Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Heinrich Rickert, Heidelberg, 28.2.1911, 4 S., hs. (lat. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_85
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Windelband an Heinrich Rickert, Heidelberg, 28.2.1911, 4 S., hs. (lat. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_85
Heidelberg, 28.2.11.
Lieber Freund und Kollege,
Besten Dank für Ihre freundliche Erkundung und Ihre guten Wünsche! Es ist zum Glück mit mir nicht so schlimm[1] gewesen, wie es die Zeitungen[2] machten; woran ich jetzt leide, ist eigentlich in der Hauptsache die grosse Schonung, welche die Aerzte kategorisch von mir verlangen: die Vorlesungen für dies Semesterende aufgeben, die Prüfungen in Karlsruhe[3] absagen (wo der arme Lask heldenmütig für 66 Naturforscher eingesprungen ist!), noch immer nicht ausgehen, „etwa ein Drittel meiner sonstigen Tagesarbeit fürʼs Erste noch als das Maximum ansehen,“[4] – das waren harte Forderungen, denen ich mich erst nach schwerem Kampf unterworfen habe. So werde ich denn geschont und gepflegt, und fühle das als | so unnötig, dass ich hoffe, es wird schliesslich seinen Zweck erfüllen.
Hoffentlich ist auch bei Ihnen die kleine Störung[5] wieder vollständig beseitigt; ich wünsche es so herzlich, wie es mir betrüblich war, davon zu hören.
Da ich wieder schreiben darf, so möchte ich ein Wort mit Ihnen über das Unternehmen des Buchhändlers Reichl[6] wechseln, den ich hier nur durch meinen Sohn[7] empfangen konnte, der dann, nach dem was ich ihm sagen liess, zu Ihnen gefahren ist und der mir nun schrieb, Sie seien der Sache nicht abgeneigt. Bei mir aber sind die Bedenken mit Rücksicht auf den „Logos“ noch keineswegs gemindert. Das Programm scheint mir wesentlich dasselbe, höchstens um eine Nüance populärer zu sein, und ich fürchte, es geht | wieder wie meist in Deutschland, dass, sobald ein literarisches Unternehmen neuer Art einigermassen prosperiert, sofort ein zweites auf demselben Felde erscheint, sodass schliesslich keines sich ganz entfalten kann und beide so kümmerlich neben einander fortbestehen. Wir haben bei Begründung des Logos den „Kantstudien“ gesagt[8], es handle sich für uns nicht um eine neue philosophische Fachzeitschrift, sondern um ein Unternehmen für weitere Kreise: ich kann jetzt unmöglich dem Reichlʼschen Plane beitreten, wenn er mir schreibt, das solle keine Fachzeitschrift wie der Logos werden, sondern ein Unternehmen auf breitester Basis. Ihm werde ich also antworten, die Loyalität gegen Siebeck, von dem ich weiss, dass er bei Uebernahme des Logos meine Teilnahme daran als | etwas für ihn Wesentliches betrachtet hat, – die Loyalität gegen Siebeck verlange von mir, dass ich dem neuen Unternehmen nur dann beitreten kann, wenn er darin keine dem Logos schädigende Konkurrenz sieht: ich müsse also autorisiert werden, ihn von der Sache in Kenntnis zu setzen. Das halte ich meinerseits für unerlässlich; ich würde also nun gern auch wissen, wie Sie, der Sie den Herrn Reichl selbst gesprochen haben und der Sie andrerseits mit dem Logos doch noch enger verbunden sind als ich, über die Sache denken. Eucken als Redacteur täte ich gern den Gefallen, beizutreten, er hatte selbst darüber an mich geschrieben[9]; aber es darf kein selbstmörderisches Verfahren gegen den „Logos“ sein.
Mit besten Wünschen für Ihre Gesundheit treulich Ihr
W Windelband
Kommentar der Herausgeber
1↑nicht so schlimm ] vgl. Windelband an Hans Vaihinger vom 16.3.1911. Max Weber berichtete am 14.2.1911 an Rickert, daß Windelband einen Herzschwäche- und Asthmaanfall erlitten habe und sich nicht aufregen dürfe, vgl. Max-Weber-Gesamtausgabe Abt. II, Bd. 7,1, S. 96. Vgl. Windelband an Weber vom 12.12.1910 (Kommentar).3↑Prüfungen in Karlsruhe ] die zentralen Lehramtsprüfungen, vgl. Windelband an Rickert vom 23.6.1908.4↑„etwa … ansehen,“ ] Quelle des Zitats nicht ermittelt, vermutlich nach schriftlicher Anweisung des Arztes (Ludolf Krehl?).6↑Unternehmen des Buchhändlers Reichl ] Otto Reichl (1877–1954), der Inhaber der Berliner Verlagsbuchhandlung Reichl & Co. (Reinhard Würffel: Lexikon deutscher Verlage. Berlin: Grotesk 2000, S. 694–696), der auch Georg Simmel für die Gründung einer populären philosophischen Zeitschrift angesprochen hatte, vgl. Simmel an Rickert vom 29.12.1911 (Georg Simmel Gesamtausgabe Bd. 22, S. 1020–1022, die dortige Angabe von Wilhelm Crayen als dem betreffenden Verleger ist unzutreffend), sowie Rickert an Paul Siebeck vom 8.2.1911: Persönlich und streng vertraulich! Hochverehrter Herr Doktor! Leider muß ich in einer peinlichen Angelegenheit an Sie schreiben. Dr. Mehlis brachte mir heute einen Brief Ihres Herrn Sohnes, der es ablehnt, die mit Herrn Dr. Ruge für das 3. Heft des Logos vereinbarte „Bemerkung“ [über das Ausscheiden aus der Redaktion] zu drucken. Ich bitte Sie dringend, hierauf nicht zu bestehen. […] Der Grund, weshalb ich die Aufnahme der „Bemerkung“ in das 3. Heft für nothwendig halte, ist der, daß ich Schlimmes für den Logos befürchte, wenn Dr. R.’s Name nicht schon jetzt von ihm verschwindet. Ich weiß nicht, ob etwas von dem, womit Dr. R. in der letzten Zeit die Öffentlichkeit beschäftigt hat, Ihnen bekannt geworden ist. Es sind von Dr. R. in Heidelberger Zeitungen Erklärungen von ganz unglaublicher Art erschienen, die ich nicht gerne mit den für sie zutreffenden Worten charakterisiren möchte, und die ein Universitätslehrer sonst wohl nicht als für sich passend angesehen haben würde. Max Weber hat darauf in der, meiner Ansicht nach sehr berechtigten, Vertretung von Standesinteressen an Dr. Ruge einen Brief geschrieben, in dem der Satz steht: „Ich bedaure, daß ein Mann, der sich so benimmt, dem Lehrkörper angehört“, womit Weber wohl nur das gesagt hat, was die meisten Professoren denken. Daraufhin hat Dr. Ruge, der, so wie ich ihn kenne, aus Beleidigungen und Schmähungen (auch solcher Männer, denen er nur Dank u. Verehrung schuldet) garnicht herauskommt, M. Weber wegen Beleidigung verklagt! Das sind in Kürze die Thatsachen. Es giebt nur wenige Männer, die für mich so hoch wie Weber stehen: eine überragende Intelligenz, eine ungewöhnliche Vornehmheit der Gesinnung u. eine große Herzensgüte sind in seinem Wesen vereint. Er kann schroff sein, das weiß ich. Aber als vor vielen Jahren, wie Sie sich erinnern werden, Herr Prof. Steinmann in Freiburg herumerzählte, die ersten Bogen meiner „Grenzen“ seien auf meine Kosten gedruckt u. würden, wenn sie ihren Zweck, die Fakultät zu täuschen, erreicht hätten, wieder eingestampft werden, – da habe ich den Segen der Weberschen „Schroffheit“ erfahren. Ohne sein rücksichtsloses Vorgehen wäre sicher irgend etwas von diesen Verleumdungen an mir „hängen geblieben“, und seit dieser Zeit lebt daher in mir gegen Weber in mir ein unauslöschliches Gefühl des Dankes. – Nachdem Dr. Ruge jetzt M. Weber verklagt hat, wünsche ich keinerlei Gemeinschaft mehr mit Dr. Ruge. Ich werde ihm nur noch einen Brief schreiben, indem ich ihm erkläre, daß ich an seiner „Encyclopädie“ nicht mitarbeite, u. ihn ersuche, meinen Namen in keine Verbindung mit diesem Unternehmen zu bringen. Ich werde dies natürlich ihm gegenüber nicht begründen, weil ich mich sonst der Gefahr aussetze, ebenfalls verklagt zu werden. Doch bin ich Windelband u. ebenso Ihnen eine Begründung schuldig. An Windelband konnte ich bisher noch nicht schreiben, weil er krank ist und vor jeder Aufregung bewahrt werden soll. Sonst wäre diese Angelegenheit bereits erledigt. An Sie muß ich heute schon wegen des Logos schreiben, denn ich habe den dringenden Wunsch, auch auf dem Logos meinen Namen nicht mehr mit dem des Herrn Dr. Ruge zusammen genannt zu sehen. Falls daher die Bemerkung über Dr. Ruges Austritt nicht in das 3. Heft des Logos kommen kann, so müßte ich, so schwer mir das sein würde, an Sie die Bitte richten, meinen Namen von dem Titelblatt des Logos zu streichen. […] Ich möchte heute noch eine andere Angelegenheit wenigstens streifen, die ebenfalls mit dem Logos in Beziehung steht, aber nicht so unerfreulich ist. In der vorigen Woche hatte ich den Besuch eines Berliner Verlegers, der mit der Empfehlung eines der bekanntesten und von mir sehr verehrten deutschen Philosophen zu mir kam. Ich darf heute noch keine Namen und Details nennen, möchte aber vorbereitend Ihnen doch schon Folgendes mittheilen. Der Herr plant eine billige, für weiteste Kreise berechnete, ganz populäre philosophische Zeitschrift idealistischer Richtung, die wahrscheinlich zweimal im Monat erscheinen soll. Er verspricht sich einen großen Erfolg davon, rechnet mit einer Auflage von 50,000 Exemplaren, und wünscht 3 Namen für eine Art von „Kuratorium“, darunter auch den meinigen. Die Männer, die er dabei in Aussicht genommen hat, u. die ihm z[um] Th[eil] schon zugesagt haben, sind von der Art, daß mit ihnen zusammenzuwirken, für mich nur eine Ehre sein könnte. – Ich machte natürlich sofort das Bedenken geltend, daß ich mich auf keinen Fall an einem Unternehmen betheiligen könne, welches dem „Logos“ in irgend einer Weise Konkurrenz mache, worauf der Herr versicherte, daß die neue Zeitschrift den Logos nicht nur nicht schädigen, sondern im Gegentheil nach allen Kräften fördern werde. Er sei bereit, in jede Nummer eine Gratisreklame für den Logos aufzunehmen, falls ich mitmache, und auch im redaktionellen Theil auf jedes Logosheft mit Nachdruck hinzuweisen, da der Logos ja zweifellos die weitaus beste philosophische Zeitschrift sei, die es gäbe. – Hierauf habe ich dann bemerkt, daß mein persönliches Verhältniß zu Ihnen, hochverehrter Herr Doktor, von der Art sei, daß ich keine Zusage machen könnte, ohne mich vorher darüber mit Ihnen verständigt zu haben. Ich bekam die Antwort, daß dem nichts im Wege stünde, u. daß ich bald schriftlich Pläne über die Ausgestaltung des Unternehmens erhalten würde, die ich Ihnen dann mittheilen dürfte. Der Herr sprach noch die Überzeugung aus, daß Sie sicher nichts dagegen haben, sondern nur es befürworten würden, daß ich mich an diesem logosfreundlichen Unternehmen betheilige. Sie erhalten also bald nähere Nachricht. Sollten Sie schon jetzt ein Bedenken haben, so theilen Sie es mir vielleicht bald mit. […] Für heute bitte ich nur noch, mir diesen Brief nicht übel zu nehmen. Ich bin in einer sehr unangenehmen Lage, auch, ja vor Allem Windelband gegenüber, dessen jetzige Stellung zu Ruge ich nicht kenne. Ich muß fürchten, Windelband zu kränken, und das wird mir sehr schwer. Aber ich kann nicht anders handeln, wenn ich das thun will, was ich für meine Pflicht halte. Daß dieser Brief ganz persönlich an Sie gerichtet und streng vertraulich zu behandeln ist, brauche ich nicht noch einmal ausdrücklich zu sagen. Siebeck antwortet am 10.2.1911: Hochverehrter Herr Geheimrat, es tut mir außerordentlich leid, daß der Logos in Verbindung mit Dr. Ruge abermals einen Briefwechsel zwischen uns auslöst. […] Jetzt handelt es sich nur noch darum, daß der Austritt Dr. Ruges im Verlagsvertrag festgelegt wird, alsdann geht alles Weitere den Weg, der Ihnen ermöglicht, in der Logos-Redaktion zu bleiben. Mit dem Logos steht es zur Zeit so, daß wir bei nahezu 700 Abonnenten ein Defizit von M. 2500.- haben. Zu dessen Beseitigung sind noch etwa 400 Abonnenten notwendig. Nach einer Enquête, die wir über den Abonnentenkreis anzustellen versuchten, ergiebt sich, daß das Gros der Abonnenten aus Oberlehrern sich zusammensetzt. Wenn nun eine billige philosophische Zeitschrift, die etwa auf dem Boden des Logos steht, zu erscheinen beginnt, so werden in aller ersten Linie die Oberlehrer vom Logos wieder abspringen, noch ehe es überhaupt gelungen ist und gelungen sein kann, den Logos richtig einzuführen. Die neue Zeitschrift bedeutet daher, nach meinem Dafürhalten, für den Logos nicht blos eine Konkurrenz, sondern höchst wahrscheinlich das Ende seiner Existenzmöglichkeit. Daß dies nach den recht ansehnlichen Vertriebs-Anstrengungen, die wir gemacht haben, für mich ein ziemlich harter Schlag wäre, brauche ich wohl nicht zu sagen (zitiert nach: Briefe und Dokumente zur Geschichte der Zeitschrift Logos. UB Leipzig. Nachlass Klaus Christian Köhnke, NL 330/3/1/5, Ausdruck vom 1.3.2012, S. 56–59).8↑den „Kantstudien“ gesagt ] vgl. Hans Vaihingers Zustimmung, zitiert im Kommentar zu Windelband an Rickert vom 1.6.1910.▲
