Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Christian Bartholomae, Heidelberg, 2.3.1911, 4 S., Ts., eigenhändig hs. ergänzt u. unterschrieben, UA Heidelberg, RA 6850 (Diener und Dienste. Lehrstellen. Die Vertretung der (neueren) Kunstgeschichte)
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- Physical LocationUniversitätsarchiv Heidelberg
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Windelband an Christian Bartholomae, Heidelberg, 2.3.1911, 4 S., Ts., eigenhändig hs. ergänzt u. unterschrieben, UA Heidelberg, RA 6850 (Diener und Dienste. Lehrstellen. Die Vertretung der (neueren) Kunstgeschichte)
Heidelberg, den 2. März 1911.
Abschrift[a]
Sehr verehrter Herr Dekan[1]!
Es ist bisher meine Hoffnung gewesen, dass die Unterzeichner des Schreibens[2], das Ew. Spektabilität bald nach der Senatssitzung in Sachen der Wiederbesetzung der kunsthistorischen Professur[3] zugegangen war, nach Verlauf der ersten Aufregung auf eine Besprechung der unerquicklichen Angelegenheit[4] in der Fakultät verzichten würden, und in dieser Hoffnung hatte ich von jeder Aeusserung in den Umlauf jenes Schreibens Abstand genommen. Nun sehe ich mit Bedauern, dass eine solche Besprechung noch bevorsteht, und da ich leider aus Gesundheitsrücksichten[5] noch immer nicht an der Sitzung teilnehmen darf, so bin ich – sehr zu meinem Leidwesen – als eines der im Engeren Senat[6] dabei beteiligten Fakultätsmitglieder genötigt, Ew. Spektabilität hiermit meine Stellung zur Sache mitzuteilen, mit der ergebenen Bitte, sie zur Kenntnis und zu den Akten der Fakultät zu geben.
Die Befugnis des Engeren Senats, Berufungsvorschläge einer Fakultät der Regierung nicht bloss weiter zu geben, sondern dabei zu ihnen seinerseits Stellung zu nehmen, steht nach unserer Verfassung und nach oft wiederholter Uebung ausser aller Frage. Dass von ihr in diesem Falle Gebrauch gemacht wurde, ist von den der philosophischen Fakultät nicht angehörigen Mitgliedern des Engeren Senats, die dazu die Anregung gaben, damit begründet worden, dass es sich um einen derjenigen Lehrstühle handelte, an deren Besetzung sämtliche Fakultäten interessiert sind, und zweitens damit, dass gegen den sonst einmütigen Fakultätsvorschlag das Separatvotum eines einzelnen Fakultätsmitglieds vorlag, – eine Differenz, bei der die Regierung, | wie in früheren ähnlichen Fällen bei einer andern Fakultät, eine Stellungnahme des Engeren Senats erwarten und eventuell verlangen konnte.
Die philosophische Fakultät hätte daher in diesem Falle keinen Grund gehabt, sich beschwert zu fühlen, selbst wenn das Urteil des Engeren Senats den Vorschlägen der Fakultät entgegen ausgefallen wäre. Das war aber keineswegs der Fall, und der Engere Senat konnte unmöglich annehmen, dass er bei der Fakultät Missstimmung erwecken würde, wenn er ihre Vorschläge warm befürwortete und sich gegen ein Separatvotum erklärte, das gegen einen Teil dieser Vorschläge gerichtet war.
Um so erstaunter war man im Engeren Senat, als man von dem Herrn Dekan erfuhr, dass solche Missstimmung bei einem Teil der Fakultät in der Tat doch zu befürchten sei, weil in dem Separatvotum ein Gegengewicht gesehen werde, durch das erst die Vorschläge in das gewollte Verhältnis gebracht würden. Das war von den Uneingeweihten wirklich nicht vorauszusehen: denn einerseits bezog sich das Votum der Fakultät in keiner Weise auf das Separatvotum, andererseits war angesichts der Form des Separatvotums nicht anzunehmen, es werde ihm irgend eine Wirkung bei irgend einer Instanz zugetraut werden. Hatte doch die Fakultät selbst ihre Kritik an dem Separatvotum dadurch geübt, dass sie, ohne sich darum zu kümmern, den darin Herabgesetzten einstimmig in ihre Vorschlagliste aufnahm. Jenes Staunen aber wurde dadurch nicht vermindert, dass man aus den Mitteilungen des Dekans erfuhr, der Kandidat, der von allen Seiten in der Fakultät gleichmässig ohne Ausnahme und ohne Rückhalt gewünscht werde, sei derjenige, von dem in ihrem Votum am wenigsten und am wenigsten warm die Rede war. |
In dieser Verwunderung wurde zunächst der Antrag, der Engere Senat solle sich über das Separatvotum äussern, zurückgezogen, weil man ja der philosophischen Fakultät nicht zu nahe treten wolle, – es war sodann davon die Rede, der Fakultät ihren Bericht zurückzugeben, was aber abgelehnt wurde, um nicht neue Verzögerung der Sache herbeizuführen, und es wurde schliesslich der erste Antrag wieder aufgenommen mit dem protokollarischen Zusatz, der Engere Senat ersuche den Dekan der philosophischen Fakultät, die Vorschläge seiner Fakultät persönlich bei dem Herrn Ministerialreferenten[7] zu erklären.
Dieser Verlauf der Verhandlung war ja freilich für die philosophische Fakultät nicht gerade angenehm, und die Position der ihr zugehörigen Senatsmitglieder war recht peinlich: aber dieser Verlauf entsprach so sehr der Logik der Sachlage, dass dagegen nichts zu machen war. Jedenfalls besteht für die Fakultät nicht der geringste Grund, sich über das Verfahren des Engeren Senats zu beschweren.
Im Ergebnis hatte sich der Engere Senat darauf beschränkt, es formell für bedenklich zu erklären, dass der abgehende Professor das zukünftige Geschick der Fakultät gegen ihren Willen zu bestimmen versuche. Die Regierung hat sich in ihrer Antwort diesem Bedenken angeschlossen, aber es den akademischen Behörden überlassen, Vorkehrungen gegen solche Möglichkeiten zu schaffen. Im Engeren Senat jedoch ist es Niemandem in den Sinn gekommen, in dieser Richtung etwa Vorschläge zu machen. Das formelle Recht eines Professors, solange er der Fakultät angehört, an allen Beratungen und Abstimmungen, also auch an den Verhandlungen über die Wahl eines Nachfolgers, eventuell auch mit einem Separatvotum zu beteiligen, dies formelle Recht ist so fraglos, dass Niemand daran denken wird, es zu beschneiden. Seine Ausübung dagegen wird | einerseits durch die jeweilige Sachlage bestimmt werden, andererseits Sache des Takts bei dem Einzelnen und Sache der geschäftlichen Uebung bei den Fakultäten sein. In letzterer Hinsicht scheint es mir, dass unsere Fakultät nach ihren Erfahrungen allen Anlass hätte, von der Gewohnheit, den Abgehenden in die Kommission zu wählen, in Zukunft Abstand zu nehmen. Andere Fakultäten haben viel bessere Erfahrungen mit der Uebung, dass der Abgehende prinzipiell nicht in die Kommission gewählt, wohl aber gebeten wird, ihr seine Fach- und Personalkenntnis zur Verfügung zu stellen. Es wäre sehr wünschenswert, dass unsere Fakultät den gegenwärtigen Moment benutzte, um eine dementsprechende Norm für die Zukunft zu beschliessen[8]: es wäre damit jedem Missverständnis vorgebeugt, das entstehen könnte, wenn ein solches Verfahren zum ersten Mal bei einem konkreten Fall eingeführt werden sollte.
In vorzüglicher Hochachtung Ew. Spektabilität ergebenster
gez[eichnet] Windelband[b]
An den Herrn Dekan der philosophischen Fakultät HIER[c].
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
3↑Wiederbesetzung der kunsthistorischen Professur ] vgl. Windelband an Alfred Dove vom 26.11. u. 28.11.1910 sowie an Robert Vischer vom 26.11. u. 5.12.19104↑unerquicklichen Angelegenheit ] vgl. in derselben Akte: Henry Thode, seit 29.5.1894 besoldeter ao. Prof., mit Wirkung zum 16.4.1896 o. Prof. für neuere Kunstgeschichte an der Universität Heidelberg, hatte sich am 21.11.1910 mit einem Sondervotum gegen seinen von der Berufungskommission avisierten Nachfolger Carl Neumann (dieser wurde zum 1.4.1911 berufen) u. a. mit den Worten gewendet: er könne sich dem Vorschlag nicht anschließen, da ich ihn, hierin wohl in Uebereinstimmung mit den meisten Fachgenossen, nicht als Kunsthistoriker betrachten kann […]. Einen Lehrer der Kunstgeschichte, der für die Bedeutung der italienischen Renaissance kein Verständnis hat, vermag ich nicht zu empfehlen […]. Darauf folgte ein Beschluß des Engeren Senats vom 8.12.1910: Der Senat schließt sich dem Votum der Fakultät [dieses ist nicht in der Akte enthalten] aufs wärmste an und bemerkt zu dem Separatvotum, daß es ihm aus prinzipiellen Gründen bedenklich scheint, wenn der abgehende Professor im Gegensatz gegen seine Fakultät deren Zukunft zu bestimmen sucht.5↑Gesundheitsrücksichten ] vgl. Windelband an Max Weber vom 12.12.1910 u. an Heinrich Rickert vom 28.2.19118↑für die Zukunft zu beschliessen ] in der Akte folgen eine Stellungnahme der Fakultät, ein Rechtsgutachten des Dekans der juristischen Fakultät (eingefordert durch den Engeren Senat), der im Wesentlichen wie Windelband argumentiert. Eine Entscheidung blieb aus, die Fakultät ließ die Frage für diesmal auf sich beruhen (Notiz vom 10.5.1911).▲