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- TitleWindelband an Max Weber, Heidelberg, 12.12.1910, 2 S., Ts. (Abschrift), Generallandesarchiv Karlsruhe, 269 Nr. 108: Beilagen in der Strafsache gegen Koch c/a Weber wegen Beleidigung
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Windelband an Max Weber, Heidelberg, 12.12.1910, 2 S., Ts. (Abschrift), Generallandesarchiv Karlsruhe, 269 Nr. 108: Beilagen in der Strafsache gegen Koch c/a Weber wegen Beleidigung
Heidelberg 12.12.10.
Abschrift[a].
Hochgeehrter Herr Kollege.
…[b]
Was die andere Sache[1] angeht, so brauche ich Ihnen nicht zu sagen, wie schwer sie mich trifft, wie tief sie mich betrübt. Es ist wohl das peinlichste was ich in meinem ganzen akademischen Leben erfahren habe. Und dabei stehe ich vor einem vollkommenen Rätsel. R[uge] hatte mir bei der Habilitation auf das bestimmteste versprochen[2], dass er sich aller Unbesonnheiten im öffentlichen Auftreten enthalten werde[c]; und nun hat er in einem Falle, der ihn ganz und gar nicht angeht und wo er auch nicht im geringsten irgend einen persönlichen Anlass oder ein persönliches Motiv hatte, die schlimmste aller seiner Unbesonnenheiten begangen, – wie ich mich, als ich ihn sofort, nachdem ich’s erfahren, gründlich meine Meinung sagte, sogleich überzeugen konnte, ohne eine Ahnung davon, was er angerichtet hatte. Er war in der Tat davon überzeugt, dass er Niemand persönlich beleidigt habe, weil er nicht die Absicht gehabt hatte. Es ist schier unglaublich; und er war tief geknickt, als ich ihm die Augen öffnete. Für mich ist es deshalb sehr schwer, die Sache von der Kränkung zu trennen, die er mir persönlich zugefügt hat: aber ich bin nicht in der Lage, ihn vor dem Unheil zu bewahren, das er sich zugezogen hat; und ich bedaure selbstverständlich auf das tiefste, dass ein Mann, der seine Position doch z. T. mir verdankt[d], sich solche | Ungezogenheiten hat zu Schulden kommen lassen. Seine Masslosigkeit, über deren Unrecht und deren Bekämpfung er so richtig sprechen konnte, hat ihm einen Streich gespielt, der schlimmer ist als alles, was ihm seine Gegner antun könnten. Ich bitte Sie, da Sie mich auf die traurige Sache angeredet haben, dies als meine ganz persönliche und vertrauliche[e] Auesserung darüber aufzunehmen.
Mit bester Empfehlung an Ihre verehrte Frau Gemahlin[3] Ihr hochachtungsvoll ergebener
(gez[eichnet]) Windelband.
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑andere Sache ] die Auseinandersetzung zwischen Arnold Ruge und Marianne Weber, die sich mit Max Webers Eingreifen 1910/1911 zu einem universitätsweiten Skandal mit Nachspiel bei Gericht auswuchs, vgl. Max Weber Gesamtausgabe Abt. II, Bd. 6, S. 715–717, sowie dass. Bd. 7, S. 46–51, 100–105, 890–891. Ruge hatte sich in der Heidelberger Presse abfällig über die Aktivitäten der Frauenbewegung, zu deren Repräsentantinnen in erster Linie Marianne Weber zählte, geäußert. Eine Beilegung des Konfliktes lehnte Ruge ab, am 30.1.1911 reichte Ruge sogar Klage gegen Max Weber ein; zu einer Verhandlung kam es jedoch nicht, da Ruge seine Klage auf inständige Bitten Ludolf Krehls hin, des Arztes von Windelband, der um dessen Leben fürchtete, zurückzog. Vgl. Ludolf Krehl an Max Weber vom 15.2.1911 (Generallandesarchiv Karlsruhe, 269 Nr. 108: Beilagen in der Strafsache gegen Koch c/a Weber wegen Beleidigung) sowie vom selben Tag an Ruge (Generallandesarchiv Karlsruhe, N Ruge 18), worin er ohne Nennung der Art der Erkrankung mitteilt, das Windelband schwer krank sei: Im Interesse seiner Gesundheit halte ich es für nothwendig alle psychischen Erregungen von ihm fern zu halten und ich möchte Sie deshalb herzlich und dringend bitten im Interesse des Lebens und der Gesundheit des Herrn Geheimrat Windelband sich mit Herrn Professor Weber ohne Gerichtsverhandlung zu versöhnen. Meine Bitte ist eine rein ärztliche.2↑versprochen ] vgl. Windelbands Habilitationsgutachten über Arnold Ruge vom 23.5.1910 (UA Heidelberg, H-IV-102/139 Philosophische Fakultät 1909/10 Dekan Boll): So hat er schon als Student zu den Reformbewegungen Stellung zu nehmen gesucht und das Büchlein veröffentlicht, dessen z. T. arge Geschmacklosigkeiten und Uebereilungen er jetzt selber bedauert; er ist dabei zugleich in höchst unerfreuliche Konflikte, sogar mit der akademischen Disciplin gekommen. Auch später hat er gelegentlich bei öffentlichem Auftreten, selbst wo er sachlich im Recht sein mochte, sich durch sein leidenschaftliches Temperament formell ins Unrecht gesetzt. Immer aber ist selbst von seinen Gegnern die Ehrlichkeit und die Aufrichtigkeit seiner Gesinnung ebenso anerkannt worden, wie die intellektuelle Energie seines Auftretens. Bei der Begutachtung des Habilitationsgesuches bin ich in diesem Falle genötigt, diese Dinge zu berühren, einerseits weil sich nach solchen Vorgängen, wie mir nicht unbekannt ist, in akademischen Kreisen Urteile über Dr. Ruge festgesetzt haben, die ich in ihrer Schroffheit nicht für berechtigt halte, andrerseits weil ich hoffe, dass er mit der Zeit und der Erfahrung ruhiger geworden, der Fakultät keine Schwierigkeiten durch geräuschvolles und taktloses Auftreten bereiten wird. Vgl. den Kommentar zum Abdruck des Gutachtens im Abschnitt Dokumente der vorliegenden Edition.▲