Bibliographic Metadata
- TitlePaul Siebeck an Windelband, Tübingen, 9.11.1909, Text nach einer Transkription von Klaus Christian Köhnke, Umfang und Besonderheiten nicht bekannt, Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, NL 488
- Creator
- Recipient
- Participants
- Place and Date of Creation
- Series
- Physical LocationStaatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße
- URN
- Social MediaShare
- Archive
- ▼
Paul Siebeck an Windelband, Tübingen, 9.11.1909, Text nach einer Transkription von Klaus Christian Köhnke[1], Umfang und Besonderheiten nicht bekannt, Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, NL 488
9. November 1909.
Dr. O. S. k.[2] Herrn Geheimrat Professor Dr. W. Windelband in Heidelberg.
Hochverehrter Herr Geheimrat, für die Uebersendung der Anfrage des Herrn Dr. Lorentzen und für Ihre Begleitzeilen zu seinem Briefe[3] sage ich Ihnen verbindlichsten Dank. Im allgemeinen stehe ich auf dem Standpunkt, dass der Abdruck kleiner Partien aus grösseren Werken nicht unvorteilhaft ist. In einem Schulbuch für die oberen Klassen lernt mancher künftige Student ein Buch zum ersten Male kennen, dass er sich später kaufen wird. Aber in diesem Falle scheinen mir die Dinge doch anders zu liegen. Nicht umsonst beschränkt § 19 Ziffer 4 des Urheberrechtsgesetzes[4] die Zulässigkeit der Vervielfältigung in Sammlungen für Schulzwecke[5] auf einzelne Aufsätze von geringem Umfang. Ich glaube nicht, dass diese Grenzen eingehalten sind, wenn Ihr ganzer[a] Vortrag über Sokrates[6] mit zwei ganz kleinen Auslassungen abgedruckt wird. Ich habe daher Herrn Dr. Lorentzen meinerseits die Zustimmung verweigert, und gebe es Ihnen anheim, bei einer nochmaligen Anfrage des Herrn Dr. Lorentzen ähnlich zu verfahren. Seinen Brief gebe ich Ihnen anbei wieder zurück.
Gestern habe ich mit Herrn Dr. Ruge eingehend über den Plan einer „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften“[7] verhandelt. Zu meiner grossen Freude erzählte er mir, dass Sie ihm für seinen Plan Ihre Unterstützung freundlichst zugesagt haben. Ich freue mich besonders darüber, dass der erste Band durch einen Beitrag von Ihnen eingeleitet werden soll. Wie mir Herr Dr. Ruge sagt, waren Sie ausserdem so freundlich zu gestatten, dass Sie auf dem Titel der Bände als Begründer und Herausgeber genannt werden. Im Verlags- und Redaktionsvertrag[8], den ich gestern Herrn Dr. Ruge entworfen habe, mussten daher auch einige Bestimmungen aufgenommen werden, in denen auf Ihr Verhältnis zu dem Unternehmen Bezug genommen wird. Deshalb wird Herr Dr. Ruge sich in den nächsten Tagen erlauben, Ihnen den Vertrag vorzulegen. Er wird Sie alsdann zugleich in meinem Namen höflichst bitten, von dem Inhalt des Vertrags Kenntnis zu nehmen und Ihr Einverständnis mit denjenigen Vereinbarungen zu bekunden, die sich auf Ihr Verhältnis zu dem Unternehmen[9] beziehen.
In bekannter Verehrung verbleibe ich stets Ihr ganz ergebener
P. Siebeck
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Transkription von Klaus Christian Köhnke ] Kollation derzeit nicht möglich. Der Transkription liegt die Datei Manuskript: Windelband Briefe | herauszugeben von K. C. Köhnke | Ausdruck vom 1.3.2012 zugrunde, die den Herausgebern zur Verfügung steht. Ein Ausdruck dieser Datei befindet sich in öffentlichem Besitz (Universität Leipzig, Nachlass Klaus Christian Köhnke NL 330/3/1/2). Die Signatur des Originals ist mit Stichtag 14.5.2018 noch nicht bekannt. Laut telefonischer Auskunft von Roland Klein, Referat für Nachlässe und Autographen der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz vom 21.11. und 2.12.2016 ist die Erfassung des Nachlasses 488 (Verlagsarchiv Mohr-Siebeck) noch nicht abgeschlossen.4↑§ 19 Ziffer 4 des Urheberrechtsgesetzes ] vgl. Gesetz, betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst von 1901 (Inkrafttreten am 1. Januar 1902). In: Deutsches Reichsgesetzblatt 1901, Nr. 27, S. 227–239: §. 19. Zulässig ist die Vervielfältigung: […] 4. wenn einzelne Aufsätze von geringem Umfang, einzelnde Gedichte oder kleinere Theile eines Schriftwerkes nach dem Erscheinen in eine Sammlung aufgenommen werden, die Werke einer größeren Zahl von Schriftstellern vereinigt und ihrer Beschaffenheit nach für den Kirchen-, Schul- oder Unterrichtsgebrauch oder zu einem eigenthümlichen literarischen Zwecke bestimmt ist. Bei einer Sammlung zu einem eigenthümlichen literarischen Zwecke bedarf es, solange der Urheber lebt, seiner persönlichen Einwilligung. Die Einwilligung gilt als ertheilt, wenn der Urheber nicht innerhalb eines Monats, nachdem ihm von der Absicht des Verfassers Mittheilung gemacht ist, Widerspruch erhebt.5↑Vervielfältigung in Sammlungen für Schulzwecke ] in dieser Form erschienen von Windelband lediglich: Teilabdruck von: Was ist Philosophie? Aus: Präludien. 2., vermehrte Aufl. 1903, S. 30–33 u. 36–47. In: Max Frischeisen-Köhler: Moderne Philosophie. Ein Lesebuch zur Einführung in ihre Standpunkte und Probleme. Stuttgart: Enke 1907, S. 92–94 u. 343–346; Die gegenwärtige Aufgabe der Logik und Erkenntnistheorie in Bezug auf Natur- und Kulturwissenschaft. In: Congrès international de Philosophie. Henry Kündig 1905, S. 104–119. Teilabdruck (S. 108–109 u. 115–117) in: Max Frischeisen-Köhler: Moderne Philosophie. Stuttgart: Enke 1907, S. 381–384; Teilabdruck aus: Die Geschichte der neueren Philosophie in ihrem Zusammenhange mit der allgemeinen Cultur und den besonderen Wissenschaften. Leipzig: Breitkopf u. Härtel, Bd. 2 der 2. Aufl. 1899, S. 123–125, in: Deutsches Lesebuch für Lehrerseminare. Für evangelische Anstalten nach den Bestimmungen über das Präparanden- und Seminarwesen vom 1. Juli 1901 ausgewählt u. hg. v. Johannes Heydtmann u. Eduard Clausnitzer. Zweiter Teil. Prosa aus Religion, Wissenschaft und Kunst; Reden, Briefe, Erlasse. Leipzig/Berlin: B. G. Teubner 1903, S. 26–28; dass. in: Deutsches Lesebuch für Lehrerseminare. Für katholische und paritätische Anstalten nach den Bestimmungen über das Präparanden- und Seminarwesen vom 1. Juli 1901 ausgewählt u. hg. v. Julius Waschow. Zweiter Teil. Prosa aus Religion, Wissenschaft und Kunst; Reden, Briefe, Erlasse. Leipzig/Berlin: B. G. Teubner 1903, S. 30–32.6↑Vortrag über Sokrates ] vgl. Windelband: Ueber Socrates. Ein Vortrag. In: Präludien seit 1. Aufl. 1884. Erschien nicht als Wiederabdruck.7↑Plan einer „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften“ ] vgl. das unter dem Briefkopf Die Philosophie der Gegenwart laufende Schreiben Arnold Ruges an Paul Siebeck, Heidelberg, 22.10.1909: Vertraulich. Hochverehrter Herr Doctor! Ich habe leider schon allzu lange mich durch das Uebermass von Arbeiten davon abbringen lassen, Ihnen für die Freundlichkeit zu danken, mit der Sie bei meinem Aufenthalt in Tübingen sich für meine Pläne interessierten. Mit diesem Danke möchte ich Ihnen heute eine Discussionsfrage vorlegen, die Sie die Güte haben werden mir recht bald zu beantworten. Ich bitte Sie auch um Discretion, bis die Pläne eine feste Form annehmen und so formuliert sind, dass sie sichtbarlich anderen Unternehmungen nicht widerstreiten. Wie Sie wissen verband ich mit der Gründung meiner Jahresschrift die Absicht, Jahrbücher der Philosophie erscheinen zu lassen, in denen jährlich über ein Grundproblem der einzelnen Gebiete der Philosophie von ersten und führenden Kräften geschrieben wird. Es war nicht meine Absicht, eine Zeitschrift oder dergleichen zu gründen und damit in Konkurrenz zu treten mit einigen meiner Ansicht nach allerdings sehr mindern Fachzeitschriften, sondern etwas vollkommen eigenartiges zu schaffen und es so zu begründen, dass es wirklich nicht nur wertvoll, sondern unentbehrlich ist. Nennen wir diese Gründung „Encyklopädie der Philosophie“. Ich trug gestern Herrn Geheimrat Windelband die Sache vor und fand sein allergrößtes Interesse. Für eine derartige Jahresschrift könne er sich sehr interessieren und ich darf mit aller Sicherheit annehmen, dass er die Leitung des Unternehmens übernommen hätte, ja ich glaube er wünscht eine derartige Sache, die von Heidelberg ausgeht und den allgemeinsten Charakter trägt. Ich würde also beispielsweise den ersten Band „Logik“ nennen und darin vier Arbeiten von den Hauptvertretern der Logik in Deutschland, Frankreich, England und Italien über ein Kernproblem der Logik bringen. Deutschland würde Windelband vertreten, die anderen Länder Männer, die ich in Uebereinstimmung mit Windelband heranziehe. Ich habe Windelband zugesichert, dass ich alle Arbeit übernehmen würde, die Mühseligkeiten des Recensionswesens würden fortbleiben und den anderen Zeitschriften überlassen bleiben, vielleicht würde ich in Zusammenhang mit meiner bibliographischen Unternehmung Anzeigen von ganz hervorragenden Arbeiten mitheranziehen. Ich habe nach Ihrem Interesse, das Sie meinen Angelegenheiten entgegengebrachten selbstverständlich zunächst an eine Anfrage bei Ihnen gedacht und richte diese nun hier aus. Ich weiss auch, dass Sie lange den Wunsch hegten, eine von Windelband inspirierte philosophische Fachzeitschrift in Ihren Verlag zu bekommen. Der erste Band könnte natürlich erst in ca. einem Jahre erscheinen, aber es ist aus anderen Gründen nötig, sich bald zu entschliessen. Ich würde, falls ich mich nicht darin täusche, Ihnen mit diesem Angebote meinerseits eine Aufmerksamkeit zu erweisen, gleich mit Windelband in bindende Unterhandlungen treten. – Ich habe nun die Sache in theoria schon weiter ausgedacht. Und zwar folgendermassen: Wie Sie wissen, stehe ich in Unterhandlungen mit einzelnen Fachzeitschriften, die sich darum beworben haben, meine Bibliographie als Appendix an ihre Abonnenten geben zu dürfen, bezw. in ihren Abonnementspreis einzuschliessen. Ich würde, falls das Erscheinen der von mir geplanten Jahresschrift zur Zeit des zweiten Bandes der Bibliographie bestimmt zu erwarten wäre, auf den Vorteil einer Verbindung mit einer philosophischen Zeitschrift für das erste Jahre verzichten und wir könnten dann im zweiten Jahre gemeinsame Sache machen. Es ist nach den Empfehlungen von Windelband so gut wie sicher, dass sich bei der Bibliographie die Regierung und Akademie [der Wissenschaften Heidelberg] beteiligen, wodurch meine Sache sehr an Credit gewinnt. Ich bin im Begriffe hier ein internationales philosophisches Institut zu gründen, das an das von mir mitgegründete und geleitete [!] Philosophische Seminar angeschlossen wird. Dort soll dann eine Fachbibliothek sein, in die alle mir eingesandten Arbeiten hineinkommen, soweit ich sie nicht für meine Privatbibliothek gebrauche. Damit hoffe ich auch den Verleger auf meiner Seite zu haben, zu dessen Gunsten ich noch besondere Einrichtungen treffen will, um der Schleuderei von Verlagswerken, soweit sie mein Gebiet betreffen, entgegenzutreten. Doch über Einzelheiten ev[entuell] später. Meine eigene Erfahrung geht dahin, dass sich Dinge grundsätzlicher Art am leichtesten mündlich abmachen lassen. Wir müssten dann eben persönlich mit einander verhandeln, entweder so, dass Sie nach Heidelberg kommen – das hat den Vorteil, dass Windelband an einer Konferenz teilnehmen könnte – oder so, dass ich noch einmal nach Tübingen komme. Ich würde das möglich zu machen suchen und würde sogar es für das Beste halten, wir verhandelten erst zu zweien persönlich in Tübingen und dann zu Dritt in Heidelberg. Haben Sie die Freundlichkeit, mir in bäldester Bälde zu antworten. – Sie sehen auch, dass dieser Plan mit dem „Logos“ gar nicht konkurriert (Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, NL 488; zitiert nach: Briefe und Dokumente zur Geschichte der Zeitschrift Logos. UB Leipzig. Nachlass Klaus Christian Köhnke, NL 330/3/1/5).8↑Verlags- und Redaktionsvertrag ] der endgültige Verlagsvertrag über die Mitwirkung an der periodischen Unternehmung der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften zwischen Paul Siebeck, Arnold Ruge und Windelband datiert vom 15./26.2.1910. Darin verpflichtet sich Windelband, für den Jahrgang 1911 eine Abhandlung Über die Prinzipien der Logik zu liefern, mit Abgabetermin 1.11.1910 (Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, NL 488 B 1, 5, M. 1, Bl. 194). Vgl. Windelband: Die Prinzipien der Logik. In: Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften. Hg. v. W. Windelband u. A. Ruge, 1. Bd. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1912, S. 1–60.9↑Ihr Verhältnis zu dem Unternehmen ] vgl. Ruge an Windelband vom 27.11.1909 sowie an Siebeck vom selben Tag: Ich habe nun am letzten Mittwoch [24.11.1909] mit Herrn Geheimrat Windelband unsere Sache eingehend besprochen und will nun daraufhin meinen Brief vom 15. November ergänzen und meine Bemerkungen zu unserem Vertrage abschliessen. Herr Geheimrat war mit allen meinen Vorschlägen durchaus einverstanden […] Der erste Band soll also Arbeiten bringen von Windelband, Bergson, Croce, Royce; wenn das durchzusetzen ist, haben wir allerdings ein glänzendes Programmdocument. Der zweite Band soll dann ein positives Gebiet der Philosophie bearbeiten und nicht wie ich wollte methodologischen Character tragen. Ich selbst werde das Erdenklichste tun, den Plan genau zu verwirklichen und gleich nach meiner Habilitation [vgl. Windelbands Gutachten vom 23.5.1910 über Ruges Habilitationsschrift im Abschnitt Dokumente der vorliegenden Edition] nach Paris und nach Italien und wenn es irgend zu machen im Juli nach Amerika fahren. Es liegt ja auch auf der Hand, dass ich bei dieser Gelegenheit auch die Wünsche und Ziele des „Logos“ im Auge haben kann und als Redacteur dieser Zeitschrift dabei sehr wirksames durchsetzen kann (Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, NL 488; zitiert nach: Briefe und Dokumente zur Geschichte der Zeitschrift Logos. UB Leipzig. Nachlass Klaus Christian Köhnke, NL 330/3/1/5, Ausdruck vom 1.3.2012, S. 9).▲