Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Leo Koenigsberger, Klobenstein bei Bozen, 19.8.1909, 4 S., hs. (lat. Schrift), Wasserzeichen: R. DIEFFENBACHER | HEIDELBERG (1 geteilter Bogen), Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, acc. Darmst. 1922.93
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- Physical LocationStaatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße
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Windelband an Leo Koenigsberger, Klobenstein bei Bozen, 19.8.1909, 4 S., hs. (lat. Schrift), Wasserzeichen: R. DIEFFENBACHER | HEIDELBERG (1 geteilter Bogen), Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, acc. Darmst. 1922.93
Klobenstein[1] b[ei] Bozen
Hôtel Post 19.8.09.
Hochverehrter Herr Kollege,
Hoffentlich finden Sie jetzt bei dem schönen Wetter und der herrlichen Alpenstille auch die Erholung, die Ihnen nach dem bewegten und aufgeregten Semester und nach den bewunderungswürdigen Leistungen, mit denen Sie uns vorangeleuchtet haben, so recht zu gönnen und zu wünschen war! Es ist so schön, wie in den Höhen alles aus dem Alltagsleben und auch aus der erfüllten Tätigkeit vom Menschen abfällt und eine reine, edle Ruhe übrigbleibt! In dieser Musse hat sich auch meine Absicht, Ihnen zu schreiben, immer wieder hinausgeschoben, und so danke ich Ihnen erst jetzt für Ihren lieben Brief[2] und für die liebenswürdige Karte aus Saas-Fee[3]. Jener Brief hat mich in Leipzig[4] nicht mehr, sondern erst hier getroffen, nachdem ich, etwas angegriffen, langsam über München und Bozen mit den Meinigen hierher gereist war. ich empfing zugleich auch eine Sendung von Herrn[a] Max Weber, eine Ab|schrift seines Briefes an Sie mit einigen weiteren, wenig erfreulichen Bemerkungen[5]: ich habe das bisher unbeantwortet gelassen, weil ich meine Antwort davon abhängig machen will, ob er nach der Unterredung mit Ihnen sich dazu bequemt hat, auf seinen Verzicht zu verzichten. ich habe, nach seinem eignen Wesen und nach dem Umstande, dass ihm, wie es aus dem Briefe hervorgeht, andre dauernd mit ihren Schmerzen im Ohre liegen, allerdings wenig Hoffnung darauf.
Inzwischen ist ja unsre Universität von sehr viel ernsteren Dingen[6] heimgesucht worden; und speziell für mich persönlich ist es äusserst peinlich gewesen, dass ich teils durch die Verzögerung auch der telegraphischen Mitteilungen, teils durch meine nach Leipzig in der | Tat recht sehr mitgenommenen Befinden, ausser Stande war, die Universität bei so ernsten Unglücksfällen zu vertreten und alles dem Koll[egen] Kossel[7] aufbürden musste. Meine Beine waren wirklich in einem Zustande, der mich fast reiseunfähig und jedenfalls leistungsunfähig machte.
Allmählich gestaltet sich das besser: ich habe mit Klobenstein einen sehr guten Griff getan. Eine Hochebene, 1100–1300 m. hoch, der südlichen Sonne ausgesetzt, mit reiner frischer Luft, leicht gewellt mit Wäldern und Matten, eine Fülle von Spaziergängen, die schon bei geringer Ausdehnung den Blick auf die herrlichen Dolomiten in stetem Lichtwechsel immer wieder neu darbieten, und die zugleich beliebig weit und hoch ausgedehnt werden könne; ein behagliches Hotel mit vorzüglicher Kost, – und dazu das denkbar schönste Wetter! Meiner Frau und mir bekommt das vorzüglich; meine Söhne machen | z. T. weitere Klettertouren. Die naturhistorische Merkwürdigkeit der Gegend sind die Erdpyramiden, Auswaschungen im lehmigen Gestein, die teils in Massen, teils als einzelne Nadeln, meist unter dem Stein, der die wunderliche Bildung ermöglicht hat, in den engen Bachtälern vorkommen. Ein Beispiel senden wir als Gruß[8] an Ihre verehrte Frau Gemahlin[9].
Wenn alles in Ruhe und Ordnung und hier das Wetter gut bleibt, denke ich bis Ende des Monats hier zu bleiben und gegen den 5t September wieder in Heidelberg zu sein. Mögen Sie inzwischen recht schöne Tage verleben! Mit aufrichtigen Grüssen von Familie zu Familie Ihr herzlich ergebner
W Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Klobenstein ] vgl. die Meldung in: Neues Wiener Journal, Nr. 5695 vom 29.8.1909, S. 10: Im Posthotel Klobenstein am Ritten bei Bozen sind zu längerem Aufenthalte eingetroffen: […] Geheimrat Prof. Dr. Windelband mit Familie (ANNO).5↑Briefes … Bemerkungen ] vgl. Max Weber an Leo Koenigsberger u. Windelband vom 30.7.1909; an Koenigsberger: In Beantwortung Ihrer freundlichen Mitteilung vom 25. Juni bitte ich Sie, es nicht als eine persönliche Unhöflichkeit auslegen zu wollen, wenn ich die mir durch die Cooptation zum „außerordentlichen Mitglied der Akademie der Wissenschaften“ erwiesene Ehre, mit dem Ausdruck des verbindlichsten Dankes ablehne. Es folgt die Begründung. Weber wandte sich gegen die in seinen Augen willkürliche Auswahl der außerordentlichen Mitglieder, die zudem zu einer Unterrepräsentation historischer, staats- und sozialwissenschaftlicher Fächer geführt habe. An Windelband gerichtet fügt Weber hinzu: Ich bitte auch Sie, die Motive dieses, für die Akademie ja gänzlich irrelevanten, Austritts nicht zu mißdeuten. Wenn in der „historischen“ Classe als „ordentliche Mitglieder“: 3 Freiburger Historiker und 3 Rechts- bzw. Kirchenhistoriker sitzen, der Ordinarius der neueren Geschichte aber nicht einmal als „a. o. Mitglied“ Platz findet, so gehöre ich nicht in diesen Circel. Vor Allem aber verspreche ich mir, da wie mir bekannt ist – die Herren von der „Naturwissenschaftlichen Sektion“ auch darüber entscheidend mitbestimmen, was für die anderen andren Disziplinen richtig ist, nichts für unsre Disziplin. Ich glaube, man müßte vor solchen Stiftungen gradezu warnen und abwarten, ob nicht einmal sich Gelegenheit bietet, etwas ganz andres zu machen, wenn den Sozialwissenschaften geholfen werden soll (Max Weber Gesamtausgabe Abt. II, Bd. 6, S. 207 u. 209). Weber hat seinen Verzicht auf die Mitgliedschaft mit Schreiben an Koenigsberger vom 27.10.1909 wieder zurückgezogen (vgl. ebd., S. 298).6↑ernsteren Dingen ] am 2.8.1909 war Adolf Hausrath (*1837) gestorben, evangelischer Theologe und Romanschriftsteller, 1867 ao. Prof. und seit 1871 o. Prof. für Kirchengeschichte und neutestamentliche Exegese in Heidelberg. Hausrath war Mitbegründer und zeitweiliger Sekretär des 1863 gegründeten Protestantenvereins (NDB; Max Weber Gesamtausgabe Abt. II. Bd. 6, S. 790: Onkel von Max Weber).7↑Kossel ] Albrecht Kossel (1853–1927), Physiologischer Chemiker, 1887 in Straßburg habilitiert, 1883 Leiter der chemischen Abteilung im Physiologischen Institut in Berlin. 1887 ao. Prof. in Berlin, 1895 o. Prof. in Marburg als Hygieniker, später für Physiologie (1901 Direktor des Physiologischen Instituts). 1901 o. Prof. in Heidelberg, 1924 emeritiert, anschließend Leiter des Heidelberger Instituts für Eiweißforschung (NDB).▲