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- TitleWindelband an Robert Vischer, Heidelberg, 5.12.1910, 4 S., hs. (lat. Schrift), UB Tübingen; Autographensammlung, Md788-236
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- Physical LocationUniversitätsbibliothek Tübingen
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Windelband an Robert Vischer, Heidelberg, 5.12.1910, 4 S., hs. (lat. Schrift), UB Tübingen; Autographensammlung, Md788-236
Heidelberg, 5.12.10
Hochgeehrter Herr Kollege,
Mit herzlichem Danke empfange ich soeben die ausführliche Auskunft[1], welche Sie liebenswürdigerweise auf meine Anfrage[2] gegeben haben; ich habe Ihre Darlegungen mit dem grössten Interesse aufgenommen. Auch ich nehme entschiedenen Anstoss[3] an der Einseitigkeit, mit der N[eumann] die Antike und die Renaissance verkennt und ablehnt, und wenn diese mystische Neigungen zu ihrem Hintergrunde hat, so finden solche an mir wahrlich keinen Freund und Förderer. Aber ich habe andrerseits mich nicht dagegen verschliessen können, dass er in seiner Feinfühligkeit, in dem Reichtum seiner kulturgeschichtlichen Auffassungen, in der eindringenden Kraft seiner Analyse bei aller Weite des Blicks auf das Ganze eine Anzahl grosser Vorzüge besitzt, die ihn doch in die Linie der zuerst in Betracht zu Ziehenden einzustellen | erlauben. Und ich hielt allerdings die scharfe Parteistellung[4] für ein Entwicklungsmoment, auf dem er nicht beharren müsse –
Gleichwol würden Ihre so eingehenden Darlegungen mich N[eumann] gegenüber sehr viel bedenklicher gemacht haben, wenn ich sie für meine und meiner Kollegen Beurteilung der Frage in der entscheidenden Abstimmung noch hätte verwerten können. Wir mussten, da Herr Thode seine Niederlegung der Professur amtlich verhältnismässig spät angezeigt hatte, uns möglichst beeilen, wenn wir im December noch die Stelle neu besetzt sehen wollten, und so haben wir unsre Vorschläge schon abgeschlossen. Je dankbarer ich Ihnen für die grosse Mühe bin, die Sie Sich mit der Beantwortung meiner Anfrage gemacht haben, um so aufrichtiger | bedaure ich, dass sie für den hiesigen Zweck zu spät gekommen ist, um bei unsern Erwägungen noch das Gewicht auszuüben, das sie dafür besessen haben würde. Es ist ein kleiner Trost, dass Sie für die mühevolle Arbeit, mit der Sie mir persönlich auch so einen grossen Dienst geleistet haben, vielleicht noch andre Verwendung haben werden, und ich werde Ihnen, sobald unsre Berufungsangelegenheit auch in den weiteren Instanzen entschieden ist, Ihren Bericht gern zurückschicken[5]. Bis dahin bitte ich um die Erlaubnis, ihn für den Fall, dass erneute Verhandlungen nötig werden sollten, zurückzubehalten; ich betrachte ihn bis dahin lediglich als für mich bestimmt, da seine weitere Bekanntgabe, nachdem die Fakultät ihre Vorschläge abgeschickt hat, mir | zunächst gegenstandslos erscheinen würde.
Nochmals also vielen herzlichen Dank! ich bleibe in treuer Gesinnung Ihr aufrichtig ergebner
W Windelband
Kommentar der Herausgeber
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