Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Hinrich Knittermeyer, Heidelberg, 22.10.1912, 2 S., hs. (lat. Schrift), Staats- und UB Bremen, Autographensammlung Aut. XXVIII, 34
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen
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Windelband an Hinrich Knittermeyer, Heidelberg, 22.10.1912, 2 S., hs. (lat. Schrift), Staats- und UB Bremen, Autographensammlung Aut. XXVIII, 34
Heidelberg, 22.10.12
Sehr geehrter Herr,
Da ich von der formellen Behandlung, die Sie mit dem mir vorgelegten „Aufruf“[1] vorhaben, nichts weiss und deshalb auch nicht sehe, was die von mir gewünschte „Befürwortung“ bedeuten soll, so bleibt mir nur übrig, Ihnen meine sachlich[a] unbedingte Zustimmung[2] zu dem Inhalt des Ausrufs auszusprechen. Ich würde es tief beklagen, wenn es dabei bleiben sollte, dass wieder eine Professur der Philosophie an die experimentelle Psychologie ausgeliefert wird, – dass ein neuer Schritt dazu gemacht ist, dass das erfreuliche Interesse, welches gegenwärtig die studierende Jugend der Philosophie entgegenbringt, sich ausserhalb der akademischen Lehre zu befriedigen genötigt wird: und ich halte es für besonders bedauerlich, dass dies Schicksal gerade den Lehrstuhl eines Mannes[3] betreffen soll, der | auf ihm in hervorragender Weise eine wahrhaft philosophische Wirkung ausgeübt hat.
Hochachtungsvoll
W Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑„Aufruf“ ] die Rede ist von dem letzlich erfolglosen Einsatz Marburger Studenten von Hermann Cohen und Paul Natorp, zu denen Hinrich Knittermeyer zählte, gegen die als Skandal empfundene Nachfolgebesetzung des Lehrstuhls von Cohen durch den Psychologen Erich Jaensch (vgl. Windelband an Rickert vom 8.1.1913). Der Aufruf lautete: In Marburg ist der Lehrstuhl für systematische und historische Philosophie, den bisher Professor Herm. Cohen innehatte, durch einen Experimentalpsychologen besetzt worden. Die Notwendigkeit einer Professur für Experimentalpsychologie soll durchaus nicht in Zweifel gezogen werden. Hingegen erscheint es als völlig ungerechtfertigt, diesem Bedürfnis auf Kosten der systematischen Philosophie nachzukommen. Es handelt sich hier nicht um eine Angelegenheit nur der Universität Marburg, nicht um eine Angelegenheit der Philosophie allein, sondern um ein Lebensinteresse der Universität schlechthin. Für die Zukunft der deutschen Universität ist es von entscheidender Bedeutung, dass der systematischen Philosophie keiner ihrer Lehrstühle verloren geht. Darum bitten wir, dass für den in Marburg an die Experimentalpsychologie abgetretenen ein neuer Lehrstuhl für systematische Philosophie an dieser Universität geschaffen wird (zitiert nach Edmund Husserl Briefwechsel Bd. 5, Die Neukantianer, S. 23). Vgl. Heinrich Rickert an Emil Lask vom 7.12.1912: Die Marburger Studenten-Kundgebung ist mir durchaus sympathisch und ich werde alles tun, um sie zu unterstützen. Sehr geschickt sind die jungen Herren freilich nicht, denn die Behauptung, daß fast alle bedeutenden Philosophen ihren Aufruf unterstützt hätten, muß starken Widerspruch erregen, denn das ist leider nicht wahr. | Aber daran dürfen wir uns nicht stoßen. Wie ich über die Sache sonst denke, können Sie aus meinem Verhalten ersehen. Ich habe heute Vormittag den Fall im Seminar zur Sprache gebracht und gebeten, daß die Herren, die die Sache in die Hand nehmen wollten, sich bei mir melden möchten. […] Wir können uns doch nur von ganzem Herzen darüber freuen, wenn die Studenten sich einmal für eine solche Frage interessieren. Das ist doch etwas, was sie vor allen Dingen angeht. Besonders weiß ich nicht, warum ich den Freiburger Studenten meine Meinung vorenthalten soll, nachdem ich den Marburgern geschrieben habe, ich hielte „jede Besetzung eines philosophischen Lehrstuhls durch einen experimentellen Psychologen für eine schwere Schädigung der Philosophie wie der Universität überhaupt.“ So ungefähr! | Dies muß für heute genügen. Den Entwurf zu der Erklärung habe ich noch nicht aufgesetzt. Der muß sehr vorsichtig formuliert werden und dazu brauche ich Ruhe (http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs3820). Zum Kontext – der Vorgeschichte der Erklärung der 107 gegen die Besetzung philosophischer Lehrstühle mit Experimentalpsychologen – vgl. Horst Gundlach: Wilhelm Windelband und die Psychologie. Heidelberg: University Publishing 2017, S. 291–292.2↑Zustimmung ] vgl. das gleichsinnige Schreiben Edmund Husserls an Hinrich Knittermeyer vom 31.10.1912, zur Verlesung in einer Marburger Studentenversammlung freigegeben; sowie Husserl an Heinrich Rickert vom 21.11. u. 20.12.1912 (Edmund Husserl Briefwechsel Bd. 5, Die Neukantianer, S. 24 u. 172–174).▲