzen, welche den Glaubensinhalt der Gemeinde bilden, und in diesen werden nun wieder eben jene großen Fragen in scharfer Formulirung beantwortet. Das ist die Metaphysik des Dogma’s.
So ist nun das individuelle Geistesleben von Jugend auf von einer allgemeinen metaphysischen Bewegung umsponnen, und der metaphysische Trieb des Einzelnen wird auf diese Weise von Anfang an in eine bestimmte Richtung gedrängt. Bei den Naturvölkern wächst das Individuum unmerklich und absichtslos in die mythologische Metaphysik hinein, bei den Culturvölkern trägt ihm die Kirche ihre dogmatische Metaphysik in der Erziehung entgegen. So graben sich in unsre Seele mit fast unverwischbarer Kräftigkeit die Grundzüge der Weltanschauung ein, welche der Culturzustand, in den wir hineingeboren sind, als die seinige erzeugt hat. Und mit dieser Betrachtungsweise beruhigt sich der[ba] metaphysische Trieb des bei weitem größten Theils der Menschen; selbst bei der Mehrzahl derjenigen, welche mit dem eignen Nachdenken sich die Dinge zu erklären suchen, bilden doch jene Grundzüge der allgemeinen Metaphysik stets den Rahmen, innerhalb dessen ihr metaphysisches Bestreben nur etwa das Besondere[bb] individuell auszuführen bemüht ist.
Nur bei Wenigen findet der metaphysische Trieb auch eine eigenartige[bc] Bethätigung und zwar eben in dem Grade, als sie eigenartige Persönlichkeiten sind und die freie Höhe selbständiger Geistesentwickelung erreicht haben. Zu diesen Wenigen gehören in erster Linie die großen Dichter. Wir sprechen mit Recht von der eignen Weltanschauung eines Sophocles, Cervantes, Skakespeare und Goethe, und es ist uns eine besonderer Genuß, dieselbe aus ihren Werken uns entgegentreten zu sehen[bd], es ist eine der wesentlichsten Aufgaben der Literaturgeschichte, diese Weltanschauungen der Dichter klar herauszustellen und aus ihrer Persönlichkeit wie aus ihrem Lebensgeschick dieselben zu begreifen. Auch die Neigung, mit der der Einzelne von uns sich zu dem einen oder dem anderen als seinem Lieblingsdichter hingezogen fühlt, beruht zum wesentlichen Theile auf dem sympathischen Eindruck, mit dem ihn dessen[be] Weltanschauung berührt. Von dem Dichter, dessen Werke uns als Genuß und Stärkung durch das Leben begleiten sollen, verlangen wir, daß seine ganze Art, sich die Welt zu denken, der unsrigen als ein Ideal vorschwebe. Das ist die Metaphysik der Poesie.
Aber wenn uns an den Weltanschauungen der Mythologien und der Dichter der aesthetische Reiz ihrer phantasievollen Duftigkeit das wesentlichste ist, so bedürfen wir doch auch einer Weltanschauung, die wir für wahr halten können, die uns als ein Abbild der wirklichen Welt gelten darf. Unter diesem Wahrheitsbedürfniß verwandelt sich das Spiel der Weltanschauung in den Ernst der Welterkenntniß[bf]. So verlangt die Kirche von jedem ihrer Angehörigen und auch wohl über deren Kreis hinaus, die volle Anerkennung der Wahrheit für die Metaphysik, welche sie in ihren Dogmen niedergelegt hat. Wer sich aber aus irgend welchen Gründen bei dem Glauben an die Autorität nicht beruhigt, dessen metaphysischer Trieb muß, wo er vom Wahrheitsbedürfniß erfüllt ist, sich an die Wissenschaft wenden. Mit den von ihr systematisch gewonnenen Kenntnissen wird er in methodischer Weise ein Weltbild zu schaffen suchen, welches in seinen einzelnen Theilen wie in der Structur seines Zusammenhanges auf durchgängige Richtigkeit Anspruch soll machen dürfen. Diesem Triebe des gewöhnlichen Denkens aber kommt aus der Wissen|[bg]schaft selbst ein verwandtes Streben entgegen. Denn die ganze Art des wissenschaftlichen Denkens ist bei aller Sorgsamkeit der Einzelerkenntniß doch immer auf Allgemeinheit gerichtet und auf Vollständigkeit angelegt; und je tiefer die Forschung in das Einzelnen einzudringen versucht, um so mehr erkennt sie, daß das wahrhafte Ergreifen des Einzelnen und des Kleinsten nur aus dem Ganzen und Großen möglich ist. Das Omnia ubique[bh][4], worauf die Forschung an allen Ecken stößt, führt direct in die Metaphysik. Wenn die wissenschaftliche Thätigkeit so von den einzelnen[bi] Erscheinungen, die zunächst ihre Wißbegierde reizen, zu immer höheren Zusammenhängen und Ausblicken[bj] emporsteigt, so hat sie darin den gemeinsamen Trieb, sich in einem Wissenszweige zu vollenden, der die Resultate aller übrigen Wissenschaften zu einer Welterkenntniß zusammenfaßt. Das ist die Metaphysik der Wissenschaft oder die Metaphysik als Wissenschaft.
Betrachten wir nun diese verschiedenen Formen, in denen sich der metaphysische Trieb bethätigt und sehen wir zu, welche Mittel er dazu benutzt, so so sind es eben stets die schon auf anderem Wege und vorher gewonnenen Vorstellungen, welche er benutzt, um aus ihnen das Bild der Welt, daß er sucht, zusammenzuweben. Die Richtung, welche der metaphysische Trieb nimmt, ist stets durch die Vorstellungsmassen bestimmt, welche er vorfindet. Er gestaltet sich[bk] beim entwickelten Menschen[bl] anders, als beim Kinde, beim Manne anders, als beim Weibe, beim Deutschen anders als beim Griechen, bei dem Denker der Wissenschaft anders als beim Dichter, bei dem Gebildeten anders, als beim Manne des Volkes.
Hieraus ergiebt sich ein wichtiger Gesichtspunct für die richtige Beurtheilung der Philosophie. Liegt ihr Schwerpunct in der Metaphysik, in dem Entwurfe einer Weltanschauung, so befindet sie sich in steter Abhängigkeit von dem Zustande des Vorstellungsmaterials, welches sie zur Bildung desselben verwenden muß, welches sie nicht selbst erzeugt, sondern bereits in seiner unzusammenhängenden Mannigfaltigkeit vorfindet, und welchem sie nur die wissenschaftliche Form der Systematisirung zu geben hat. Daraus begreift sich in erster Linie der ewige Wechsel der Meinungen, welchen man der Philosophie vorzuwerfen geneigt ist: er ist genau so groß, wie der Wechsel der Vorstellungen, welche der menschliche Geist in seiner Culturentwicklung gewinnt, und die Philosophie, welche in dieser Hinsicht nur das begleitende Selbstbewußtsein der menschlichen Culturgeschichte ist, hat deshalb zunächst den Beruf, der letzteren in alle ihre Wandlungen zu folgen, und ihre Aufgabe in jedem besonderen Momente besteht nur darin, die in demselben vorliegenden Ideen zu einem Weltbilde zusammenzuarbeiten. Daraus aber ergiebt sich zweitens, daß dieselbe durchaus nicht allein für alle irrigen Vorstellungen, mit denen sie operirt, und für alle Widersprüche, in die sie sich verwickelt, verantwortlich gemacht werden kann. Es ist in ihr gerade so viel Wahrheit und gerade so viel Irrthum, wie in dem geistigen Zustande, dessen zusammenfassendes Resultat sie ist. Wenn man ihre Geschichte diejenige der menschlichen Irrthümer nennt, so soll man nicht vergessen, daß der größere[bm] Theil dieser Irrthümer in denjenigen der übrigen Wissenschaften seinen Ursprung hat, und wenn ihre gesammte historische Bewegung eine tief widerspruchsvolle ist, so muß man bedenken, daß diese Widersprüche zwischen eben den Vorstellungsmassen bestanden, welche, nicht von ihr erzeugt, ihr nur den Stoff ihrer Arbeit geben mußten.
Dazu kommt ein ursprüngliches und niemals auszugleichendes Mißverhältniß zwischen der Anforderung, welche man an die Philosophie stellt und welche die Philosophen kühn genug sind erfüllen zu wollen, und den Mitteln, welche ihnen für die Leistung ihres Versprechens zu Gebote stehen. Jede Zeit verlangt von der Philosophie, daß das von ihr |[bn] zu entwerfende Weltbild richtig sei, und doch hat dieselbe für dessen Entwurf nur eben die Vorstellungen zur Verfügung, welche bis zu dieser Zeit errungen sind. Wollte sich daher die Metaphysik ganz streng in den Grenzen des wissenschaftlich Feststellbaren und Beweisbaren halten, so würde sie auf ihr Vorhaben, das Weltganze zu begreifen, schon wegen der Unvollständigkeit des Kenntnißmaterials verzichten müssen: – ein Verhältniß, das noch von anderen Seiten später betrachtet werden wird. Der metaphysische Trieb aber, der vor Allem in dem Philosophen selbst lebendig ist, will trotzdem von seinem Ziele nicht lassen. Die psychologische Folge davon ist dann einfach die, daß an den Stellen, wo in dem Entwurf des Weltbildes die wissenschaftlich Beweiskraft aufhört, zur Ausfüllung der Lücken des Wissens und des Begreifens eine andre Seelenthätigkeit in Kraft tritt, – dieselbe, welche auch in der mythologischen und dichterischen Metaphysik noch viel freier und zugestandener ihr Spiel treibt und treiben muß, – die Phantasie.
So wird denn, solange die menschliche Erkenntnißthätigkeit nicht an ihrem Ende angekommen ist, in der Philosophie, sofern sie Weltanschauung geben soll, stets der wissenschaftliche Verstand eine Kryptogamie mit der Phantasie eingehen müssen. Hierin besteht die nahe Verwandtschaft, in der sich die Philosophie früher mit den mythologischen Vorstellungen und seit dem Zeitalter der Griechen mit der dichterischen Thätigkeit befunden hat, hierauf beruht es, daß man in neuerer Zeit die Metaphysik geradezu als eine Begriffsdichtung hat bezeichnen können. Der metaphysische Trieb sprengt eben mit einer Art von Naturnothwendigkeit die engen Schranken der rein wissenschaftlichen Thätigkeit und entfaltet die Kräfte der Phantasie. Diese Verwandtschaft von Dichtung und Philosophie zeigt sich auch in der innigen Verflechtung, welche beide in der Geschichte, und zwar besonders auf dem Höhepunct der culturgeschichtlichen Lebendigkeit[bo] eingehen: wie nahe steht die attische Tragödie der attischen Philosophie, welche Fäden innigsten Verständnisses[bp] laufen zwischen den großen Systemen des Thomas[bq] von Aquino[br] und Dante’s[bs] göttlicher Komödie, – welche reiche Gemeinsamkeit philosophischen und poetischen Lebens zeigt die romantische Schule in Deutschland: und wie wunderbar vereinbar philosophische und poetische Begabung sind, tritt uns in den gewaltigen Gestalten Platon’s[bt] und Schelling’s[bu] oder in feinfühligen Nebengestalten, wie derjenigen von Novalis[bv] entgegen! Dieses dichterische Element der Metaphysik[bw] ruht selbst da in der Tiefe, wo sich dieselbe in lediglich trockenen Begriffsentwickelungen zu ergehen scheint: – wovon Spinoza[bx] der klassische Typus ist.
Diese Mitwirkung der Phantasie ist der Grund davon, daß wir jedem System der Philosophie gegenüber nicht nur ein wissenschaftlich kritisches, sondern stets eine Art von aesthetischem Verhältniß haben. Was uns bei andern Wissenschaften nie einfällt, empfinden[by] wir der Philosophie gegenüber: wir fragen nicht nur, ob ihre Lehren wahr sind, sondern wir geben der Frage Raum, wie sie uns anmuthen. In der That ist es danach auch objectiv falsch, den Werth einer Philosophie lediglich nach ihrer wissenschaftlichen Bedeutung abzuschätzen und überhaupt, die Philosophie als historische Erscheinung[bz], wie es allgemein geschieht, so einfach unter den Begriff der Wissenschaft zu subsumiren. Man thut damit beiden Unrecht: der Philosophie, indem man ihrem weiter |[ca] ausschauenden Streben zu enge Grenzen setzt, – der Wissenschaft, indem man sie für Alles verantwortlich macht, was z[um] Th[eil] aus so ganz anderen Vorstellungsgebieten in die Philosophie einströmt. Und dieser künstlerische Character der Metaphysik[cb] ist schließlich auch der Grund, weshalb in ihr mehr als in irgend einer anderen Wissenschaft die Größe der Leistung von der Energie der Individualität und andrerseits[cc] genialer Conception und intuitiver Gestaltung abhängig ist. Auch die Philosophen haben sich, wie die Dichter, gern von Gott beseelt genannt.
Dies, meine Herren, sind die wesentlichen Formen, in denen uns thatsächlich der metaphysische Trieb des Menschen entgegentritt: sehen wir nun zu, wie wir seinen Ursprung und seine Wirkung psychologisch zu begreifen vermögen.
Ueberall, wo wir ihn bewußt finden, tritt er in der Gestalt auf, Erkenntniß des Weltganzen zu sein. Er setzt also die Vorstellung des Weltganzen und eine Reihe von Motiven voraus, welche die Erkenntniß desselben erstrebenswerth erscheinen lassen.
Wie entsteht nun, fragen wir zunächst, die Vorstellung von der Welt? Auch sie macht eine Reihe von Entwickelungen durch, welche wir wohl zu beachten haben: denn sie ist kein dem primitiven und dem kindlichen Denken selbstverständliches, sondern ein durch mannichfache Denkprocesse combinirtes und durch mehrere Wandlungen hindurchgegangenes Gebilde. Man darf nicht übersehen, daß die Philosophie sich von allen Wissenschaften dadurch principiell und fundamental unterscheidet, daß der Gegenstand ihrer Erkenntniß, das Weltganze, nicht eine in der Erfahrung dargebotene Vorstellung oder Vorstellungsgruppe ist, sondern von vornherein jenseits nicht nur der factischen, sondern aller möglichen Erfahrung überhaupt gesucht werden muß: und schon daraus wird es sich in allgemeiner Weise, wenn nicht rechtfertigen, so doch begreiflich finden lassen, daß die Mehrzahl der Philosophen der Meinung gewesen ist, es müsse diese, von denjenigen aller besonderen Wissenschaften verschiedene Aufgabe auch durch eine ganz besondere Erkenntnißweise gelöst, es müsse das unerfahrene[cd] Weltganze durch eine von der Erfahrung durchaus verschiedene Methode begriffen werden.[ce]
Die nächste Veranlassung zur Bildung des Weltbegriffes dürfte in dem (später noch zu besprechenden) einfachen Bedürfniß einer Zusammenfassung der dem Bewußtsein bekannten Gegenstände zu suchen sein: er ist zunächst durch Addition entstanden zu denken. Er ist das Conglomerat unserer Vorstellungen, er bedeutet die Summe der uns bekannten Dinge, einen lediglich aggregatartigen Complex des Bekannten. In diesem Sinne erwähnt Locke[cf] die Vorstellung der Welt als das eminenteste Beispiel dafür, wie heterogene „Ideen“ der menschliche Geist formell zusammenzufassen und durch ein gemeinsames Wort zu bezeichnen im Stande ist. Alle unsre Vorstellungen in Einen Topf geworfen, – das ist es, was wir zunächst die Welt nennen – mundus[cg].[ch]
Kommentar zum Textbefund
b↑Windelband. | ] gegenüber auf der Umschlaginnenseite Inventarstempel; Bl. 1v Besitzstempel der Tohoku und ergänzender Text zur Einfügung, Bl. 2r oben links ein weiterer Stempel über 4 Zeilen des Textes, Fortsetzung des Textesy↑und vielleicht in ihrer Beziehung zu der ihr Erkenntnißobject bildenden Wirklichkeit ] mit Einfügungszeichen auf Bl. 3v mit Bleistift geschriebenaj↑die Zertheilung des electrischen Lichtes ] Einfügung über der Zeile für gestrichen: der Entwurf einer guten Maschinebd↑uns entgegentreten zu sehen ] mit Einfügungszeichen auf Bl. 6v geschrieben für gestrichen: zusammenzulesence↑werden. ] danach Einfügungszeichen, gegenüber ohne Einfügungszeichen auf Bl. 9v geschrieben: In der That ist das Weltganze in keiner Erfahrung weder des äußeren noch des inneren Sinnes gegeben noch kann es je gegeben sein – ein Gedanke, den Kant in seiner Kritik aller Metaphysik dahin ausgesprochen hat, daß die transcendentalen Vernunftaufgaben „sämmtlich auf eine Erkenntniß des All hinauslaufen“, welche eben deshalb unmöglich ist, weil das All kein Gegenstand möglicher Erfahrung ist.Kommentar der Herausgeber
1↑„qualvoll … Menschenhäupter“ ] vgl. Heinrich Heine: VII. Fragen. In ders.: Buch der Lieder. Hamburg: Hoffmann und Campe 1827, S. 363.2↑Schwurgerichte ] im Zuge der Reichsgründung von 1871 eingeführt, 1877 im Gerichtsverfassungsgesetz geregelt. An den Landgerichten für Tötungsdelikte und andere schwere Delikte zuständig, u. a. Presserechtsachen. Getrennte Befindung (bis 1924) über Strafe und Prozeßführung (Richter) und über Schuld und mildernde Umstände (Geschworene), vgl. Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866–1918 Bd. 2. Machtstaat vor der Demokratie. München: Beck 1992, S. 184–185 u. 188–190.3↑δεῖ … ϑεωρητικήν ] bei Aristoteles, Metaphysik 982b heißt es: δεῖ γὰρ ταύτην τῶν πρώτων ἀρχῶν καὶ αἰτιῶν εἶναι ϑεωρητικήν (Wissenschaft der ersten Ursachen und der obersten Gründe).▲