Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Paul Siebeck, Heidelberg, wahrscheinlich 6.2.1912, Text nach einer Transkription von Klaus Christian Köhnke, Umfang und Besonderheiten nicht bekannt, Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, NL 488
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- Physical LocationStaatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße
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Windelband an Paul Siebeck, Heidelberg, wahrscheinlich 6.2.1912, Text nach einer Transkription von Klaus Christian Köhnke[1], Umfang und Besonderheiten nicht bekannt, Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, NL 488
[Heidelberg, 6.2.1912][2]
Hochgeehrter Herr Doctor,
Haben Sie herzlichen Dank für Ihre freundliche Beantwortung meines Briefs[3]. ich bedaure, dass ich Sie mit meinen Fragen habe behelligen müssen. Aber es war leider sehr nötig; denn nach allem was Sie mir mitteilen, bin ich um die Encyklopädie[4] ernstlich besorgt. Es ist mir höchst erstaunlich, dass Herr Rickert, der anfangs dem Unternehmen beigetreten[5] war und für einen der späteren Bände einen Beitrag zugesagt hatte, der aber dann lediglich und ausdrücklich wegen seiner persönlichen Abneigung gegen Dr. Ruge sich davon zurückgezogen hat, nun, wo Sie das Erscheinen des ersten Bandes schon öffentlich angezeigt haben, Ihnen Bedenken wegen einer Sache erregt, die ihn garnichts mehr angeht. Sie teilen das „nur mir“ mit, und ich schweige darüber deshalb gegen Ruge und zunächst auch gegen Rickert selbst, das letztere vor allem, weil es mir ärztlich verboten[6] ist, mich zu ärgern.
Aber Ihnen muss ich allerdings sagen, dass ich alle meine Gegenargumente, wie ich sie Ihnen am 2.[7] d[es] M[onats] schrieb, vollauf aufrechterhalte. Diese diskutierten Argumente sind nichts Neues, das wussten Sie vorher, und ich finde, dass wir den ausländischen Mitarbeitern gegenüber eine wenig glückliche Rolle spielen, wenn wir ihnen jetzt[a] hinterher damit kommen. Weiterhin scheint mir das Originelle und Eigenartige des Ruge’schen Plans damit preisgegeben. Wenn die Sache wieder einsprachig wird und nur eventuell, wie Ruge sagt, ebenso einsprachige Parallelausgaben in den andern Ländern erscheinen sollen, so wird es eine Kopie des Logosgedankens, der übrigens auch nicht zur Durchführung zu kommen scheint, seitdem Ruge aus der Redaktion herausgedrängt[8] worden ist. Für unsre Sache scheint sich ja nur Ruge zuzutrauen, die Uebersetzungen „ohne grosse Verzögerung“[9] zu Stande zu bringen. ich fürchte sehr, dass eilig von Studenten hergestellte Uebersetzungen recht zweifelhaften Wertes sein können. Die ganze Angelegenheit scheint mir dadurch heillos verwirrt. ich werde nachher mit Ruge genauer darüber verhandeln und Ihnen dann noch einmal schreiben. Aber ich behalte mir, da diese ganze Neuerung bisher ohne meine Zustimmung inauguriert worden ist, für jetzt und für später vor, meinen Namen aus dem Titel zurückzuziehen, wenn ich finde, dass die Neugestaltung wesentlich ungünstiger für den sachlichen Wert des Unternehmens wird. Mein persönliches Interesse ist dabei vor allem dies, dass der Band so schnell als möglich erscheint. Die logische Bewegung ist jetzt sehr flüssig; schon jetzt bedaure ich, dass ich auf Lask’s Lehre vom Urteil, nur noch in nachträglichen Anmerkungen Rücksicht nehmen kann. Andre logische Dinge sind im Werke, so von Husserl[10]; auch Rickert ist schon lange daran und wird bald herauskommen[11]. Da möchte ich nicht, dass meine „Prinzipien“[12], die in ihrer knappen Gedrängtheit ein fertiges System darstellen, bei ihrem Erscheinen antiquiert sind. ich meine, zum Anfang des Sommersemesters sollte unser Band auf dem Markte sein, – so oder so – Beschleunigung ist die Hauptsache, jedes Zögern eine Gefahr.
Dem freundlichst angekündigten zweiten Heft des zweiten Bandes vom Logos sehe ich mit grosser Freude entgegen.
In alter herzlicher Gesinnung treulich der Ihrige
W Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Transkription von Klaus Christian Köhnke ] Kollation derzeit nicht möglich. Der Transkription liegt die Datei Manuskript: Windelband Briefe | herauszugeben von K. C. Köhnke | Ausdruck vom 1.3.2012 zugrunde, die den Herausgebern zur Verfügung steht. Ein Ausdruck dieser Datei befindet sich in öffentlichem Besitz (Universität Leipzig, Nachlass Klaus Christian Köhnke NL 330/3/1/2). Die Signatur des Originals ist mit Stichtag 14.5.2018 noch nicht bekannt. Laut telefonischer Auskunft von Roland Klein, Referat für Nachlässe und Autographen der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz vom 21.11. und 2.12.2016 ist die Erfassung des Nachlasses 488 (Verlagsarchiv Mohr-Siebeck) noch nicht abgeschlossen.3↑Beantwortung meines Briefs ] vgl. Windelband an Siebeck vom 2.2.1912 u. Siebeck an Windelband vom 5.2.19024↑die Encyklopädie ] das Projekt Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften. Hg. v. W. Windelband u. A. Ruge. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1912, ist über den 1. Bd. nicht hinausgekommen.5↑dem Unternehmen beigetreten ] vgl. Rickert an Siebeck vom 22.3.1910: In meinem Gespräch mit Ruge bin ich, nachdem ich die Überzeugung gewonnen hatte, daß Ruge ein anständiger Mensch ist, der vor allem Mitleid wegen seines zügellosen Temperamentes verdient, von dem Gedanken geleitet gewesen, ihm eine Brücke zum Rückzug zu bauen. Ich habe ihm auch meine Mitwirkung an seiner ‚Encyclopädie‘ versprochen, was er so freundlich war, als eine Art von Aequivalent anzusehen. Ich möchte aber auch Ihnen nicht verhehlen, daß ich in dieser Encyklopädie etwas sehe, was die Arbeit am Logos erschweren wird. Die schwierigste Aufgabe wird darin bestehen, Artikel aus Frankreich, England, Italien und Amerika zu bekommen. Da macht die Encyklopädie eine höchst unerwünschte Konkurrenz (zitiert nach Briefe und Dokumente zur Geschichte der Zeitschrift Logos. UB Leipzig. Nachlass Klaus Christian Köhnke, NL 330/3/1/5, Ausdruck vom 1.3.2012).8↑Ruge aus der Redaktion herausgedrängt ] vgl. die betreffenden Briefwechsel mit Rickert und Siebeck im Frühjahr 191011↑wird bald herauskommen ] Rickerts Die Logik des Prädikats und das Problem der Ontologie erschien erst 1930, obwohl die Pläne lange zurückreichten, vgl. Windelband an Heinrich Rickert vom 8.6.1908.12↑meine „Prinzipien“ ] vgl. Windelband: Die Prinzipien der Logik. In: Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften. Hg. v. W. Windelband u. A. Ruge Bd. 1. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1912, S. 1–60.▲