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- TitleAlfred Dove an Windelband, Freiburg i. Br., 4.12.1911, abgedruckt in: Alfred Dove. Ausgewählte Briefe. Hg. u. eingeleitet v. Oswald Dammann. München: Bruckmann 1925 (Alfred Dove. Ausgewählte Aufsätze und Briefe Bd. 2. Hg. v. F. Meinecke u. O. Dammann), S. 281–283.
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Alfred Dove an Windelband, Freiburg i. Br., 4.12.1911, abgedruckt in: Alfred Dove. Ausgewählte Briefe. Hg. u. eingeleitet v. Oswald Dammann. München: Bruckmann 1925 (Alfred Dove. Ausgewählte Aufsätze und Briefe Bd. 2. Hg. v. F. Meinecke u. O. Dammann), S. 281–283.
Freiburg i. Br. Luisenstr. 7, den 4. Dezember 1911.
Vielen herzlichen Dank, verehrter Freund, für Ihre Grabrede auf die „großen Denker“[1], die in der behutsam maßvollen Zuversicht auf das Fort- oder Wiederaufleben einer des Namens würdigen Philosophie leider ein wenig an die amtsmäßigen Tröstungen der Protestantenvereinler oder der Jatholiken[a] erinnert. Ich habe Ihren Aufsatz wiederholt gelesen, stimme Ihren Kritiken völlig zu, soweit bei mir Kenntnis und Verständnis reichen, beuge mich in geziemender Ehrfurcht, sofern ich mir offen Unkenntnis oder heimlich Mißverständnis eingestehen muß; am Schluß aber muß ich leider sagen, daß ich in solcher „vierdimensionalen“ kritischen Kulturphilosophie, d. h. die den Geist nur historisch in der Dimension seiner zeitlichen Entwicklung – nicht anschaut, denn das tun eben wir Historiker, sondern – begreift, keine echte „Philosophie“ mehr erblicken kann. Metaphysik hatte in allen Gestalten etwas von Glauben, meinetwegen Irrglauben heischender und erzwingender Religion – Ihre Metahistorik wandelt mich nirgend mit einem über Geschichte und „Kultur“ erhabenen Schauer an. Sie sehen, ich bin jetzt ein alter Mann, der es eilig hat, etwas Gewisses, Befriedigendes zu erlangen; etwas Haltbares, keine bloße „Kultur“, die gerade jetzt außer dem bißchen Naturwissenschaft und „Verkehrshindernisse“ überwindender Technik eher den Namen Barbarei verdient. Doch genug – ich fürchte, Sie werden mich mit meinem Geschwätz an den „Genius der Zukunft“[2] verweisen. Im Ernst: nochmals meinen Dank, besonders für alles, was Sie über Psychologie sagen! –
Verzeihen Sie, wenn ich noch einmal auf den dummen Festartikel zurückkomme; Sie sagen[3], Sie hätten ihn als ironisch „der Festschrift nicht zumuten“ wollen oder können. Gewiß nicht, wenn er in dem groben Sinn ironisch gewesen wäre, daß er schwarz weiß genannt hätte und umgekehrt. Aber das tut er nirgends; er sagt ja nur, das Münster werde sich neben dem neuen Gebäude „ruhig behaupten“. Wird es das etwa nicht? Böhm[4] selber, der für Herrn Billing[5] und seinen Stil schwärmt, hat den Artikel übrigens lächelnd als „sehr fein“ gelobt, und die Freiburger, denen gegenüber ich gar kein Hehl aus seiner Tendenz gemacht, haben das keineswegs übelgenommen. Denn, daß das Wachstum ihrer Universität etwas Irrationales hat, leugnet ja kein einziger. Worauf beruht die Mode? das war für mich die einzige Frage. Offenbar auf dem Zeitgeist, d. h. dem Generationsgeist der heutigen Jugend. Diesen stellt’ ich ironisch dar, indem ich lauter Eigenschaften Freiburgs hervorhob, die in seinen Augen Vorzüge sind, in meinen dagegen Mängel. Diese empfinden die Freiburger Kollegen auch als solche und deshalb stimmen sie lachend zu, erkannten selbst die inneren, nie zu erreichenden Vorzüge Heidelbergs an, die ich in verdeckter Parallele hervorhob. Und die Heidelberger haben sich wirklich „an dem – ironischen – Vergleich erregt“? Sind sie denn so kindisch, in der Tat um 200 Zuhörer weniger zu trauern, müssen sie durchaus alle Gegensätze in sich vereinigen, wollen sie zugleich historisch und modern, ideenschwer und gedankenlos sein? Das gibt’s doch nicht. Böhm stimmte mir sogar mit den Worten bei: zwei so verschiedene Universitäten gibt’s nicht nochmal! Ich aber, nun als wirklicher a/D.[6] völlig objektiv, habe in aller Ruhe den Vergleich gezogen, weil er mich interessierte; daß die Heidelberger sich durch den Vorwurf, nicht durchaus „modern“ zu sein, verletzt fühlen könnten, fiel mir nicht ein. Solche Empfindlichkeit ist doch aber erst recht nicht modern! – Leben Sie wohl! In alter Verehrung Ihr
A. Dove.
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑„großen Denker“ ] Kommentar Dammann: Gemeint ist der abschließende Aufsatz Windelbands: „Die philosophischen Richtungen der Gegenwart“ in : Große Denker, hrsg. von E. von Aster, Bd. 2 (1911). Vgl. Windelband an Dove vom 29.11.1911.4↑Böhm ] Kommentar Dammann: Franz Böhm (1861–1915), badischer Minister des Kultus und Unterrichts [seit 1911, zuvor Ministerialrat].5↑Herrn Billing ] Kommentar Dammann: Hermann Billing (geb. 1869), der Erbauer des neuen Kollegienhauses.6↑a/D. ] außer Dienst (Dove hatte sich 1905 pensionieren lassen; NDB); in dieser Schreibung Anspielung auf die Zeichnung des Aufsatzes von Dove, vgl. a/D. [= Alfred Dove]: MCMVI–MCMXI. Aedem a patre studiis dedicatam erexit Fridericus II. In: Festblatt zur Einweihung des Neuen Kollegien-Hauses der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Sonderausgabe der Akademischen Mitteilungen [Umschlagtitel: Alberto-Ludoviciana. Erinnerungen aus der Studienzeit alter und junger Semester – diese in Nr. 2 u. 3 vom 25. u. 28.10.1911]. Unter der verantwortlichen Leitung des Privatdozenten Dr. Veit Valentin hg. v. Hans Speyer. Freiburg i. B.: Speyer & Kaerner 1911, Nr. 1 v. 21.10.1911, S. 2–3.▲