Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Paul Siebeck, Bordighera, 23.3.1910, Text nach einer Transkription von Klaus Christian Köhnke, gedruckter Briefkopf Bordighera (Italie) […] A. Angst et fils […], Umfang und weitere Besonderheiten nicht bekannt, Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, NL 488
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- Physical LocationStaatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße
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Windelband an Paul Siebeck, Bordighera, 23.3.1910, Text nach einer Transkription von Klaus Christian Köhnke[1], gedruckter Briefkopf Bordighera (Italie) […] A. Angst et fils[2] […], Umfang und weitere Besonderheiten nicht bekannt, Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, NL 488
den 23. März 1910
Hochgeehrter Herr Doctor,
Mit herzlichem Dank habe ich Ihre mir hierher nachgereichten Briefe erhalten, aber auch mit herzlichem Bedauern darüber, dass ich Sie damals am 8. d[es] M[onats] nicht mehr in Heidelberg sprechen[3] konnte und dass nun die weitere Entfernung die Mitteilungen zwischen uns so unliebsam verzögert. Mein Dank gilt vor allem der vollkommenen Klarheit, die mir Ihre Mitteilungen über die Rechtslage[4] verschaffen: ich sehe, dass Ruge völlig Recht in der Sache hatte, und ich kann mich dem Eindruck nicht entziehen, dass das Verhalten von Mehlis recht wenig einwandfrei gewesen ist. Da ich diese Klarheit als Voraussetzung für meine moralische Stellungnahme brauchte, so bin ich Ihnen für Ihre vertraulichen Mitteilungen lebhaft verbunden; ich werde natürlich von Ihrem Brief an Mehlis nur zu meiner Information Gebrauch machen.
Nun wünschte ich sehr, etwas zur Förderung der Sache beizutragen; aber ich kann es von hier aus kaum. Das letzte, was ich von der traurigen Sache erlebte, war kurz vor meiner Abreise hierher am 15. ein Gespräch mit Ruge, worin er mir den Verlauf seiner persönlichen Verhandlung mit Rickert[5] berichtete und die Absicht aussprach, auf die Herausgeberschaft zu verzichten, nur noch formell als Mitredacteur auf der Rückseite des Titelblatts zu figurieren und seine sachliche Ingerenz[6] ganz auf Rickert selbst zu übertragen. Er wollte sogar eine noch nachträglich von ihm verlangte Erklärung abgeben, dass er Mehlis nicht habe beleidigen wollen und ich fand, dass Ruge damit ihm im Interesse des Friedens ganz ausserordentlich weit entgegenkam, hütete mich aber, ihm davon abzureden, schied vielmehr in der Hoffnung, dass vorläufig alles in Ordnung sei. Ruge ging damals nach Karlsruhe, um eine Kur[7] zu Ende zu bringen, und wollte von dort aus die Briefe zur Erledigung der Angelegenheit[8] schreiben. Wenn Sie nun aber am 19. noch keine Nachricht von ihm hatten, so beunruhigt mich das sehr. Es wäre mir nicht unverständlich, wenn er hinterher stutzig geworden wäre: denn die Abmachungen waren entschieden zu seinen Nachteilen. Das übersehe ich erst jetzt, und sogar in einem Masse, das für mich – unter uns gesagt – nicht ohne Peinlichkeit ist. Gleichwohl würde ich für den Moment im Interesse des Logos erfreut sein, wenn ich erführe, dass Ruge seine Absicht ausgeführt und damit den momentanen Konflikt beigelegt hat. Bisher habe ich weder von ihm noch von Rickert etwas gehört.
Das allerdings halte ich mich Ihnen gegenüber verpflichtet, vertraulich[a] zunächst als meine persönliche[b] Ansicht[9] auszusprechen, dass die zwischen Rickert und Ruge getroffene Vereinbarung nicht dauernd bestehen bleiben kann. Die logische Konsequenz wäre gewesen, dass Rickert selbst die Herausgabe übernommen hätte. Mehlis und Ruge können m. E. nach dem was vorgefallen ist, mit einander nur noch unter der Bedingung Redacteure sein, dass sie eine Autorität über sich haben. Dauernd als Redacteur auf dem Titel zu stehen, ohne das geringste zu sagen zu haben, würde ich Ruge nie zumuten. Und andererseits würde ich es für den Logos als einen grossen Verlust ansehen, wenn Ruge ganz ausschiede. Er ist eine starke Arbeitskraft, er hat klares und sicheres Urteil, und er ist ein Organisationstalent ersten Ranges. Nur die Kehrseite des letzteren Vorzugs ist das herrische und autokratische Wesen, über das ausser mir wohl fast alle geklagt haben, die mit ihm zu tun hatten.
Da ich den gegenwärtigen Stand der Dinge nicht kenne, so kann ich nicht daran denken, Vorschläge zu machen. Wenn aber nun die Verbindung zwischen uns (allerdings je 36 Stunden) hergestellt ist, so bin ich gern bereit, soweit es von hier möglich ist, an der Sache mitzuarbeiten, sofern es noch nötig sein sollte. Freilich ist es hart, in dieser wunderbaren Ruhe und Schönheit sich mit solchen Streitereien zu beschäftigen, – aber es muss ja sein.
Für heute herzlichsten Gruss von Ihrem hochachtungsvoll ergebnen
W Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Transkription von Klaus Christian Köhnke ] Kollation derzeit nicht möglich. Der Transkription liegt die Datei Manuskript: Windelband Briefe | herauszugeben von K. C. Köhnke | Ausdruck vom 1.3.2012 zugrunde, die den Herausgebern zur Verfügung steht. Ein Ausdruck dieser Datei befindet sich in öffentlichem Besitz (Universität Leipzig, Nachlass Klaus Christian Köhnke NL 330/3/1/2). Die Signatur des Originals ist mit Stichtag 14.5.2018 noch nicht bekannt. Laut telefonischer Auskunft von Roland Klein, Referat für Nachlässe und Autographen der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz vom 21.11. und 2.12.2016 ist die Erfassung des Nachlasses 488 (Verlagsarchiv Mohr-Siebeck) noch nicht abgeschlossen.2↑A. Angst et fils ] Hotel, vgl. Italien von den Alpen bis Neapel. Kurzes Reisehandbuch von Karl Baedeker. 6. Aufl. Leipzig: Baedeker 1908, S. 126.5↑persönlichen Verhandlung mit Rickert ] vgl. darüber Rickert an Paul Siebeck vom 22.3.1910: Vertraulich! Hochverehrter Herr Doktor! Eigentlich sollte ich Ihnen nun einen ausführlichen Bericht über die ganze, hoffentlich bald endgültig erledigte Streitangelegenheit schreiben. Aber ich fürchte, das würde sehr lang werden müssen und Ihre Geduld auf eine harte Probe stellen, denn ich müßte bis in die Zeiten zurückgreifen, die vor Ihrer Betheiligung an dem Logos liegen, um Ihnen den ganzen Hergang verständlich zu machen. Einen Einblick in die gegenwärtige Situation werden Ihnen die Briefe von Herrn Dr. Ruge geben. Ich lege daher auch den persönlich an mich gerichteten Brief bei, wobei ich Sie natürlich bitte, hiervon Herrn Dr. Ruge keine Kenntniß zu geben. (Eine baldige Rücksendung der beiden Briefe wäre mir erwünscht, da ich sie für die Orientirung der Russen [der russischen Logos-Redaktion] brauche.) Ganz ohne Kommentar kann ich freilich diese Briefe nicht lassen. Herr Dr. Ruge glaubt gewiß Alles, was er sagt, aber für ihn existiren immer nur die Thatsachen, die in seine Auffassung der Dinge passen, und daß er manches glaubt, ist sehr merkwürdig. So ist auch in seinen Briefen von dem Kernpunkt der ganzen Sache nicht mit einem Wort die Rede. Dieser Kernpunkt aber ist der, daß Dr. Ruge Herrn Dr. Mehlis ohne jeden Grund in der schwersten Weise beleidigt hat, so daß Dr. Mehlis jeden Verkehr mit Dr. Ruge abbrechen mußte. Ferner hat Dr. Ruge an Dr. Kroner Briefe geschrieben, die eine ganze Fluth der schlimmsten Verdächtigungen gegen Herrn Mehlis enthalten und seinem Handeln durchweg die niedrigsten Motive unterschieben. Dr. Mehlis und Dr. Kroner sind mit diesen Briefen zu mir gekommen und haben mir beide erklärt, daß für sie jede weitere gemeinschaftliche Arbeit mit Dr. Ruge ausgeschlossen sei, und ich konnte ihnen, nachdem ich die Briefe gelesen hatte, nur Recht geben. Ein weiteres Zusammenarbeiten mit Ruge war in der That nach diesen Briefen unmöglich, und das ließ sich auch juristisch nicht erzwingen. Eines der Leitmotive der Rugeschen Briefe war, daß Mehlis in unwürdiger Weise vor mir krieche, um sich dadurch äußerliche Vortheile zu verschaffen, und daß er deshalb seinen Namen allein auf das Titelblatt setzen wolle. Diese Behauptungen waren ebenso ungerechtfertigt wie beleidigend, und der Vorwurf der Kriecherei hat mich gezwungen, mich in diesem Punkte mit Dr. Mehlis vollkommen zu identificiren, denn es war auch für mich verletzend, daß Dr. Ruge dem ganzen Hergang der Sache solche Motive unterschob. […] Ich gebe zu, daß es ein Fehler von mir war, mir nicht sofort die Rechtslage ganz klar zu machen. Hätte Dr. Ruge in den Formen, die unter wissenschaftlich gemeinsam arbeitenden Menschen unter keinen Umständen verletzt werden dürfen, sich auf sein Recht berufen, das ihm aus dem Vertrage mit Ihnen erwuchs, dann wäre die ganze Sache anders verlaufen. Selbstverständlich erkenne ich jetzt an, daß Dr. Ruge juristisch im Rechte war, und ebenso weiß ich, daß Sie für dieses Recht Ruges eintreten mußten. Ich stimme daher Ihrem Briefe vom 17. März durchaus zu, und ich würde meine Einsprache gegen die Nennung Ruges sofort haben fallen lassen, wenn das noch irgend etwas hätte nützen können. Leider hatte Ruge durch seine beleidigenden Briefe Alles verdorben. Es blieb mir jetzt nur noch die Möglichkeit, Ruge zu einem freiwilligen Rücktritt zu bewegen, und diese Möglichkeit schien mir dadurch gegeben, daß Ruge mich (erst brieflich und dann telefonisch) um eine Unterredung bat. Diese Unterredung hatte ich ihm zugesagt, als mir Abends Mehlis den Brief von Faust an Sie brachte. In diesem Briefe konnte ich nur die Einleitung zu einem Proceß sehen, und da ich mit Leuten, die mir mit Processen drohen, nur noch durch einen Rechtsanwalt verkehren kann, mußte ich Ruge telegrafiren, daß nach Kenntniß des Briefes von Faust eine Unterredung unmöglich sei. (Ruge hatte in seinem letzten Brief an Kroner mit dem „Strafgesetzbuch“ gedroht.) Diese Depesche hat Ruge nicht mehr erhalten, da er bereits nach Karlsruhe abgereist war. Als Ruge am Sonntag Nachmittag herkam, habe ich es nicht fertig gebracht, ihn einfach wegzuschicken; ich mußte ihm aber sagen, daß ich ihn nur mit Rücksicht auf unsern gemeinsamen Lehrer Windelband empfange, und daß es mir ferner ganz unmöglich sei, mich mit ihm in irgend eine Unterredung einzulassen, ehe ich nicht Aufklärung über den Brief von Faust erhalten hätte. Ich weiß, daß ich hierbei Ruge sehr schroff behandelt habe, denn ich mußte nach dem Brief von Faust Ruge für einen Mann halten, der mit Waffen kämpft, die ich nicht für einwandsfrei halte. Dr. Ruge gab mir dann seine ehrenwörtliche Versicherung, daß er nie beabsichtigt habe, juristisch gegen den Logos vorzugehen und das auch nie thun werde. Erst hierauf war eine Unterredung zwischen ihm und mir möglich. – Sonst habe ich über seine Briefe nicht viel zu bemerken. Sie enthalten eine Reihe von Ungenauigkeiten, die aber nicht wesentlich sind. Selbstverständlich bin ich niemals so geschmacklos gewesen, mich selbst als die „Seele“ des Logos zu bezeichnen [Rickert selbst hat Sergius Hessen die Seele des Unternehmens genannt, vgl. den Kommentar zu Windelband an Paul Siebeck vom 24.7.1909]. Das ist ein Ausdruck von Windelband. Ich will auf diese und andere Dinge nicht näher eingehen, denn Sie selbst, hochverehrter Herr Doktor, kennen Ruge wohl genug, um auch zwischen den Zeilen seiner Briefe zu lesen. Nur eine allgemeine Bemerkung möchte ich noch hinzufügen. Die Ansicht, die ich mir von Dr. Ruge auf Grund seiner Briefe gebildet hatte, war eine sehr ungünstige. Besonders nach dem Brief von Faust war ich einfach mit ihm „fertig“. Mein Urtheil über seine Gesammtpersönlichkeit ist jetzt sehr viel günstiger geworden. Ruge glaubt, was er sagt, ja er hat zweifellos einige durchaus sympathische Züge, und die Ansicht, die mir Dr. Mehlis immer über ihn ausgesprochen hat, habe auch ich jetzt gewonnen: Ruge weiß in der Leidenschaftlichkeit garnicht, was er thut. Im Grunde genommen ist er ein „guter Kerl“. Nur fehlt ihm jede Fähigkeit mit Menschen umzugehen und Menschen zu beurtheilen. […] Der Wunsch, daß Mehlis allein auf das Titelblatt komme, ist von mir ausgegangen. Kroner hat diesem Wunsch sogleich zugestimmt. Er sagte mir, das sei eine kleine Eitelkeitsfrage. Mehlis hat erst spät und schweren Herzens zugestimmt. Das sind die Thatsachen. Der unheilbare Bruch ist durch Ruge herbeigeführt worden. […] Ich habe ihm auch meine Mitwirkung an seiner „Encyclopädie“ versprochen, was er so freundlich war, als eine Art von Aequivalent anzusehen. Ich möchte aber auch Ihnen nicht verhehlen, daß ich in dieser Encyklopädie etwas sehe, was die Arbeit am Logos erschweren wird. Die schwierigste Aufgabe wird darin bestehen, Artikel aus Frankreich, England, Italien und Amerika zu bekommen. Da macht die Encyklopädie eine höchst unerwünschte Konkurrenz (zitiert nach: Briefe und Dokumente zur Geschichte der Zeitschrift Logos. UB Leipzig. Nachlass Klaus Christian Köhnke, NL 330/3/1/5, Ausdruck vom 1.3.2012, S. 35–37).▲