Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Heinrich Rickert, Heidelberg, 8.7.1911, 2 S., hs. (lat. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_90
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Windelband an Heinrich Rickert, Heidelberg, 8.7.1911, 2 S., hs. (lat. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_90
Heidelberg, 8.7.11.
Lieber Freund und Kollege,
Herzlichen Dank für Ihren Brief[1]!
Und zunächst – um alles abzumachen! – nehme ich natürlich davon Akt, dass Sie jenen Brief[2] über R[uge] „feierlich“ zurücknehmen: was nicht hindert, dass er mir seine Bedeutsamkeit behält als Dokument des Eindrucks, den Sie von dem Manne hatten, als Sie das einzige Mal ihm persönlich, ganz allein, gegenüber standen.
Im Uebrigen scheine ich mich bei den höchst unerfreulichen Zustande[3] beruhigen zu müssen, dass über R[uge] schwere Verdächtigungen umgehen und Niemand mir etwas davon sagen will. Es würde mir auch nicht helfen, wenn ich Jemand dazu nötigte, damit herauszukommen; denn gesetzt, was sehr wahrscheinlich, R[uge] leugnete das, was behauptet wird, oder er deutete es anders, – wie könnte ich entscheiden, wer Recht hat? Auf solche Untersuchung kann ich mich doch garnicht einlassen. Eben deshalb hätte ich eine amtliche Verhandlung darüber, so oder so, gewünscht. Dazu scheint es ja nun aber nicht | zu kommen. Wie ich höre, hat der Vorstand des Docentenvereins – sehr begreiflicher Weise – es abgelehnt, im Verein das Schreiben M[ax] W[eber]ʼs zu verlesen, das in sehr heftiger Sprache abgefasst war, als schwerer Vorwurf gegen die akademischen Behörden, d. h. wesentlich gegen mich aufgefasst werden konnte und über die Vorgänge bei R[uge]ʼs Habilitation offenbar irrtümliche Vorstellungen enthielt. Da nun alle Welt der Sache satt ist, so scheint sie zu versanden. Für mich nur eine neue Form äusserster Peinlichkeit! –
Doch genug davon. Heut möchte ich Sie um etwas anderes befragen. Ein gewisser Dr. Metzger[4] schreibt mir[5], Sie hätten ihm gesagt, dass ich seine Schrift über Schelling „nicht ganz ungünstig beurteile.“ Nun entsinne ich mich garnicht, Ihnen darüber geschrieben zu haben; ich wollte es beim letzten Brief tun, kam aber, wenn mich die Erinnerung nicht täuscht, doch nicht dazu. In Wahrheit ist auch mein Urteil, dass die Schrift in der Hauptsache völlig verfehlt ist. Sie rennt offene Türen ein, wenn sie die Bedeutung Spinozas schon für die ersten Phasen des Schellingʼschen Denkens hervorhebt: aber sie sieht nicht, dass dieser Spinozismus der Fichteʼsche ist! Sie täuscht sich, indem sie von einem Hauptcitat (aus einem Brief an Hegel) den Schluss fortlässt, der die ganze Darlegung des Verfassers über den Haufen wirft. Nun hörte ich gern von Ihnen, was das für ein Mann ist; er will mich über eine Habilitation, zum Glück nicht hier, konsultieren.
Heute hatte ich die grosse Freude, Bauchʼs Berufung nach Jena[6] zu lesen. Das Katheder war psychologisch gefährdet; nun ist es gerettet. Hoffentlich ist nun Bauch der rechte Mann, den Euckenʼschen Nebel[7] der guten Gesinnung zu klären: Lask wäre vielleicht mehr am Platze gewesen! Mit getreuem Gruss Ihr
W Windelband
Kommentar der Herausgeber
4↑Dr. Metzger ] Wilhelm Metzger hatte verfaßt: Die Epochen der Schellingschen Philosophie von 1795 bis 1802. Ein problemgeschichtlicher Versuch. Heidelberg: C. Winter 1911. Seine Heidelberger Habilitationsschrift erschien unter dem Titel: Untersuchungen zur Sitten- und Rechtslehre Kants und Fichtes. Mit einer Einleitung: Prolegomena zu einer Theorie und Geschichte der sozialen Werte. Heidelberg: C. Winter 1912.6↑Bauchʼs Berufung nach Jena ] Bruno Bauch (1877–1942), seit 1903 PD in Halle u. Redakteur der Kant-Studien, 1910 Titularprofessor, 1911 o. Prof. in Jena (BEdPh) als Nachfolger von Otto Liebmann.▲