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- TitleNr. 4, Heft mit Fadenheftung und Umschlag aus blauem Papier, mit eigenhändigem Titel Grundlinien der Rechtsphilosophie. | Windelband. | Vorgetr. zuerst Freiburg, Sommer 1882., vordere Umschlagseite beschädigt (siehe Nr. 9), Umfang: 48 S., davon beschrieben: 35, 1 beigelegtes, gefaltetes Bl. mit 4 beschriebenen S., Textbeginn auf Bl. 1r, hs. (dt. Schrift), schwarze Tinte, Maße: 20,0 x 16,3 cm, Beilage (aufgeklappt): 33,3 x 21,0 cm, Universitätsbibliothek der Tohoku Universität Sendai (Japan): II, A 2–2 WW 1, 4
- ParticipantsAdolf Lasson ; Aristoteles ; August Geyer ; Benedikt Winkler ; Benno Erdmann ; Christian Thomasius ; Christian Wolff ; Christoph Sigwart ; Cicero ; Claude Adrien Helvétius ; David August Röder ; Epikur ; Ernst Zitelmann ; Francis Bacon ; Franz von Baader ; Friedrich Adolf Trendelenburg ; Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher ; Friedrich Eduard Beneke ; Friedrich Julius Stahl ; Friedrich Wilhelm Joseph Schelling ; Georg Wilhelm Friedrich Hegel ; Gottfried Wilhelm Leibniz ; Gustav Rümelin ; Heinrich Ahrens ; Hermann Ulrici ; Hugo Grotius ; Immanuel Kant ; Jean-Jacques Rousseau ; Jeremy Bentham ; Johann Friedrich Herbart ; Johann Gottlieb Fichte ; Johann Oldendorp ; Johann Wolfgang von Goethe ; Karl Christian Friedrich Krause ; Karl David August Röder ; Karl Ludwig Michelet ; Marsilius von Padua ; Niels Hemmingsen ; Philipp Melanchthon ; Platon ; Ptolemaeus Lucensis ; Robert von Mohl ; Rudolf von Ihering ; Samuel Pufendorf ; Thomas Hobbes ; Thomas Morus ; Thomas von Aquin ; Tommaso Campanella
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- Physical LocationUniversitätsbibliothek der Tohoku Universität Sendai (Japan)
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Nr. 4, Heft mit Fadenheftung und Umschlag aus blauem Papier, mit eigenhändigem Titel Grundlinien der Rechtsphilosophie. | Windelband. | Vorgetr. zuerst Freiburg, Sommer 1882., vordere Umschlagseite beschädigt (siehe Nr. 9), Umfang: 48 S., davon beschrieben: 35, 1 beigelegtes, gefaltetes Bl. mit 4 beschriebenen S., Textbeginn auf Bl. 1r, hs. (dt. Schrift), schwarze Tinte, Maße: 20,0 x 16,3 cm, Beilage (aufgeklappt): 33,3 x 21,0 cm, Universitätsbibliothek der Tohoku Universität Sendai (Japan): II, A 2–2 WW 1, 4
Grundlinien der Rechtsphilosophie.
Windelband.
Vorgetr[agen] zuerst Freiburg, Sommer 1882. |[a]
Einleitung[b]
Ueber den Gegenstand, über die Aufgabe seiner Behandlung, über die Methode der Lösung dieser Aufgabe, womit sich ein Blick auf die Geschichte dieser Wissenschaft und die Literatur derselben verbindet, und woraus sich die Gliederung des Stoffes ergiebt.
§ 1. Der Gegenstand der Rechtsphilosophie.[c]
Mißtrauen gegen die R[echtsphilosophie] gerade von Seiten der Juristen, als ob es sich in derselben um ein besonderes philos[ophisches] Recht handele, ein Recht, das nirgends existire, ein utopisches Recht. Veranlassung dazu in der That durch die frühere Behandlung ; Naturrecht, Vernunftrecht; im Gegensatze zum positiven Rechte.
Der Begriff der Naturrechts und Vernunftrechts hat eine sehr complizirte Gestaltung, die sich erst später bei der allgemeinen Behandlung des Rechtsbegriffs verständlich machen läßt nach seiner berechtigten, wie nach seiner unberechtigten Seite hin.
Falsch, sich für ein solches utopisches Recht auf die römischen Juristen, die überhaupt der philosophischen Behandlung ihres Gegenstandes fern standen,[d] die von einer naturae, lex naturalis, ratio naturalis etc.[e] sprechen: sie meinen damit theils das bestehende Rechtsbewußtsein oder Rechtsgefühl, theils die[f] logische Consequenz im Zusammenhange der Rechtssätze; niemals aber ein dem positiven gegenüberstehendes Recht, sondern vielmehr eine psych[ische][g] Quelle des positiven Rechtes: daher davon bei den Rechtsmotiven[h] zu handeln.
Ganz anders ist der Sinn des Worts in der neueren Zeit: Man nennt gewöhnlich Hugo Grotius[i] (1583–1645: de jure belli et pacis[j] 1625) den Urheber dieser Sinnbezeichnung. Nicht mit völligem Rechte denn bei Gr[otius][k] hat das ius naturale[l] eine vorwiegend erkenntnißtheoretische Bedeutung. Das Mittelalter hatte den Begriff und Inhalt des Rechts vorwiegend theologisch abgeleitet; er wollte zeigen, daß es sich erklären lasse aus der menschlichen Natur.
Die Quelle der Erklärung für das bestehende Recht wird in der menschlichen Natur gesucht: das Recht ist ein natürliches Product der menschlichen Gesellschaft und als solches zu begreifen.
Die „menschliche Natur“ ist ein abstract Allgemeines, überall Gleiches, von Raum und Zeit Unabhängiges: was aus ihr folgt, muß ebenso sein.
Das Recht also, das auf diese Weise abgeleitet wird, ist ein anderes als das positive, welches wechselt, welches nach Raum, Zeit und historischer Causalität verschieden ist.[m] So geht der rationalistische Rechtsbegriff in die Vorstellung eines idealen Rechtes über. Gegensatz des natürlichen und des historischen Rechtes.
Damit verknüpfen sich dann alle die Träume von einem besseren, werthvolleren Zustande der menschlichen Gesellschaft, die jede Zeit geträumt hat, – bald denselben als das goldne Zeitalter der Vergangenheit, bald als die Aufgabe der Zukunft bezeichnet. Gerade die Renaissance mit ihren großen politischen Umwälzungen giebt dazu Anlaß. In der Erinnerung an Plato[n]’s Idealstaat entstehen diese „Staatsromane“, diese „Utopien“: Thomas Morus: „De optimo rei publicae statu deque nova insula Utopia.“[o] 1516 vgl. Rob[ert] v[on] Mohl: „Die Staatsromane in Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften“ Erlangen 1855 |[p]
Thomas Campanella: Civitas solis[q] (ersch[ienen] 1623 als Anfang zur Philosophia epilogistica[r]). Die dem Bacon[s] zugeschriebene Atlantis[t] – etc.[u] bis zu den socialistischen Theorien der Gegenwart. Das ideale Recht als Kritik des wirklichen, – das natürliche als Maaßstab des historischen. Das bleibt nicht Theorie, wird Praxis als Revolution: Rousseau … Man macht tabula rasa[v] mit der Geschichte, um das Naturrecht zu etabliren; die Proclamation der Menschenrechte 1793.
In etwas anderer Verschiebung treten diese Gedanken in der deutschen Philos[ophie] auf. Hier legt man schon seit Thomasius[w] (1655–1728) fundamenta iuris naturae et gentium[x] 1705 darauf Gewicht, daß es im Gegensatze zur Erfahrung, der man die Kenntniß des historischen Rechts verdankt, die Vernunft sei, aus deren Ueberlegung man das Bild des idealen Rechtes erzeugt. Vernunftrecht.
Bei Kant das Recht aus reiner Vernunft. „Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre“ 1797. Herrschend die Vorstellung, daß das Vernunftrecht den idealen Zweck bilde, auf welchen der historische Proceß mit seiner natürlichen Nothwendigkeit hinführe: nicht revolutionair[y] sondern geschichtsphilosophisch.
Idealismus statt abstractem Naturalismus: die Idee als der[z] Zweck, der sich in der Wirklichkeit realisirt. Das Vernunftrecht als die Idee des Rechts, die sich mehr oder minder unvollkommen in dem wirklichen Rechte realisirt.
Lehre vom wirklichen Recht – Jurisprudenz. Lehre vom idealen Recht – Rechtsphilos[ophie]. Parallele der Natur- resp. Vernunftreligion und der positiven Religion.[aa] Diesen Standpunct theilen wir nicht; in unsrer Rechtsphilosophie handelt es sich auch nur um das wirkliche Recht und sein Verständniß.
Aber es liegt in jenem Gegensatze ein berechtigtes, nur mißverstandenes Moment, das schon hier kurz anzudeuten: Der Gegensatz[ab] von dem, was Recht ist, resp. gewesen ist – und dem, was Recht sein sollte. „Ungerechtigkeit“ des „Rechts“.[ac]
Rechtsbewußtsein und Rechtsgefühl. Vergleichung des wirklichen Rechts mit einer Aufgabe, deren Lösung man von ihm erwartet und der es angemessen sein sollte. Diese Beurtheilung des bestehenden Rechts eine zweifellose Thatsache. Aber sie vollzieht sich in sehr subjectiver und variabler Weise.
Ist sie objectiv zu machen? Das ist eine Frage, die erst in der Rechtsphilos[ophie] selbst[ad] zur Besprechung kommen muß – sehr complicirter Natur – und deren naive, falsche Bejahung[ae] das πρῶτον φεῦδος[1] allen „Naturrechts“[af] bildet.
Giebt es einen solchen Maßstab, so ist er eben der Zweck, für welchen das Recht da ist, also nicht selbst wieder ein Recht, – sondern eine höhere Gestaltung, um derentwillen das Recht da ist.
Es ist sehr möglich – und genau das bildet den Gesichtspunct unserer Auffassung –, daß es einen Zweck giebt, an welchem jedesmal der Werth des bestehenden Rechtes geprüft werden darf, weil es dazu da ist, diesen zu erfüllen, daß es aber absolut unmöglich ist, aus diesem Zweck heraus ein ideales Recht, das überall gleich gelten und diesem Zwecke entsprechen sollte, zu construiren.
Parallele mit wahr und schön. Maßstab, um zu beurtheilen, ob eine Erkenntniß, ob ein Kunstwerk seiner Aufgabe entspricht. Aber keine Möglichkeit, aus dem Begriffe der Wahrheit ein ideales System des Wahren, aus dem Begriffe der Schönheit ein ideales System des Schönen abzuleiten. Es ist also hier kein Wortstreit, als stellte ich schließlich auch ein System idealen Rechtes auf und wollte es nur nicht Recht genannt haben: sondern meine Ueberzeugung ist die: daß es zwar nothwendig ist, von dem Standpuncte des Zwecks, für welchen das Recht da ist, den Werth des bestehenden Rechtes zu beurtheilen, daß es aber durchaus unmöglich ist, aus dem Begriffe dieses Zwecks ein ideales, für alle Zeiten und Völker gültiges Recht abzuleiten.[ag] |[ah]
Ebenso wenig giebt es ein ideales Recht – wol aber giebt es einen idealen Maßstab, an dem der Werth jedes gegebenen Rechtes meßbar ist.
Der aber eben deshalb nicht selbst Recht ist.
Die Rechtsphilos[ophie] hat also nicht die problematische, utopisch-traurige Aufgabe, ein Recht auszudenken, das da nie und nirgends existirt und nur nach der Privatmeinung der Philos[ophen][ai] existiren sollte. Wenn ein Naturrechtslehrer[aj] jede Vorlesung mit den Worten eröffnete: „Recht ist, was der Rechtsidee entspricht“[2], so hätte er wahrer sagen sollen: „Recht sollte sein, was meiner Rechtsidee entspricht“![ak][al] Der Gegenstand, mit dem sie sich beschäftigt, ist das positive, das historische gegebene Recht, das Recht, das da ist resp. war –[am] es ist ganz dasselbe Recht, womit es die Juriprudenz zu tun hat.
Diese Bestimmung des Gegenstandes für eine wissenschaftliche Rechtsphilos[ophie] ergiebt sich sehr einfach aus folgender Ueberlegung:
Colossale Vieldeutigkeit des Wortes „Recht“.
Vgl. Rümelin[an], Reden und Aufsätze, Neue Folge. „Eine Definition des Rechts“. p. 317ff.
Philosophen und Rechtslehrer sehr weit aus einander gehende Definitionen; noch breiter der Sprachgebrauch. Man braucht nicht, wie Lasson[ao], an den rechten Winkel und die rechte Seite zu erinnern, um diese Vieldeutigkeit zu beleuchten; auch nicht an das logische richtig = Recht haben.
Hauptsächlich schwierig wird die Sache durch den allgemein ethischen Gebrauch des Wortes „recht“ und „Recht“. „Rechtlich“.
Recht und rechtlich handeln und denken. Sittlicher Anspruch als Recht auf Etwas. Die ethische Idee der Gerechtigkeit in ihrem Verhältniß zum jus[ap]. Plato’s[aq] Republik.
Rümelin, ibid[em][ar] „Ueber die Idee der Gerechtigkeit“ p. 176ff.
cf. Lasson, System der Rechtsphilos[ophie] § 3
Hier wurzelt die oben erwähnte Möglichkeit, von einer Ungerechtigkeit des Rechts zu reden: „Ungerechtigkeit“ eben im ethischen Sinne gedacht, – wovon später zu handeln.
Soll nun der Begriff zu wissenschaftlichem Gebrauche fixirt werden, so bliebe das der Willkür des Einzelnen überlassen: die zeigt sich eben in den Ansichten vom „natürlichen“ oder „vernünftigen“ Rechte.
Aber von allgemeiner Gültigkeit nur da die Rede, wo schon vor der Philosophie eine auf Erfahrung begründete Wissenschaft besteht. Das ist in diesem Falle die Jurisprudenz. Sie wird von der Rechtsphilosophie vorausgesetzt.
Von dem, was in unserer Sprache sonst Recht genannt wird, von mathematischem, logischem, sittlichem Recht mag man in anderen Theilen der Philos[ophie] handeln: in der Rechtsphilos[ophie] beschäftigen wir uns mit dem, was die Jurisprudenz Recht nennt, – mit dem in der Erfahrung gegebenen[as], dem historischen, dem „positiven“ Recht.
Auch hier eine Parallele. Wenn von Naturphilos[ophie] die Rede ist, so handelt es sich nicht um die philos[ophische] Betrachtung einer „idealen“ Natur, welche etwa erst geschaffen werden müßte, sondern um dieselbe Natur, wie in der Physik – Physiologie und Psychologie. Die philosoph[ischen] Disciplinen haben es nicht mit andern Gegenständen zu thun, als die Specialwissenschaften – wohl aber mit einer andern Behandlung derselben. |[at]
§ 2. Die Aufgabe der Rechtsphilosophie.[au]
Aber was will denn die Rechtsphilos[ophie]? will sie der Jurisprudenz in’s Handwerk pfuschen? Manchen scheint sie gegenstandslos, wenn sie das nicht will und auch kein Naturrecht giebt.
Sie überläßt also die Feststellung und logische Durcharbeitung des hist[orischen] Rechts der Specialwissenschaft. Ebenso die historisch-genetische Erklärung. Weder Rechtsinterpretation noch Rechtsgeschichte. Aber sie ist auch nicht vergleichende Rechtwissenschaft; wenn sie auch die daraus resultirenden allgemeinen abstracten Resultate ebenso benutzt, wie das Wissen vom besonderen Recht. Sie ist durchaus kein bloßes ius gentium, quod natura omnia animalia docuit[av][3] – dabei käme sehr wenig heraus[aw]. Aber was dann?
Die Jurisprudenz behandelt das bestehende Recht; setzt das Bestehen einer Rechtsordnung als anerkannte Thatsache voraus, die rechtsbildende Tendenz aller Menschengeschlechter nimmt sie als ein allgemein bekanntes, Unzweifelhaftes[ax] an: selbst ihr genetischer, historischer Theil, die Rechtsgeschichte, giebt nur die besonderen historischen Veranlassungen, welche dazu geführt, daß an bestimmter Stelle von Raum und Zeit, bei einem bestimmten Volke eine besondere rechtliche Ordnung zu Stande gekommen ist.
Von diesem zugestandnen Allgemeinsten aus detaillirt sie mehr und mehr, wie jede Specialwissenschaft, und schließlich wird sie (in der Proceßlehre) zu einer Technik für die Anwendung der bestehenden Rechtsordnung.
Die Rechtsphilos[ophie] schlägt von jenem Allgemeinen her den umgekehrten Weg ein.
Das Recht nimmt, so verschieden es sich in allen seinen positiven[ay] Bestimmungen und in deren practischer Ausführung gestalten mag, doch überall einen bestimmten, immer den gleichen Platz in einem[az] allgemeineren Zusammenhange ein. In dem System der Begriffe, mit denen wir die Welt denken, muß allgemein die Stelle bestimmbar sein, welche wir mit dem Namen des Rechts bezeichnen; das Recht steht nicht allein – es ist ein Theil des Weltlebens und steht mit dem Ganzen in lebendigen Beziehungen.[ba] Auf diesen[bb] kann die Jurisprudenz bei ihrer Behandlung des pos[itiven] Rechts nur immer gelegentlich und im Einzelnen eingehen.
Ihn in seiner Gesammtheit und in seiner Unabhängigkeit von den besonderen Umständen[bc] zu verstehen, ist die Aufgabe der Rechtsphilosophie. Wer sie deshalb im Rahmen eines großen philos[ophischen] Systems behandelt, der würde ganz allgemein ihre Frage – Aufgabe so stellen können: Welche Stellung nimmt das Recht im Zusammenhange der Dinge überhaupt ein?
So haben in der That die großen Metaphysiker, so hat Plato[bd], in gewissem Sinne auch Kant, so Fichte, Schelling, Hegel die R[echtsphilosophie] behandelt.
Aber zum Glück ist es nicht nöthig sich im Besitze einer metaphysischen[be] Weltanschauung zu befinden, um die Aufgabe der Rechtsphilos[ophie] zu erfüllen.
Wir müssen uns sogar, dem Baconischen Wunsche gemäß, statt der Flügel, die gleich zum „allgemeinsten Wesen“ der Dinge aufstreben, bei der Einfügung des Rechts in das Allgemeinere Blei an die Füße hängen.
Es wird vollauf genügen, wenn wir den Zusammenhang des Menschenlebens als das Allgemeinere betrachten, in welchem unsre Wissenschaft dem Rechte seinen Platz anzuweisen, aus welchem es dasselbe zu begreifen hat.
Recht in dem technischen Sinne, in welchem wir das Wort nach § 1 gebrauchen, ist immer eine Ausgestaltung der menschlichen Gesellschaft.
Es hat seine bestimmte Bedeutung in dem Leben der menschlichen Gesellschaft, und diese sollen wir verstehen. |[bf]
Wenn die Jurispr[udenz] von der Thatsache ausgeht, daß der Mensch überall auf dem Erdboden eine rechtserzeugende Function ausübt, daß m[it] a[nderen] W[orten] die rechtbildende Fähigkeit ein integrirender Bestandtheil des menschlichen Wesens ist, so hat die Rechtsphilos[ophie] diese Thatsache zu begreifen[bg] (kein ideales – das pos[itive] Recht!!)[bh]: sie hat zu untersuchen, worin diese Function besteht, aus welchen anderen Functionen des gemeinsamen Lebens der Menschen sie sich erzeugt, in welchem Zusammenhange sie mit den übrigen Thätigkeiten des Menschen steht. Und so können wir die Frage schon dahin specialisiren: Welche Stellung nimmt das Recht in dem allgemeinen Zusammenhange des Menschenlebens ein?[bi]
Lösen wir diese, so habe[bj] die Rechtsphilos[ophie] genug gethan: einer allgemeinsten metaphysischen Theorie, – wenn eine solche überhaupt möglich ist – mag es dann vorbehalten bleiben, zu untersuchen, welche Stellung wieder das Menschenleben und in ihm das Recht in dem allgemeinen Zusammenhange der Dinge überhaupt einnimmt.
Ob eine solche Anknüpfung an das Allerallgemeinste möglich, haben wir nicht zu untersuchen, und wenn sie nicht möglich sein sollte, haben wir durch unsre Bestimmung den Vortheil, das erreichbar Allgemeine mit unserm besonderen Gegenstande in Verbindung gebracht, ihn darauf zurückgeführt zu haben.
Darin liegt nun auch für den Juristen selbst der in gewissem Sinne practische Werth der Rechtsphilos[ophie]: er soll darin den Gegenstand seines besonderen Studiums und seines einstigen Berufs, mit dessen Specialerkenntniß ihn die Jurisprudenz vertraut macht, in den höheren Zusammenhange des gesammten Menschenlebens verstehen, auffassen und behandeln lernen.
Doch ist es sogleich möglich, noch weiter die Aufgabe zu specialisiren, und in dem allgemeinen Rahmen des gesammten Menschenlebens schon annähernd eine engere Sphäre zu bestimmen, in welcher das Recht seinen Platz finden muß.
Recht ist im Menschenleben nur vorhanden, insofern der Mensch ein physisch-psychisches Wesen ist: es fällt nicht in die Sphäre rein physischer Actionen, aber ebensowenig rein geistiger Functionen; sondern es setzt den Menschen voraus als ein seelisches Wesen, welches im Zusammenhange mit der physischen Welt lebt.
Aber dieser Beziehungen sind nach allgemeiner Eintheilung drei: vorstellende, wollende[bk], fühlende[bl]. theoretische, practische[bm], aesthetische[bn].
Sie erscheinen vielfach verschmolzen: an die Vorstellung knüpfen sich Triebe[bo] und Gefühle[bp], die Gefühle sind nur vorhanden in Hinsicht auf Vorstellungsinhalt und an sie schließen sich vielfach Begierden[bq], die Begierden setzen stets[br] Vorstellungen und Gefühle voraus.
Aber es giebt reine Vorstellungsthätigkeit, in der der Mensch weder fühlt noch will. Das ist das rein theoretische, wissenschaftliche Leben (Logik oder theoretische Philos[ophie])[bs] – dem gehört das Recht nicht an, wenn es auch ein Object desselben, wie eben in Jurisprudenz und Rechtsphilos[ophie] bilden kann.
Es giebt zweitens Thätigkeiten, in denen wir willenlos vorstellen und fühlen: das sind die aesthetischen: Aesthetik. Auch ihnen gehört das Recht nicht zu.
Es giebt drittens Thätigkeiten, in denen die an die Vorstellungen sich anschließenden Gefühle, Motive des Wollens und des daraus hervorgehenden Handelns werden, – practische Functionen: |[bt] Ethik oder practische Philosophie. Zu diesen zweifellos gehört das Gebiet des Rechts: Es setzt wollende und handelnde Menschen voraus. Es enthält[bu] Vorschriften für das Handeln und wendet sich mit denselben an den Willen.
Das Recht gehört also – als nicht höherer Gattungsbegriff – unter den allgemeinen Zusammenhang des practischen Menschenlebens. (Practisch in dem griech[ischen] Sinne = wollend und handelnd)[bv] Und die Rechtsphilosophie ist somit ein Zweig der allgemeinen practischen Philos[ophie] oder der Ethik. Daher die Ankündigung „im Zusammenhange etc.[bw]“[4][bx] (Näheres über dies Verhältniß erst später, wenn aber schon sachlich von der Art der[by] Stellung des Rechts in diesem Zusammenhange gehandelt wird)[bz]
So lautet die Aufgabe: Welche Stellung nimmt im Zusammenhange des[ca] practischen[cb] Menschenlebens das Recht ein?
Nach der andern Seite läßt sich auch das vage Wort „Stellung“ noch weiter specialisiren – präcisiren. Auf dem Gebiete der practischen Philos[ophie] sind alle Zusammenhänge durch die Kategorie des Zwecks bestimmt. Der handelnde Mensch kommt insofern in Betracht, als als er etwas will, – als er einen Zweck hat. Und wo es Vorschriften für das Handeln giebt, da haben sie einen Zweck und eine Aufgabe. Gehört daher das Recht in diesen großen teleologischen Zusammenhang hinein, so ist seine „Stellung“ durch die Aufgabe bestimmt, welche ihm darin gesetzt ist; um derentwillen es erzeugt wird.
Die Frage also lautet: Welche Aufgabe hat in dem allgemeinen practischen Zusammenhange des Menschenlebens das Recht zu erfüllen?
Ist sie aber so gestellt, so schließt sich daran sogleich ein Weiteres. Und zwar zwei Gesichtspuncte.
Aus diesem Zweck, den das Recht überall zu erfüllen hat, werden sich zwar keine besonderen Rechtssätze ableiten lassen: diese sind jedesmal[cc] durch die historische Besonderheit bedingt, wie sich zeigen wird.
Aber es wird sich einsehen lassen, daß es eine Reihe von gesonderten Rechtsfunctionen, resp. von gesonderten Sphären der Rechtsbestimmung geben muß, ohne welcher jener Zweck niemals erreicht werden kann. Doch es muß aus diesem Zweck die „formale“ Gliederung des Rechtslebens sich begreifen lassen.
(Ueber diese formale Grenze gegenüber den einzelnen materialen Bestimmungen wird später zu reden sein: Hier nur ein Beispiel: es wird sich erweisen, daß zu jeder Rechtsordnung die Rechtsform der Strafe unerläßlich ist: was aber gestraft werden soll und wie gestraft werden soll, darüber ist materiell in der Rechtsphilosophie nichts auszusagen; sondern es ist nur ein allgemeines Princip dafür abzuleiten, welches dann in der Anwendung auf jede besondere Rechtsordnung als Beurtheilungsmaßstab angesehen werden muß).[cd]
Zweitens –[ce][cf] Wenn Etwas um eines Zweckes willen da ist und darin seine Aufgabe hat, so bildet dieser Zweck den Maßstab für die Beurtheilung desselben.
Wenn also der Zweck des Rechtes in dem allg[emeinen] pract[ischen] Zus[ammenhang] d[es] Menschenleb[ens] erkannt ist, so schließt sich daran die Frage,[cg] in welchem Maaße dasselbe diese Aufgabe erfüllt. Unvollkommenheit des Menschenseins – und wo es noch[ch] Aufgaben giebt, da sind sie eben noch nicht erfüllt. Das ist, soweit bisher zu beschreiben, der berechtigte Kern in dem „Naturrecht“ oder „Vernunftrecht“.
Es muß, da das Recht dem practischen Menschenleben angehört, einen Maßstab für die Beurtheilung desselben geben. Diesen Maßstab suchte man in einem Idealbilde des Rechts – wir suchen ihn in dem Zweck des Rechts und haben diesen aus der Einsicht in die treibenden Kräfte des wirklichen Rechtslebens zu erforschen. Diese nothwendige[ci] Erzeugung muß also in die Formulirung unserer Aufgabe aufgenommen werden, welche danach lautet:
1) Welche Aufgabe hat in dem allg[emeinen] pract[ischen] Zus[ammenhang] d[es] Mensch[en]leb[ens] das Recht zu erfüllen, und 2) in welcher Weise und in welchem Maaße realisirt das Recht diese Aufgabe?
Ist so die Aufgabe bestimmt, so fragt es sich, in welcher Weise und mit welchen wissenschaftlichen Mitteln dieselbe gelöst werden soll. |[cj]
§ 3. Die Methode[ck] der Rechtsphilosophie.[cl]
Aus alledem geht hervor, daß unserer Ansicht nach die Rechtsphilos[ophie] nicht eine selbständige Disciplin, sondern ein Theil jener allgemeineren philos[ophischen] Wissenschaft ist, welche sich mit der Betrachtung des practischen Zusammenhanges des Menschenlebens beschäftigt. Allgemeine practische Philos[ophie] oder Ethik.
Das erscheint ganz selbstverständlich, wenn man dem Gedanken folgt, daß es sich auch im Recht um den wollenden und handelnden Menschen handelt. Dennoch ist dies vielleicht nicht so einfach, wie es erscheinen möchte. Die philos[ophische] Behandlung hat nicht zu untersuchen, wie der Mensch wirklich will und handelt, sondern wie er es thun sollte.
Der teleol[ogische] Zusammenhang ist der von Zweck und Mitteln. Die relativen Zwecke und die absoluten Zwecke: der hypothetische und der kategorische Imperativ.
So entsteht die Frage, ob das Princip des Rechts ein absoluter oder ein relativer, ein kategorischer oder ein hypothetischer, ein selbständiger oder ein abgeleiteter ist.[cm] Ist das Recht um seiner selbst willen da – oder ist es für etwas anderes da?[cn]
Das andere kann, wie die Dinge liegen, nur ein dreifaches sein: entweder irgend ein nützlicher, mit den Zwecken der Annehmlichkeit des empirischen Menschen übereinstimmender Zweck – oder[co] die Erfüllung der idealen Aufgaben des immanenten Menschenlebens, der sittliche Zweck – oder[cp] endlich eine über das erfahrungsmäßige Leben hinausreichende göttliche Bestimmung. Je nach der sachlichen Ueberzeugung, welche man mitbringt (Diese sachliche Ueberzeugung aber ist, wie sich zeigen wird, vielfach von den Verhältnissen des wirklichen Rechtslebens[cq] abhängig gewesen: und es ergiebt sich schon daraus eine Nöthigung der objectiven Rechtsphilos[ophie], sich möglichst darüber zu stellen und sie alle zu umfassen.)[cr], wird man demnach das Problem der Rechtsphilos[ophie] sehr verschieden zu behandeln haben. Im Folgenden keine Geschichte als solche; was gar keinen Werth hat, ehe man die sachlichen Fragen kennt; sondern eine systematische Behandlung der Standpuncte.[cs]
1) Das Recht als eine nicht auf anderes zurückführbare Nothwendigkeit, die in sich selbst begründet ist.
Diese Auffassung hat sich in der neueren Philos[ophie] entwickelt aus dem Bestreben, die Rechtswissenschaft völlig selbständig zu machen, im Kampf hauptsächlich gegen die moralphilos[ophische] Betrachtung des Rechts. Das Verhältniß von Recht und Moral das „Cap Horn der Rechtsphilosophie.“[5] (Ihering[ct])
Erste Spuren bei Pufendorf: De jure naturae et gentium[cu] 1672. Ganz klare Unterscheidung der Gesinnungen und der Handlungen. Schärfer noch bei Thomasius[cv], wo Recht die Ordnung des Zusammenlebens bedeutet. In derselben Richtung Kant[cw]: Freiheit im äußeren – im inneren Leben. Am schärfsten bei Fichte[cx], Grundleg[ung] des Naturrechts 1796. Das Recht als Denknothwendigkeit aus der Voraussetzung des äußeren Zusammenlebens der Individuen. In diesem Sinne Schelling[cy] das Naturrecht als eine rein deductive, logische Wissenschaft. „Neue Deduction des Naturrechts“ 1796 und 97 erschienen. Werke[cz] I, 245. Der Polizeistaat des vorigen Jahrhunderts als zu Grunde liegende Auffassung. In der That vielleicht der tiefste Stand des wirklichen Rechtslebens. W[ilhelm] v[on] Humboldt „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen“, geschrieben vor 1800, veröffentlicht 1851 von E. Cauer Berlin.[da]
Ueberall zeigt sich, daß diese absolute Verselbständigung rein illusorisch. Es werden nicht nur unwillkürlich sämmtliche Einzelbestimmungen sowol des positiven als auch des „natürlichen“ Rechtes auf sittliche Grundlagen zurückgeführt, sondern, daß überhaupt dies äußere Zusammenleben[db] als ein aufrecht zu erhaltender Zustand erscheint, ist, unvermerkt, selbst ein ethischer, moralischer Gesichtspunct. |[dc]
Wird das System als Denknothwendigkeit des Zusammenlebens construirt (die höchste hier mögliche Consequenz), so bleibt dies Voraussetzung: Wozu ist das Zusammenleben nöthig? Und bei bloßer Besinnung ist klar: daß das bloß an und in sich keinen Zweck hätte! keine bindende Kraft besäße.
Die gemeinschaftliche Existenz ist kein absoluter Zweck, wenn sie nicht einen Inhalt hätte. Unvermerkt schiebt sich deshalb immer, besonders bei den einzelnen Bestimmungen, solch ein Zweck unter.
Am klarsten bei Kant: cf. meine Geschichte.[6] Selbst eingesehen ist das von Fichte: Sein System der Rechtslehre 1812 (Nachgel[assene] Werke II) und die Staatslehre 1813, Werke[dd] Bd. IV[de] betrachtet das Recht als Mittel für den Zweck der moralischen Cultur.[df] Den Uebergang haben geschichtsphilos[ophische] Betrachtungen gebildet: Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters 1804; Reden an die deutsche Nation 1808. Einsicht in die sittlichen Aufgaben des Staatslebens: übrigens schon in dem „Geschlossenen Handelsstaat“ 1800.
Die rechtsbildende Tendenz ist nicht zu isoliren.[dg] Das äußere Dasein des Menschen ist innerlich immer bedeutungsvoll. Es giebt keine Form des Rechts, die nicht in einem, wenn auch im einzelnen Falle noch so entfernten Zusammenhange mit den letzten, inhaltvollen Zwecken unseres Gesammtlebens stünde.
„Das Verbot, dem Nachbar die Aussicht zu verbauen“ (cf. Lasson, pag. 9[7]) gehört zwar nicht in die Moral, aber sein letzter Grund liegt doch in einem ethischen Bewußtsein. Die Idee der Gerechtigkeit, deren Ausführung das Recht sein soll, ist selbst eine ethische, moralische Idee.
Die Frage, ob sie ein selbständiges den ethischen Idealen gegenüber ist, später genauer zu behandeln. –[dh]
b) Welches nun der Zweck, dem die Rechtsordnung untersteht:
2) Der Nutzen der Gesellschaft. Zuerst Andeutungen der Sophisten[di] von Epicur[dj] aufgestellt – (Diog[enes] Laert[ius] X, 150. Lucretius, V, 1106ff.)
In der neueren Philos[ophie] von Hobbes[dk] zuerst. Nüscheler[dl], Die Staatstheo[rie] des H[obbes] herausgegeben[dm] v[on] Kym[dn], Zürich 1865. Leviathan or the matter form and authority of government[do] 1651. De cive[dp]. 1642, erweitert 1647. De corpore politico[dq] 1650.
Aehnlich die Staats- und Rechtstheorie (obwol unausgeführt) bei Helvétius: De l’esprit.[dr] 1758 und De l’homme, de ses facultés et de son éducation Londres[ds] 1772[dt]
Am typischsten:[du] Bentham: Introduction to the principles of moral and legislation[dv]. 1789. Deutsch: „Grundsätze der Civil- und Criminalgesetzgebung[dw], bearbeitet von Beneke[dx]. 2 Bde. Berl[in] 1830
Auf[dy] diesem Standpunct giebt es nur eine psychologische Deduction: Recht (wie auch Moral) als ein kluges Mittel für die individuelle oder für die allgemeine Glückseligkeit. Man nennt das die utilistische – positivistische Rechtsphilosophie; jenes mit Rücksicht auf das materielle, dies auf das formelle Princip.
Es ist übrigens möglich, dies Princip nicht auf die Moral, dagegen auf das Recht allein anzu|wenden[dz], doch ist daraus die bindende Kraft des Rechtsbewußtseins ganz ebensowenig abzuleiten wie die des Gewissens; auch die Erklärungen von Vererbung und gewohnheitsmäßiger[ea] Uebertragung sind nicht ausreichend.[eb] Und zwar deshalb, weil Glück oder Lust nur individuelle Zustände sind: Gesammtwohl ist nur eine Summe, nichts Einheitliches und Ganzes. Daher gilt allem Utilismus nur die Durchschnittsthatsache, daß es meistentheils das Klügste ist, moralisch, und jedenfalls rechtlich zu handeln. Er ignorirt die wichtige Thatsache, daß das Rechtsbewußtsein und das Gewissen noch da gelten, wo das ausnahmsweise einmal nicht der Fall ist.
Dazu kommt, daß der tiefste Gehalt unseres gemeinsamen Lebens weit über Wohlgefühl hinausgeht. Gemeinnützigkeit ist etwas – aber beileibe nicht Alles!
3) Eine überirdische göttliche Lebensordnung als absoluter Zweck.
Diese Vorstellung knüpft sich überall an diejenige Weltanschauung, welche das gegenwärtige Leben als eine Erziehung für das überirdische betrachtet und darum die Ordnung des Erdenlebens als eine Erziehungsanstalt für das höhere Leben betrachtet.
Es ist selbstverständlich, daß sie sich meistens mit der ethischen Auffassung (4) verbindet! Denn diejenigen Inhaltsbestimmungen, durch welche man das Rechtsleben in Beziehung auf die göttliche Weltordnung setzen könne, sind die moralischen[ec]; Unterschied mit 4 also wesentlich der, daß das moralische Dasein auch noch wieder dem religiösen als Mittel unterstellt wird.
Solches ist die Auffassung Plato’s[ed]: 10 Bücher Republik[ee], und die Leges[ef] als zweitbester Staat.[eg]
Diese theokratische[eh] Tendenz war verwirklicht wie bei vielen orientalischen Völkern, so besonders[ei] im jüdischen Staatsleben[ej]. Berührung beider in der mittelalterlichen Hierarchie. In der Kirche selbst (cf. Zeller[ek], Der gute Staat in seiner Bedeutung für die Folgezeit. Vorträge und Abhandlungen I, 1865)[el] – in ihren Ansprüchen an die Staaten – in der philos[ophischen] Abhandlung auch der Staatstheorie, welche nur das Bild des wirklichen Staatslebens reflektirt.[em] Die Rechtsordnung aus dem Dekalog abgeleitet.
Typisch Thomas von Aquino: De regimine principum[en] (wenn auch theilweise unecht) vgl. darüber H. Contzen[eo], „Zur Würdigung des Mittelalters“, Cassel[ep] 1870. Noch schärfer in Buch III u[nd] IV von seinem Schüler Ptolemaeus Lucensis[eq].
Sehr charakteristisch für die mittelalterliche Auffassung ist es, daß auch die Gegner des Pabstthums den religiösen Charakter des Staats aufrechterhalten und zu der Consequenz gelangen, die Kirche ganz in den Staat aufgehen zu lassen. Diese Theorie des Staatskirchenthums vertreten durch Marsilius[er] von Padua[es] (cf. pag.[et] 1[eu])
Aehnlich verfahren, wenn auch nicht so radikal, sondern in der Auffassung des Staats als einer selbständigen, directen göttlichen Ordnung die protestantischen Rechtsphilos[ophen:] Melanchthon[ev] in der Ethik: Philosophiae moralis libri duo[ew], 1538. Oldendorp: Iuris naturalis gentium et civilis isagoge[ex], Köln 1539.
Welches göttliche Recht dann wieder mit dem Naturrecht identificirt wird: Hemmingsen: De lege naturae apodictica methodus[ey] 1562. Winkler: Principiorum iuris libri V Leipzig[ez] 1615. |[fa]
In neuerer Zeit tritt dieser Standpunct wesentlich bei Stahl hervor. Er deutet Hegel[fb]’s ethische Auffassung in eine religiöse um. „Philos[ophie] des Rechts nach geschichtlicher Ansicht“ 2 Bde. Heidelberg[fc] 1830. 4. Aufl. „auf der Grundlage christlicher Weltanschauung.“ 1871.
Aehnliches bei Baader[fd], dessen Gedanken schon[fe] gesammelt sind von[ff] Fr[iedrich] Hoffmann[fg]: „Grundzüge der Societätsphilos[ophie]“ 2. Aufl. 1865 (zuerst 1817). Beide in mehr oder minder bedeutender Abhängigkeit von der Theosophie Schelling’s, der seit 1804 („Religion und Philos[ophie]“) lehrte, daß der Proceß des geschichtlichen, resp.[fh] staatlichen, rechtlichen Lebens die Rückkehr der abgefallenen Naturwelt zur Gottheit als Aufgabe habe.
Was diese Aufassung betrifft, so ist es begreiflich, daß jede religiöse Ueberzeugung mit dem gesammten ethischen Leben auch das juristische auf die Höhe der religiösen Durchdringung heben will. Wissenschaftlich aber wäre das nur dann möglich, wenn eine solche religiöse Auffassung wissenschaftlich beweisbar wäre.
Das ist keine, die wissenschaftliche Beweisbarkeit endet in der Analyse des ethischen Lebens. Die religiöse Deutung desselben bleibt jedem nach seiner persönlichen Stellung überlassen: sie enthält eine Metaphysik – und alle Metaphysik stammt aus dem Glauben.
Wissenschaftlich ist es möglich, das Recht dem sittlichen Zusammenhange des Menschenlebens teleologisch einzufügen; diesen selbst mag jeder religiös betrachten, wie er will. Allgemeingiltig kann nur das erste werden: das zweite bleibt unangefochten, aber auch unangerührt.
Daher zwischen 3) und 4) die Grenze nicht fest zu ziehen. Denn leicht fügt auch der rein ethischen Auffassung des Rechts sich die religiöse Ueberzeugung des Einzelnen hinzu, so bei Aristoteles[fi], bei Leibniz[fj], bei Hegel[fk], stark schon bei Krause[fl]: aber hier wurden als religiöse diejenigen aufgefaßt, welche das Recht nicht indirect als eine Art des sittlichen Lebens, sondern ganz direct der göttlichen Zweckordnung unterstellen und daher die Betrachtung des Rechts auch im Einzelnen auf religiöse Basis stellen. Nunmehr erscheinen die Vertreter des
4.) Das Recht wurzelnd in der sittlichen Grundbestimmung.[fm]
Man könnte als ihren ersten großen Vertreter Plato nennen, ebensogut wie bei 3); denn bei ihm ist sittliches und religiöses Leben, sittlicher und religiöser Zweck völlig identisch. Die Ablösung des relig[iösen] Pathos, die rein sittliche Betrachtung des Rechts tritt zuerst bei Aristoteles[fn] auf.
Das individuelle Leben ist in der antiken Welt noch viel mehr als in der modernen in das öffentliche eingeschlossen, die Sphäre des Rechts deshalb relativ größer, – so groß fast, daß sie die ganze Sphäre des ethischen Seins ausfüllt, daß sittliches Leben und Rechtsleben noch fast ganz zusammenfallen. Verschiedenheit: Lacedaemon[fo] und Athen.[fp] Daher ist jede antike Ethik eo ipso[fq] Rechtsphilosophie: so bei Plato[fr], so bei Aristoteles[fs]. Nikomachische Ethik (Eudemische Vortrag ausgearbeitet; Magna Moralia[ft] Auszug)[fu]. Πολιτικά. Verloren die Πολιτείαι, die vergleichende Darstellung von 158 Staatsverfassungen. Oncken[fv], Die Staatslehre des Arist[oteles] Leipzig 1870, zweite Hälfte 75. Die vernunftgemäße Vollendung des Menschen als absoluter Zweck. Der Staat als Erzieher des Menschen: das Recht die Norm dieser Erziehung. Der vollkommene Staat wäre die Verwirklichung des sittlichen Gesammtlebens, die Abhängigkeit des Rechts von der sittlichen Idee der Gerechtigkeit.
Das ist der Kern: Gerechtigkeit nicht selbständige juristische Idee (contra 1) sondern sittliche. |[fw] Und das Recht nur eine Art der Realisirung dieser sittlichen Idee.
Die Bestimmung dieser Art, vielleicht auch bei Arist[fx][oteles] nicht ganz fest und klar, ist die Aufgabe auf diesem Standpunct. Verschiedne Gestalter Verschiedenes. Diese Auffassung vielfach bei Cicero[fy] durchleuchtend: De officiis[fz], das Fragment de legibus[ga], die Bruchstücke von de Republica[gb].
Der Gedanke des Aristoteles wird in großem Maaßstabe wieder aufgenommen erst von Leibniz[gc]. Methodus nova discendae docendaeque jurisprudentiae[gd]. Frankfurt[ge] 1667. Definitionen, welche er seinem Codex iuris gentium diplomaticus[gf] 1693 voranschickte, sie sind bei Erdmann[gg] p. 118[8] unter dem Titel De notionibus juris et justitiae[gh] abgedruckt. Drei Stufen der Realisirung der Idee der Justitia[gi], die drei Rechtsstufen (Naturrecht!)[gj] genannt werden: ius strictum[gk] (das aristotel[ische] δίκαιον διος ϑωεικόν: iustitia commetativa[gl], „ausgleichende“ Gerechtigkeit NB. bei Arist[oteles] die Gleichheit, und die Gleichheit der Proportion[gm]), acquitas vel caritas[gn] (δίκαιον διανεμητικόυ: iustitia distributiva[go], austheilende Gerechtigkeit), pietas vel probitas (iustitia universalis): Neminem laedere, suum cuique tribuere, honeste vivere.[gp][9] Das letztere nimmt dann religiöse Färbung an: der vollkommene Gottesstaat.
Aber bei Leibniz[gq] rhapsodisch. Wirksam in der Gestalt von Chr[istian] Wolff[gr]. Ius naturae[gs] 8[gt] Bde.[gu] 1740–49. Dazu Ius gentium[gv] 1749 als 9tr. Quartband. Philosophia practica universalis[gw]. 2 Bde. 1738/9.[gx] Institutione iuris natura et gentium[gy]. 1754. Vernünftige Gedanken von dem gesellschaftlichen Leben der Menschen und dem gemeinen Wesen. Halle[gz] 1721.[ha] Ableitung des Rechts aus der moralischen Verpflichtung: Recht das Gesetz des Erlaubten. (resp. Verbotgesetz. Nicht Gebot?) Man sieht hier sehr genau, daß Naturrecht eigentlich Lehre von den ethischen Zwecken des Rechts ist: cf. Erdmann[hb]’s Bemerkungen in seiner Gesch[ichte] d[er] neuern Philos[ophie] II.
Nachdem die rein formale Auffassung bei Fichte selbst umgekippt war, ist die ethische Behandlung[hc] inaugurirt worden von Hegel[hd]. Hegel[he]. Encyclopädie, Heidelberg[hf] [18]17. Der objective Geist: § 483–552. Werke[hg] VII, 2. Grundlinien der Philos[ophie] des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundriß. Berlin 1821. Werke[hh] VIII.[hi] Die Dreitheilung Naturrecht, Moral, Sittlichkeit: historisch bedingt. Die sittlichen Mächte sind Familie, Gesellschaft, Staat. Realisirte Gattungsvernunft. Die Menschheit als Ganzes: der Staat ist das „Absolute“ in Hegel’s erstem Entwurf seiner Philosophie. Das antike Ideal.
Ausgenommen: Michelet[hj], Naturrecht oder Rechtsphilos[ophie]. 2 Bde. Berlin[hk] 1866. Lasson[hl], System der Rechtsphilos[ophie] Berlin/Leipzig[hm] 1882.
Ebenso, nur religiös umgedeutet: Stahl[hn][10].
Auf dieselbe Unterordnung drängen aber alle andern Systeme hin:
Krause[ho]. Grundlage des Naturrechts oder philos[ophischer] Grundriß des Ideals des Rechts: Jena[hp] 1803. Abriß des Systems der Rechtsphilos[ophie]. Göttingen[hq] 1828. Schüler: Ahrens[hr] Naturrecht oder Philos[ophie] des Rechts u[nd] Staats 6 Aufl. Wien[hs] 1870/71. Röder[ht]. Grundzüge des natürlichen Rechts. 2 Aufl. 1860. Das Recht als Realisirung eines Zustandes, worin jeder seinem ethischen Ideal leben soll, und ungestört kann. Das System der „Kreise“ von Personen und Gütern in sittlicher Ordnung.
Schleiermacher[hu]: Entwurf eines Systems der Sittenlehre, herausgegeben[hv] von Schweizer[hw] 1835. Grundriß der philos[ophischen] Ethik, herausgegeben von Twesten[hx] 1841. In diesem schön ausgearbeiteten System ist das Recht so eingeordnet: (Güterlehre[hy]) |[hz]
Vier Gebiete des sittlichen Handelns: Verkehr, Eigenthum, Denken, Gefühl.
Vier[ia] ethische Verhältnisse: Recht, Geselligkeit, Glaube, Offenbarung.
Vier[ib] ethische Organismen = Güter: Staat, gesellige Gemeinschaft, Schule, Kirche.
Herbart[ic]: weist unter den ethischen Ideen, die ganz unabhängig voneinander sind: Innerere Freiheit, Vollkommenheit, Wohlwollen, Recht, Vergeltung, und denen fünf gesellschaftl[iche] Ideen entsprechen: Beseelte Gesellsch[aft], Kultursyst[em], Verwaltungssyst[em], Rechtsges[ellschaft], Lohnsystem dem Recht seinen Platz an. Allgemeine practische Philosophie 1808. Analytische Beleuchtung des Naturrechts und der Moral 1836.[id] Schüler: Geyer[ie], Geschichte und System der Rechtsphilos[ophie] 1863, Innsbruck[if].
Beneke[ig]. Grundlinien des natürl[ichen] Systems der pract[ischen] Philos[ophie] 3 Bde. Berlin[ih] 1837–40. Bd. III d.[ii] des Naturrechts, der Politik u[nd] d[es] philos[ophischen] Criminalrechts. 1838. Theorie der sittlichen Güter als psychischer Werthe, die in der Steigerung der psychischen Functionen bestehen.
Trendelenburg[ij]. „Naturrecht auf dem Grunde der Ethik“. Leipzig[ik] 1860. Der Begriff des sittlichen Ganzen im Gegensatz zu dem sittlichen Individuum bestimmt die Unterscheidung von Moral und Rechtsph[ilosophie] im Rahmen der allg[emeinen] pract[ischen] Philos[ophie].
Ulrici[il]: Grundzüge der pract[ischen] Philos[osophie] Bd. I. 1872 (als 2. Bd. von „Gott u[nd] der Mensch“). Das Recht die Verpflichtung, die Bedingungen für die Erfüllbarkeit des Sittengesetzes zu sichern.
So mannichfache Versuche, das Recht unter dem ethischen Gesichtspuncte zu verstehen. Zum Theil sind sie noch naturrechtlich; ideales System aus diesem Zwecke, aber nicht alle.
Diesen vierten Standpunct theile ich[im]; und auch für mich ist daher die Rechtsphilos[ophie], wie ich anfangs gesagt habe, nur als Theil der allg[emeinen] pract[ischen] Philos[ophie] zu behandeln.
Daraus aber ergiebt sich von selbst, daß sie nicht voraussetzungslos sein kann. Es wäre ein schlechtes Zeichen für die allg[emeine] pract[ische] Philos[ophie], die Ethik, wenn sie keinen bestimmenden Einfluß auf diesen ihren Theil hätte; wenn derselbe getrieben werden könnte, ohne ihre Voraussetzungen. Hat das Recht seine Stellung im System der Beziehungen des practischen Menschenlebens, so muß sein Begriff aus diesem gefunden werden. In den Forschungen und Ueberlegungen, welche der allg[emeinen] practischen Philos[ophie] zu Grunde liegen, d. h. in dem Material ihrer Inductionen muß selbstverständlich auch das Wissen vom Recht und Rechtsleben behandelt werden; aber neben vielem andern. Diesen ganzen Inductionsproceß muß man in der Rechtsphilos[ophie] als fertig voraussetzen. Akademische Arbeitstheilung, daß ich ihn schon vollzogen habe.
Der Vortrag der Rechtsphilos[ophie] hat die Aufgabe, aus den allgemeinsten Bestimmungen der practischen Philos[ophie] heraus den Rechtsbegriff zu construiren. |[in] Unsre Methode ist die der begrifflichen Construction – trotz alles empirischen Geschreis der Zeit. Und zwar deshalb, weil wir die Ueberzeugung mitbringen, daß es sich um einen teleologischen Zusammenhang handelt: daß aus dem Begriffe des Zwecks mit Zuhilfenahme gewisser Thatsachen des wirklichen Zustandes sich der Rechtsbegriff erzeugt.
Kennt man einen wirklichen Zustand und hat man die Aufgabe erfaßt, die von demselben aus gelöst werden soll, so läßt sich ein Begriff des Mittels zur Lösung construiren: in der nöthigenfalls nur allerallgemeinsten Form. Genau so hier die Construction.
Dies also der erste Theil: die Construction des Rechtsbegriffs. Dann erst wird es sich ergeben, welche immer nöthigen Arten der Rechtsfunction sich daraus ergeben, also auch die Division des Gattungsbegriffs. Fortschreitende Determination im logischen Sinne. Die besonderen Formen des Rechtslebens. Also allgemeiner und specieller Theil.
I. Der Begriff des Rechts.[io]
Dieser eigentliche Haupttheil muß also zunächst alle die Voraussetzungen entwickeln, welche aus der allgemeinen pract[ischen] Philos[ophie] in die R[echtsphilosophie] hineingenommen werden müssen und endet mit der Einsicht in die Aufgabe des Rechts. Zugleich Bestimmung der Stellung der R[echtsphilosophie] im System der Ethik: In einem ganzen System d[er] Ethik wäre das also schon vorher entwickelt.
Daran schließt sich sodann eine genaue Entwicklung aller der Merkmale, welche für das Recht wesentlich sind; wodurch sich dasselbe von andern Erscheinungen des ethischen Lebens unterscheidet. Jedes dieser Momente muß in seiner Bedeutung genau festgestellt werden.
Ist dies geschehen, so ist es endlich nothwendig, zu untersuchen, welche Kräfte des menschlichen Gesammtlebens, des inneren und des äußeren, die Realisirung der Rechtsbestimmungen[ip] leisten.
So haben wir drei Theile: die Grundlagen des Rechtslebens, die Momente des Rechtsbegriffs, die Realisirung des Rechts.
1 Cap[itel] Die Grundlagen des Rechtslebens.[iq]
Hier also jenes Allgemeinste aus der Ethik zu übernehmen. Beschränkung auf das Unerläßliche: knappe Feststellung der Resultate: nur solcher, was später irgendwie verwendet wird.
§ 2. Der Mensch als wollendes und[ir] handelndes Wesen.[is]
Psychologische Grundlage. Allgemeinste Bestimmungen: Fixirung des Sprachgebrauchs.
Sigwart[it]. Der Begriff des Wollens und sein Verhältniß zum Begriff der Ursache. Tübinger Programm 1879. abgedr[uckt] Kleine Schriften Bd. II. Zitelmann[iu]. Irrthum und Rechtsgeschäft.[11]
Doppelverhältniß des Menschen zur Außenwelt: Empfindung und Gliederbewegung. Sensible und motorische Nerven (abgesehen von der rein mechanischen, chemischen Weiterwirkung, wo nicht das specifisch Organische in Betracht kommt, der Mensch als Leichnam).
Einfachster Vorgang: Reflexbewegung[iv]. Ohne Bewußtsein, Vermittlung durch das Rückenmark oder Kleinhirn. Nächster Proceß: Sensomotorischer[iw] Vorgang. Bewußte Empfindung, aber ohne bewußtes Wollen. Das naturnothwendige Zugreifen. Instinctiv oder durch Erfahrung vermittelt.[ix] |[iy] Geringe Instincte[iz] beim Menschen. Das Kind und die Brustwarze. Aufregung beim Hören von Geräuschen: einfache Entladung der Erregung. Erst Erfahrung führt zum bestimmten Ausschlag, und zwar durch weitere[ja] Complication: das bewußte[jb] Wollen.
Object des Wollens sind Mittel zur Herbeiführung von Lustzuständen und Fortschaffung von Unlustzuständen. Überhaupt alle diese positiven Ausdrücke zugleich für das Negative. „Willst du den Zweck, so mußt du die Mittel wollen“[jc][12] Grundgesetz alles Willenslebens. Eigentliches Object also: Fortschaffung des Hungergefühls – secundäres: Essen – tertiäres: das Eßbare. Die Begierde[jd] nach einem Object also schon ein complicirter Vorgang: nicht das Object als solches, sondern mit ihm die betr[effende] Handlung vorzunehmen. Dieser Proceß vollzieht sich mit jener naturgesetzlichen Einfachheit und Nothwendigkeit, solange nicht physiologische Störungen stattfinden. Die erste psychische Störung ist der Eintritt mehrerer Begierden zu gleicher Zeit, d. h. wenn motorische Functionen nicht stimmen oder nicht gleichzeitig möglich sind. Gegenseitige Hemmung. Das Gehirn als Hemmungszentrum für den motorischen Proceß.[je]
Weitere Complicationen bedingt durch unser Wissen von den Veränderungen, welche unsre Thätigkeiten in dem Verlauf der Bewegungen in der Außenwelt herbeiführen. Wenn wir durch Erfahrung wissen, daß gewisse Zustände der Außenwelt uns gefallen[jf] werden, so werden diese das Object unseres Wunsches[jg]. Der bloße Wunsch, prium votum[jh], wo wir Alles vom äußeren Lauf erwarten müssen.
Wo wir dagegen meinen, daß wir selbst etwas thun können, so entsteht das Begehren[ji] (Verlangen). Nun zeigt sich leicht, daß unsre Erfahrung uns oft[jj] verbietet, das, wozu die Begierde führt, in diesem Sinne zu begehren.
Die zweite Art der Hemmung. Die dritte endlich die gegenseitige Hemmung der verschiedenen Wünsche oder Begehrungen[jk]. In allen solchen Fällen tritt die Wahl[jl] ein.
Complicirter Proceß: mehrere Begierden oder Wünsche, welche hinsichtlich des Wählens als Motive[jm] (der Inhalt des Motiv’s heißt der Zweck[jn])[jo] bezeichnet werden: und intellectuell die Klarheit der Vorstellung über dieselben: das Wissen der Consequenzen – „Ueberlegung“.
Nur dies die Freiheit[jp] („Freiheit des Willens“)[jq], mit der wir uns nicht weiter zu beschäftigen haben. Wahlfreiheit: Fähigkeit, alle in dem Individuum vorhandenen Motive klar vorzustellen, und sie in ihrer Stärke auf einander wirken zu lassen.
Der Erfolg der Wahl entweder Schwanken; oder die Entscheidung für einen Zweck.[jr] Der in der Wahl bestimmte Zweck heißt die „Absicht“[js].
Ist so die Ueberlegung über das „Was“ fertig, so folgt die über das „Wie“: über die Mittel zur Ausführung: Mittel dabei eigne Functionen und ihre Consequenzen. Diese ist theils rein theoretisch: das beste, d. h. sicherste[jt], einfachste Mittel. Theils ethisch darüber, ob man das Mittel will, wegen der aus ihm folgenden Consequenzen; weil alle diese vorgestellten Consequenzen als Zwecke gelten. Wer ein Mittel will, will alle jene Consequenzen, „soweit er sie weiß“[ju]: Umkehrung des obigen Satzes.
Es ist in diesem Falle möglich, daß bei Collision das Mittel für den Zweck nicht gewollt wird, weil es zugleich das Mittel für einen andern[jv] noch mehr verabscheuten Zweck wäre.
Ist die Entscheidung für ein Mittel, das eigne Function wäre, gefallen, so entsteht entweder, wenn dabei noch der Eintritt neuer Bedingungen abgewartet werden muß, der „Vorsatz[jw]“, oder sogleich, wenn alle Bedingungen realisirt sind, der „Entschluß[jx]“. Der Vorsatz kann entweder die Erfüllung der Bedingungen nur wünschen, d. h. vom Lauf der Dinge abwarten, oder wiederum selbst dafür thätig sein durch eigne Functionen. Diese enthalten dann die „Vorbereitung[jy]“. |[jz]
Endlich nach Eintritt aller Bedingungen erfolgt der Willensimpuls[ka], d. h. die Innervation der motorischen Nerven zur Ausführung der auf den Endzweck gerichteten Thätigkeit. Dieser ist immer noch vorher hemmbar, wenn andre Motive den Entschluß abändern. Diese aus der Ueberlegung des Was und Wie hervorgegangene Arbeit ist die „Handlung[kb]“ im Gegensatze zu der Bewegung als einer physiologischen[kc] Function.
Jede Handlung schafft in dem Zusammenhange der Weltbewegung ein neues, äußeres Element: und insofern sie eine solche, äußerlich wahrnehmbare Thatsache ist, heißt sie „That“[kd]. An diese schließen sich naturnothwendige Folgeerscheinungen: die „Consequenzen[ke] der That“.
Mit dieser seiner wollenden und handelnden Function steht nun der Mensch nicht nur der übrigen unorganischen oder organischen Welt, sondern vor Allem dem Zusammenhange der übrigen Menschen gegenüber. Diesen Zusammenhang nennen wir die Gesellschaft. Lebensgemeinschaft der Menschen. Das Wort nicht in dem specifischen Sinn, wie es nach ihrem Meister die Hegelianer gebrauchen; als „bürgerliche Gesellschaft“, das „Durcheinanderwogen der Summe aller Interessen“[13]. cf. L[orenz] v[on] Stein[kf], Begriff der Gesellschaft und die sociale Geschichte der franz[ösischen] Revolution. Leipzig[kg] 1850. Aehnlich Gneist[kh], Der Rechtsstaat und die Verwaltungsgerichte in Deutschland. Berlin[ki] 1879. Diese coordiniren Staat und Gesellschaft; uns gilt Gesellschaft als das allgemeine, was Lasson[kj] (cf.[kk] § 19[14]) „Gemeinschaft“ nennt. cf. Mohl[kl], Gesch[ichte] u[nd] Lit[eratur der Staatswissenschaften] I, 72ff.[km]
§ 5. Der Mensch als gesellschaftliches Wesen.[kn] |[ko]
Es[kp] handelt sich um die Frage nach dem Umkreis der menschlichen Lebenssphären, auf welche sich die Thätigkeit des Staats in Gesetzgebung, Regierung, Verwaltung, Rechtspflege erstrecken darf oder soll.
Actuelles Interesse bei der gegenwärtigen Ausdehnung der Gesetzgebung für welche der nothwendige Fortschritt zu staatlicher Omnipotenz – Staatssocialismus – geweissagt wird. Nicht in diese practischen Fragen einzugreifen – aber die Frage, ob über dieselben aus reiner Theorie irgend Etwas zu entscheiden ist. Diese Frage liegt demjenigen um so näher, der mit ihrem Geschick in der Geschichte der Rechtsphilos[ophie] vertraut ist.
Die allergrößte Mannigfaltigkeit von Beantwortungen. Und am merkwürdigsten in der classischen Zeit der deutschen Philos[ophie], wo vielleicht an keinem Puncte sich im Laufe weniger Jahrzehnte solcher Umschwung zeigt. Humboldt (1792–1851). Engste Einschränkung. Der Staat hat mit Erziehung, mit Kunst, Wissenschaft Religion Nichts zu tun, ebensowenig mit der Förderung industrieller und commercieller Interessen.
Er sorgt, daß ich nicht totgeschlagen werde und man mir keine silbernen Löffel stiehlt. Auf ähnlichem Standpuncte Fichte’s[kq] Naturrecht, Kant’s[kr] Rechtsphilos[ophie] Schelling’s[ks] Neue Deduction des Naturrechts und die ganzen späteren Anhänger dieses „Naturrechts“.
Einseitige Betonung des Moments der Erzwingbarkeit im Rechtsbegriff; – das Recht betrifft nur das äußere Zusammensein der Personen, die gegenseitige Einschränkung ihrer Freiheit. Sie ist aus diesem Begriffe oder Satze a priori[kt] zu deduciren, wie die Mechanik. Principiell mit der Ethik Nichts zu thun; volle Ausführung der mit Thomasius[ku] begonnenen Ablösung.
Tiefster Stand in der Schätzung des Staats – er ist kein sittliches Gut; nur das Gut der selbständigen Existenz des Individuums – Person und Eigenthum. Erst jenseits des Staatslebens beginnt der innere Werth der Individuen – der Staat hat nur deren irdische Existenz zu garantiren.
Ihren Lebensinhalt, Befriedigung sinnlicher wie sittlicher Bedürfnisse haben sich die Individuen selbst zu schaffen. Der Staat sorgt für ihre Ungestörtheit. Er ist ein System von Prohibitivmaßregeln, keine schöpferische Potenz. Antithese gegen den bevormundenden Polizeistaat, dessen Theoretiker Wolff[kv] gewesen war; einerseits[kw] gegen die Auffassung des Staats als eine Wohlfahrtsmaschinerie, welche väterlich sorgend Alles einrichtet, und die Ruthe bei der Hand hat.
Gegen diesen Eudämonismus mit aller Energie; der Staat hat nicht das Glück der Menschen zu fördern: kantisch-fichte’sche Auffassung. Er hat die Menschen so frei zu machen, daß sie ihre Pflicht thun können. Aber er hat sie auch nicht zur Pflichterfüllung zu zwingen, – denn das ist unmöglich, das kann nur jedes Individuum: vermöge seiner Freiheit. |
Aber bei diesen Gegensätzen doch eine tiefere Gemeinschaft. Für beide Theorien ist der Staat um der Individuen willen da und nicht um seiner selbst willen. In dem einen Falle des Wohlfahrtsstaats gilt das Individuum als zu schwach, um allein seine Wohlfahrt zu besorgen, – in dem andern Falle fühlt sich das Individuum in seiner überragenden Kraft, es ruft dem Staate zu – sorge du nur für meinen Frieden, für alles andre sorg’ ich schon selbst, du hast mit meinem Glücke Nichts zu schaffen; ich bin viel zu hoch, als daß du mit deiner äußerlichen Polizeimaschinerie an mich heran kannst!
Die Individuen empören sich gegen diesen Staat, der ihnen kein selbständiges Gut ist, zu dem sie kein inneres Verhältniß haben, – sie verurteilen eben damit den eudämonistischen Bevormundungsstaat. Französ[ische] Revolution.
Dies Gemeinsame beider Theorien kommt zu Tage in beider Anlehnung an die Vertragstheorie. Ist sie genetisch – Biedermann der Urzeit –, so ist sie im Widerspruch mit allen Thatsachen der Anthropologie. Ist sie Form der Begründung, so ist sie ein Cirkel, da es bindenden Vertrag nur im Staate und durch den Staat giebt. Auf dem Boden dieser Theorie die Naturrechtler ganz consequent: dies nothwendige Uebel so viel wie möglich einzuschränken! Was das Individuum allein kann, da soll der Staat die Hände davon lassen.
Theorie der Urrechte der Individuen, aus dem erst durch Staatsvertrag das Recht der Obrigkeit fließt: dann versteht es sich von selbst, daß davon so wenig wie möglich vergeben wird. Die Durchführung dieses Princips ganz rein vielleicht nur in dem Entwurf von Humboldt. Bei den andern zeigen sich Lücken. So bei Kant[kx] und Fichte[ky] in der Strafrechtstheorie: Nicht eudämonistisch, aber auch nicht abstract zu begründen, logisch gab’s noch nicht – also ethisch. Der Staat hat die sittlichen Functionen der Vergeltung resp. der Ableistung[kz].
So entdeckt Fichte[la] das „Recht, von der Arbeit leben zu können“ – unableitbar aus den frühern Prämissen: und sein Doctrinarismus construirt[lb] 4 Jahre später den geschlossenen Handelsstaat, Socialismus, Abschaffung des Freihandels, der Gewerbefreiheit, – eine Beschränkung der Individuen, wie sie sich der Polizeistaat nie hätte träumen lassen. Aber in Fichte vollzieht sich eine andre Wendung. Jene Staaten, die den Individuen kein Gut waren, gingen unter.
Die Sehnsucht nach einer andern Art staatlicher Gemeinschaft bricht aus. Die Bestimmung der Nation, die Kraft des Lebens im gemeinsamen Ideal wiederzugewinnen: Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters und Reden an die deutsche Nation. Wieder äußerste Consequenz: Kultur[lc] steht[ld] bei den Deutschen, sie müssen den nationalen Staat schaffen, der der Träger aller Cultur, der Hort der Ideale sein soll, – er muß in der Erziehung[le] wurzeln und sie bestimmen, er muß das ganz Leben durchdringen und in sich aufnehmen.
Die Theorie für das, was sich wirklich vollzog: der Staat wird ein innerlich bejahtes Gut, in ihm soll nun Alles wieder gewonnen werden. Jetzt wird derselbe Humboldt Pr[eußischer] Minister und thut an der Gründung der Berl[iner] Universität mit. Der Staat als Gut geschätzt, das er werden soll. |
Dieser äußern Noth tritt ein inneres Motiv, rein theoretischer Natur hinzu, um die ganze Ansicht vom Staate zu ändern. Kant – Fichte: die Vernunft ist das Ueberindividuelle im Menschen, welches im Individuum und dessen beschränkten Bewußtsein nur erscheint. Sie beruhen nicht auf dem Individuum, sie sind metaphysisch vor demselben; das Individuum hat sich ihnen zu unterwerfen: Normen. So schwebt auch der allgemeine Wille über dem individuellen. Der Staat vor den Individuen[lf] ein hoher Ort[lg], 2t. Natur, die real werden soll[lh]. Diesen Begriff führte Schelling[li] in der neuen Deduction des Naturrechts[lj] ohne Ausnutzung ein. In der Geschichtsphilos[ophie] Fichte’s[lk] spielt er die größte Rolle. Der Staat als kunstvolle Darstellung des sittlichen Gesammtbewußtseins; als Realisirung des sittlichen Gesammtwillens. So in den späteren Vorlesungen nicht mehr über „Naturrecht“, sondern über den Staat. Der Staat als Ausdruck aller Culturfunctionen des Volkes.
Dieselben Motive bei Hegel[ll]. Seine Sehnsucht nach dem deutschen Staate. Entwurf der Reichsverfassung. Fiat justitia pereat germania[lm][15]. Seine Antrittsreden. Derselbe Gedanke „der objective Geist“. Im ersten Entwurf ist ihm der Staat geradezu das Absolute, die „Realisirung der sittlichen Idee“. Bei ihm kommt endlich die Versenkung in das Alterthum hinzu. Hier sah er wirklich im Staat die volle Entfaltung aller menschlichen Thätigkeiten. Plato[ln] und Aristoteles[lo]. Der Staat als Erscheinung der Weltvernunft. Die organische Staatsauffassung von Krause, Ahrens, Roeder[lp].
Der Staat als Inkarnation des Volksgeistes: die romantische Schule und die historische Schule. Kein abstractes Naturrecht mehr. Der Ausdruck einer wirklichen Lebendigkeit des Staatsgedankens. Der Staat ist ethisches Gut, – für Hegel beinahe höchstes Gut[lq] geworden. Er ist der äußere Ausdruck für die innerliche Zusammengehörigkeit, die geistig-sittliche Gemeinschaft des Volkes.
Dann aber macht er alle Zwecke des Volks, soweit dieselben überhaupt durch gemeinsame Thätigkeit zu fördern sind, zu den seinigen, – er ist das ganze System der Gesellschaft. Seine Functionen müssen so weit als irgend denkbar erweitert werden.
Die verschiedenen Theorien Reflexe des wirklichen Verhältnisses der Menschen zum Staat; – zu Ende gedacht und individualisirt. Unmöglich deshalb, in einer allgemeingiltigen Weise, begrifflich und a priori[lr] die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen.
Das entspricht der gegenwärtigen Stellung der Rechtsphilos[ophie]. Kein abstractes, überall giltiges bis in das Detail sich durchführendes Naturrecht. Rechtsidee = pos[itives] Recht. „Recht ist, was der Rechtsidee entspricht“[16]!
Scheidung des Allgemeinen vom Historischen. Wir können im Allgemeinen die Stellung bestimmen, welche Stellung[ls] der Staat und seine Rechtsordnung in dem teleologischen Zusammenhange des Menschenlebens einnimmt. Aber nicht, daraus einzelne Inhaltsbestimmungen des Rechts entwickeln. |
Gesammtbewußtsein der Bestimmung und Ordnung der Gesellschaft. Ursprünglich als unausgesprochene Nothwendigkeit des Sociallebens, welches Urzustande. Verselbständigung der Individuen. Bestimmung des Unerläßlichen durch die staatliche Macht. Recht als ethisches Minimum. Welches dies Minimum sei und in welchen Lebenssphären es sich bewegt, – das ist das historische Element in jeder Rechtsbildung: Gegebene Verhältnisse und Umbildung des ethischen Bewußtseins[lt]. Das pos[itive] Recht geht den Wandlungen des eth[ischen] Bewußtseins nur ruckweise nach. Daher die möglichen Differenzen und der Conflict des Sittlichen mit dem Rechtlichen. Deshalb eben der Umfang des Rechts nicht fest zu begrenzen, und ebensowenig die Wirksamkeit des Staates, die damit zusammenfällt.
Gäbe es ein Naturrecht, so wäre mit dem Schutz dieses Rechtssystems auch der Umfang der Staatswirksamkeit bestimmt. So aber wurzelt die Ausdehnung des Staats- resp. Rechtslebens in der jeweiligen Gestaltung des sittlichen Bewußtseins. Nur ganz werthlose Minima[lu] und Maxima[lv]. Minimum Selbsterhaltung des Staats in Regierung, bewaffneter Macht, Gesetzgebung, Rechtspflege. Darauf nie beschränkt. Die Verwaltung muß stets eingreifen. Maximum[lw]. Das Unerzwingbare – nur Gesinnungen. Aber hier reicht die Kraft des Staats sehr weit durch die Erziehung. Er erzwingt nicht Gesinnungen[lx], aber er erzwingt eine Erziehung, aus der mit psychol[ogischer] Nothwendigkeit Gesinnungen hervorgehen. Dessen bedient sich jeder Staat. Republikanische Egalité-Erziehung in Zürich[17].
Das erste zu eng – das zweite zu vag. Zu entscheiden stets nur im besonderen Zusammenhange.
Zwei Richtungen: Christliche[ly] und wirthschaftliche Interessen. In erster Hinsicht bleibt das Ideal einer vollen Gemeinschaft des Volksbewußtseins, welche sich auch im äußeren Leben manifestirt. Begreiflich die Tendenz des von einem bestimmten religiösen Vorstellungskreises erfüllten Staates. Aber die Bedingungen dazu fehlen vielleicht noch für lange. Die Geschichte hat das Individuum innerlich verselbständigt; und der Proceß ihrer vollkommenen Unterwerfung unter ein Allgemeines ist auf das Unendliche angelegt. So weit, als kein vollkommnes Gesammtbewußtsein besteht, kann der Staat keins schaffen. So weit, als es vorhanden ist, muß er es zum festen Ausdruck bringen in der Erziehung.
Was die wirthschaftlichen Interessen anlangt, so ist auch hier das sittliche Bewußtsein zum Austrage zu bringen. Es verlangt zweifellos eine gerechte Vertheilung der Güter. Diese sittliche Ordnung ist der natürlichen entgegengesetzt. In der Natur frißt der Stärkere einfach den Schwächeren. Die sittliche Ordnung duldet das nicht. Zu den integrirenden Bestandtheilen des sittlichen Bewußtseins gehört diese Ueberzeugung, daß man darin nicht einfach das Naturgesetz laufen lassen darf. Daher in dem modernen[lz] Staate κατ’ ἐξοχήν[18], dem deutschen Staate der Anfang der Socialgesetzgebung.[ma]
Kommentar zum Textbefund
a↑1882. | ] gegenüber auf der Umschlaginnenseite Inventarstempel; Bl. 1v Besitzstempel der Tohoku und ergänzender Text zur Einfügung, Bl. 2r oben links ein weiterer Stempel über 4 Zeilen des Textes, Fortsetzung des Textes auf Bl. 2r, paginiert mit rotem Farbstift als 1d↑die … standen, ] mit Einfügungszeichen auf Bl. 1v geschrieben; darunter Literaturangabe: M. Voigt, Die Lehre vom jus naturale, p. 805ff.m↑Ganz … ist. ] gegenüber auf Bl. 1v: Anklänge im Alterthum bei den Stoikern und ihrer Lehre vom Weltbürgerthum der Weisen, vom natürlichen Rechte, woran schon die Cyniker anstreiften. | Das Naturgesetz als Norm des Menschenlebens. | So spricht auch Cicero vom jus gentium, dem für alle Völker geltenden, aus der göttlichen Vernunftordnung fließenden Rechte – im Gegensatz zum ius civile des besonderen Staates. | Desjardins. De scientia civili apud Cic[ero]. Beauvais 1857 | Zachariae. Staatswissenschaftliche Betrachtungen über C[icero]’s wiedergefundenes Werk vom Staate Heidelberg 1823 | Vorbereitungen für Grotius in den späteren, oppositionellen Scholastikern; namentlich Occam († 1347), der im Kampfe Ludwig des Baiern gegen Pabst Johann XXII den ersteren vertheidigte: Disputatio super potestate ecclesiastica praelatis atque principibus terrarum commissa und sein Defensorium | cf. Schreiber, Die politischen und religiösen Doctrinen unter Ludwig dem Baiern Landshut 1858 und bei Marsilius von Padua: Defensor pacis 1324p↑1855 | ] Bl. 2v Text zur Einfügung auf Bl. 3r, Bl. 3r Fortsetzung des Textes, paginiert mit rotem Farbstift als 2aa↑Parallele der Natur- resp. Vernunftreligion und der positiven Religion. ] mit Einfügungszeichen auf Bl. 2v geschriebenah↑abzuleiten. | ] Bl. 3v Text zur Einfügung auf Bl. 4r, Bl. 4r Fortsetzung des Textes, paginiert mit rotem Farbstift als 3at↑derselben. | ] Bl. 4v Text zur Einfügung auf Bl. 5r, Bl. 5r Fortsetzung des Textes, paginiert mit rotem Farbstift als 4au↑§ 2. Die Aufgabe der Rechtsphilosophie. ] unterstrichen; links daneben auf Bl. 4v Datierung mit blauem Farbstift: 3/3 82bb↑diesen ] bezieht sich auf den ursprünglich vorhergehenden Satz, gemeint ist: auf diesen allgemeinen Zusammenhangbf↑verstehen. | ] Bl. 5v Text zur Einfügung auf Bl. 6r, Bl. 6r Fortsetzung des Textes, paginiert mit rotem Farbstift als 5bs↑(Logik oder theoretische Philos[ophie]) ] mit Einfügungszeichen auf Bl. 5v geschrieben, im Ms. ohne Klammernbt↑Functionen: | ] Bl. 6v Text zur Einfügung auf Bl. 7r, Bl. 7r Fortsetzung des Textes, paginiert mit rotem Farbstift als 6cj↑soll. | ] Bl. 7v Text zur Einfügung auf Bl. 8r, Bl. 8r Fortsetzung des Textes, paginiert mit rotem Farbstift als 7cl↑§ 3. Die Methode der Rechtsphilosophie. ] unterstrichen; links daneben auf Bl. 7v Datierung mit blauem Farbstift: 9/5 82; gegenüber auf Bl. 7v Literaturangaben: L[itera]t[ur] Stahl, Philos[ophie] des Rechts Bd. I. Die Genesis der speciellen Rechtsphilos[ophie] 3. Aufl. 1853 | Matter, Historie des doctrines morales et politiques des trois derniers siècles. Paris 1836 | Hinrichsen, Geschichte der Rechts- und Staatsprincipien seit der Reformation Leipzig 1848–52. | I. H. Fichte, Die philos[ophischen] Lehren von Recht, Staat und Sitte seit der Mitte des 18. Jahr[underts]. | Vorländer, Gesch[ichte] d[er] philos[ophischen] Moral-, Rechts- und Staatslehre der Engl[änder] und Franzosen Marburg 1853. | Mohl’s Gesch[ichte] d[er] Literatur I–III. Bluntschli, Geschichte des allg[emeinen] Staatsrechts. München [18]64 (Gesch[ichte] d[er] W[issenschaften] in D[eutschland] Bd. I).cm↑ob … ist. ] grammatische Inkonsistenz wie im Ms. Entweder ist ‚Zweck‘ zu ergänzen oder ‚absolutes, relatives etc. (Prinzip)’ zu lesen.cs↑Im … Standpuncte. ] mit Einfügungszeichen auf Bl. 7v geschrieben, darunter Literaturangaben: Fr[iedrich] von Raumer, Die geschichtliche Entwicklung der Begriffe von Staat, Recht und Politik 2. Aufl. 1832. | Rossbach, Die Perioden der Rechtsphilos[ophie]. Regensburg 1842. | Lintz, Entwurf einer Gesch[ichte] der Rechtsphilos[ophie] Danzig 1846. | Paul Janet, Histoire de la philos[ophie] morale et politique. Paris 1858 | Mackintosh, Dissertation on the progress of ethical philosophy. London 1830 | Whewell, lectures on the history of moral philosophy, London 1862 | Blakey, History of moral science. Edinb[urgh] 1863dc↑Gesichtspunct. | ] Bl. 8v Text zur Einfügung auf Bl. 9r, Bl. 9r Fortsetzung des Textes, paginiert mit rotem Farbstift als 8dh↑Die … behandeln. – ] gegenüber auf Bl. 8v geschrieben: Auf diesem Standpunct „Naturrecht“ eine rein rationale, deductive Ableitung der aus dem Begriffe des äußern Zusammenseins der Menschen und seiner absoluten Nothwendigkeit sich ergebenden Consequenzen. Rein doctrinales Naturrecht.du↑Am typischsten: ] gegenüber auf Bl. 8v weitere Literaturangaben: S[iehe] Lambert und Volney, La lois naturelle en principes de la morale Catéchisme universel 1797 (1. Aufl.: Catéchisme du citoyen français 1793) | J[ohn] St[uart] Mill. On utilitarianisme. 1864dz↑anzu|wenden ] Bl. 9v Text zur Einfügung auf Bl. 10r, Bl. 10r Fortsetzung des Textes, paginiert mit rotem Farbstift als 9eb↑wenden … ausreichend. ] gegenüber auf Bl. 9v geschrieben: Diesen Versuch macht neuestens Ihering, Der Zweck im Recht Bd. I 1877 II, 1882 im Erscheinen, während sein „Geist des römischen Rechts“ Bd. I–III, ohne ausdrücklich philos[ophische] Absicht noch nicht diesen Standpunct einnimmt und zahlreiche feinsinnige Bemerkungen bringt.eg↑Staat. ] danach Einfügungszeichen, auf Bl. 9v ohne Wiederholung des Zeichens geschrieben: cf. Einleitungen bes[onders] zur Πολιτεία von Schleiermacher, Stallbaum und Steinhardt.fa↑1615. | ] Bl. 10v Text zur Einfügung auf Bl. 11r, Bl. 11r Fortsetzung des Textes, paginiert mit rotem Farbstift als 10fw↑sittliche. | ] Bl. 11v Text zur Einfügung auf Bl. 12r, Bl. 12r Fortsetzung des Textes, paginiert mit rotem Farbstift als 11hi↑Hegel … VIII. ] gegenüber auf Bl. 11v geschrieben: „Moralität“ – „Sittlichkeit“. Ethos: (subj[ektiv] u[nd] object[iv]: Stahl)hz↑(Güterlehre) | ] Bl. 12v leer bis auf Datierung (s. u.), Fortsetzung des Textes auf Bl. 13r, nicht paginiertid↑Allgemeine … 1836. ] am rechten Rand mit Akkolade zusammengefaßt, daneben geschrieben: W W [Werke] VIII.im↑Diesen vierten Standpunct theile ich ] gegenüber auf Bl. 12v Datierung mit blauem Farbstift: 17/5 82in↑construiren. | ] Bl. 13v Text zur Einfügung auf Bl. 14r, Bl. 14r Fortsetzung des Textes, mit rotem Farbstift paginiert als: 13iy↑vermittelt. | ] Bl. 14v Text zur Einfügung auf Bl. 15r, Bl. 15r Fortsetzung des Textes, mit rotem Farbstift paginiert als: 14jc↑„Willst … wollen“ ] gegenüber auf Bl. 14v geschrieben: „Folgte Begierde dem Blick, folgte Genuß der Begier.“ (vgl. Goethe, Römische Elegien, Kapitel 3.)jq↑(„Freiheit des Willens“) ] mit Einfügungszeichen auf Bl. 14v geschrieben, im Ms. ohne Klammersetzungju↑„soweit er sie weiß“ ] gegenüber auf Bl. 14v geschrieben: „Man kann kein Mittel wollen, ohne alle die Consequenzen zu wollen, von denen man weiß, daß sie sich daraus ergeben werden.“jz↑„Vorbereitung“. | ] Bl. 15v Text zur Einfügung auf Bl. 16r, Bl. 16r Fortsetzung des Textes, mit rotem Farbstift paginiert als: 15kh↑Gneist ] in lat. Schrift; danach gestrichen: Selfgovernment, Communalverwaltung und Verwaltungsgerichte [in England]. Berlin 18[71]ko↑Wesen. | ] Rest der S. leer; Bl. 16v Literaturangaben unter Datierung mit blauem Farbstift: 24/5 82 | Espinas, Die thierischen Gesellschaften; deutsch von Schlosser. Braunschweig 1879. | Vico: Principj di una scienze nuova d’intorno all commune natura delle nazioni. Napoli 1725. | J. de Maistre. Soirées de S. Petersbourg. Paris 1821. cf. auch Heder. | und ähnlich Bonald und Ballanche | ebenso de Haller. Restauration de la science politique on théorie de l’état social naturel opposée à la fiction d’un état civil factice. 3 Bde. Paris 1824 | Bonald: „Nicht die Individuen sind es, welche die Gesellschaft bilden, sondern die Gesellschaft ist es, welches das Individuum bildet, weil die Individuen nur in der und für die Gesellschaft existiren.“ | Quételet: Essai de physique sociale. Bruxelles 1835. Du système sociale. 1848 Anschluß an Condorcet. | Schäffle. Bau und Leben des socialen Körpers. Encyclopädischer Entwurf einer realen Anatomie, Physiologie und Psychologie der menschlichen Gesellschaft. I. 1875 IV. Encyclopädie der Staatslehre 1878. cf. R. v. Lilienfels. Gedanken über die Socialwissenschaft der Zukunft. 2 Bde. Milau 1873. | Die biologische Umkehrung bei Claude Bernard [darunter gestrichen: cf. Häckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte] | Comte. Système de politique positive. Paris 1851. | Spencer. Principles of sociology. London 1876 | Hegel, Phänomenologie des Geistes. 1807 | Lazarus und Steinthal, „Zur Einführung“ 1 Bd. der Zeitschr[ift] für Völkerpsychologie Berlin 1859. | Bonald: Théorie du pouvoir social. 1796; neu gearb[eitet] 1843. Essai analytique sur les lois naturelles de l’ordre social. 1 Aufl. anonym 1800, 2 Aufl. 1817. Oeuvres Bd. I. Législation primitive. 1 Aufl. 1892, 2 1817. Bd. II–IV | Ballanche. Essai sur les institutions sociales 181. Oeuvres Bd. II; Bl. 17r–24v leer, Ende des Heftes. Zwischen Bl. 23v u. 24r eingelegte vierseitige Beilage auf einem gefalteten Bl.Kommentar der Herausgeber
1↑πρῶτον φεῦδος ] gr. die erste Lüge, d. h. die erste falsche Voraussetzung, wodurch das ganze Argument falsch wird.2↑„Recht ist, was der Rechtsidee entspricht“ ] vgl. z. B. Theodor Marezoll: Lehrbuch der Institutionen des römischen Rechtes. 8., umgearbeitete Aufl. Leipzig: Barth 1866, S. 2: Recht ist dasjenige, was der Rechtsidee und deren Gesetzen entspricht.3↑ius gentium, quod natura omnia animalia docuit ] eigentlich die römische Definition des Naturrechts: ius naturale est, quod natura omnia animalia docuit (Naturrecht ist das, was die Natur allen Lebewesen lehrt), hier für das ius gentium (Völkergemeinrecht) formuliert4↑Ankündigung „im Zusammenhange etc.“ ] vgl. im Vorlesungsverzeichnis der Universität Freiburg für das SS 1882: Rechtsphilosophie (im Zusammenhange mit den allgemeinen Principien der praktischen Philosophie), Dienstag und Mittwoch von 8–9 Uhr.5↑„Cap Horn der Rechtsphilosophie.“ ] vgl. Rudolf von Jhering: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig: Breitkopf § Härtel 1854, S. 48 (§ 26).6↑Kant: cf. meine Geschichte. ] gemeint ist Windelband: Die Blüthezeit der deutschen Philosophie. Leipzig: Breitkopf u. Härtel 1880 (Die Geschichte der neueren Philosophie in ihrem Zusammenhange mit der allgemeinen Cultur und den besonderen Wissenschaften Bd. 2. Von Kant bis Hegel und Herbart).7↑cf. Lasson, pag. 9 ] vgl. Adolf Lasson: System der Rechtsphilosophie. Berlin/Leipzig: J. Guttentag 1882, S. 9: Aber wenn z. B. das Verbot, meinem Nachbarn die Aussicht zu verbauen, sicher nicht in die Moral, das Verbot unkeusch und lieblos zu sein, sicher nicht in das Recht fällt: so fällt die Verpflichtung, meinen Freund durch Abnehmen des Hutes zu grüssen, oder Gastfreundschaft nach Landes- und Standesbrauch zu üben, oder die Formen der guten Gesellschaft innezuhalten, ebenso sicher weder unter die Moral noch unter das Recht.8↑bei Erdmann p. 118 ] vgl. Leibniz: Opera philosophica omnia. Hg. v. Johann Eduard Erdmann. Berlin: Eichler 1840.9↑Neminem … vivere ] römischer Rechtsgrundsatz: niemanden verletzen, jedem das Seinige zuteilen, ehrenhaft leben11↑Zitelmann. Irrthum und Rechtsgeschäft. ] Eine psychologisch-juristische Untersuchung. Leipzig: Duncker & Humblot 1879.12↑„Willst … wollen“ ] vgl. neben Windelbands Hinweis auf Goethe noch Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA 46: wer den Zweck will, will auch (der Vernunft gemäß notwendig) die einzigen Mittel, die dazu in seiner Gewalt sind.13↑„Durcheinanderwogen der Summe aller Interessen“ ] vgl. Adolf Lasson: System der Rechtsphilosophie. Berlin/Leipzig: J. Guttentag 1882, S. 187: Die menschliche Gemeinschaft, sofern sie den Boden bildet für das Durcheinanderwogen der Summe aller Interessen, welche die Einzelnen als solche oder zu Gruppen vereinigt verfolgen, wird mit dem Namen der Gesellschaft oder genauer der bürgerlichen Gesellschaft bezeichnet. Die Gemeinschaft hat allen diesen Interessen der Einzelnen und der Gruppen von Einzelnen gegenüber ihre eigenen Interessen. Im Gegensatze zu den Interessen der Gemeinschaft, welche öffentliche Interessen heißen, sind alle anderen Interessen privater, gesellschaftlicher Natur. Das Dasein und Leben der Gemeinschaft zeigt einen unausgesetzten Kampf der gesellschaftlichen wider die öffentlichen Interessen. Daran dass diese die Oberhand gewinnen und behaupten, liegt das Heil und die gedeihliche Entwicklung des menschlichen Geschlechtes.15↑Fiat justitia pereat germania ] lat. es soll Gerechtigkeit geschehen, und sollte Germania (Deutschland) darüber zugrunde gehen, als Wahlspruch Kaiser Friedrich I. eigentlich: Fiat iustitia et pereat mundus (Büchmann, Geflügelte Worte).16↑„Recht ist, was der Rechtsidee entspricht“ ] vgl. z. B. Theodor Marezoll: Lehrbuch der Institutionen des römischen Rechtes. 8., umgearbeitete Aufl. Leipzig: Barth 1866, S. 2: Recht ist dasjenige, was der Rechtsidee und deren Gesetzen entspricht.17↑Egalité-Erziehung in Zürich ] die Windelband aus eigener Anschauung 1876/77 Zeit seiner dortigen Professur kennen konnte▲