Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Paul Siebeck, Heidelberg, 24.7.1909, Text nach einer Transkription von Klaus Christian Köhnke, Umfang und Besonderheiten nicht bekannt, Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, NL 488
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- Physical LocationStaatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße
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Windelband an Paul Siebeck, Heidelberg, 24.7.1909, Text nach einer Transkription von Klaus Christian Köhnke[1], Umfang und Besonderheiten nicht bekannt, Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, NL 488
24.VII.09[a]
Hochgeehrter Herr Doctor
Zu der neuen Ehrung durch den D. theol. h. c.[2] spreche ich Ihnen meinen herzlichen Glückwunsch und meine hohe Freude darüber aus, dass Ihre rege, von so aufrichtiger Hingabe an die Sache der Wissenschaft erfüllte Tätigkeit wieder eine so wohlverdiente und so weithin sichtbare Anerkennung gefunden hat!
Leider haben Sie recht behalten mit der pessimistischen Auffassung[3] von der Wirkung meines Rectorats für meine wissenschaftliche Arbeit: ich kann vor den Ferien, d. h., da ich im August mich unbedingt im Gebirge erholen muss, vor dem September das Ms. für die neue Auflage der Geschichte der Philosophie[4] nicht einliefern. Dann soll es aber mit aller Energie geleistet werden. In diesem Sommer sind zu den allgemeinen Rectoratsanforderungen und zu den Repräsentationspflichten in Genf und Leipzig[5] noch die Verhandlungen etc. hinzugekommen, welche die Begründung unserer Akademie der Wissenschaften für mich herbeiführten; und ich habe oft tatsächlich nicht gewusst, wo mir der Kopf stand.
Darum habe ich Ihnen auch noch nicht über eine andere Sache geschrieben. Eine Gruppe junger Herren, die Schüler teils von Rickert teils von mir teils von uns beiden sind, plant die Herausgabe einer kulturphilosophischen Zeitschrift, die sich „Logos“ nennen will. Als sie an mich mit dem Wunsche herantraten, ihnen meine Mitwirkung zuzusichern[6], habe ich ihnen erwidert, dass ich in dieser Hinsicht mich durch den Umstand gebunden fühle, dass Sie vor Jahren mich mehrfach zur Begründung einer philosophischen Zeitschrift[7] aufgefordert haben, ich aber es aus sachlichen und persönlichen Gründen abgelehnt habe, ein derartiges Unternehmen in die Hände zu nehmen. Nun weiss ich nicht, ob es damit zusammenhängt, dass mir gestern einer der beteiligten Herren[8] sagte, sie hätten mit Ihnen Verhandlungen über die Verlegung der Zeitschrift[9] begonnen oder ständen im Begriff das zu tun. Sollte das geschehen sein oder geschehen, so bin ich gern bereit, Ihnen Näheres über diesen Plan zu schreiben, der nicht ganz dem Gedanken entspricht, mit dem Sie früher eine solche Gründung ins Auge fassten. Jedenfalls wünsche ich, ehe irgend etwas in der Sache geschieht, was meine Mitwirkung in irgend einer Weise, wenn auch noch so lose bedeuten sollte, mich mit Ihnen darüber sachlich und persönlich auseinanderzusetzen.
Für heute mit herzlichem Gruss und nochmaligen Glückwunsch hochachtungsvoll der Ihrige
W Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Transkription von Klaus Christian Köhnke ] Erstabdruck in: Klaus Christian Köhnke: Sinn für Institutionen. Mitteilungen aus Wilhelm Windelbands Heidelberger Zeit (1902–1915). In: Hubert Treiber, Karol Sauerland (Hg.): Heidelberg im Schnittpunkt intellektueller Kreise. Opladen 1995, S. 55–56. Kollation derzeit nicht möglich. Der Transkription liegt die Datei Manuskript: Windelband Briefe | herauszugeben von K. C. Köhnke | Ausdruck vom 1.3.2012 zugrunde, die den Herausgebern zur Verfügung steht. Ein Ausdruck dieser Datei befindet sich in öffentlichem Besitz (Universität Leipzig, Nachlass Klaus Christian Köhnke NL 330/3/1/2). Die Signatur des Originals ist mit Stichtag 14.5.2018 noch nicht bekannt. Laut telefonischer Auskunft von Roland Klein, Referat für Nachlässe und Autographen der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz vom 21.11. und 2.12.2016 ist die Erfassung des Nachlasses 488 (Verlagsarchiv Mohr-Siebeck) noch nicht abgeschlossen.3↑pessimistischen Auffassung ] womöglich mündlch mitgeteilt, vgl. sonst nur Paul Siebeck an Windelband vom selben Tag, 24.7.1909.4↑neue Auflage der Geschichte der Philosophie ] vgl. Windelband: Lehrbuch der Geschichte der Philosophie. 5., durchgesehene Aufl. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1910.5↑Genf und Leipzig ] vgl. Windelband an Heinrich Rickert vom 4.7.1909 sowie an Franz Böhm vom 14.7.19098↑einer der beteiligten Herren ] vermutlich Arnold Ruge, vgl. dessen Schreiben an Paul Siebeck vom 11.8.1909: Sie wissen aus dem mit Herrn Dr. Mehlis verabredeten Vertrage, daß ich mit der Gründung des Logos auf’s Intimste verbunden bin. Herr Dr. Mehlis u. die anderen Herrn, mit denen Sie in Freiburg sprachen, werden Ihnen mitgeteilt haben, daß ich den ersten Teil meiner eigenen Jahresschrift [gemeint ist Ruges bibliographisches Periodikum: Die Philosophie der Gegenwart] dem neuen Unternehmen zum Opfer zu bringen gewillt bin. Ich habe es den Freiburger Herrn gegenüber selbstverständlich nicht verhehlt, daß mir dieses Opfer außerordentlich schwer fallen würde, denn damit schrumpft meine Jahresschrift zunächst zu einer Bibliographie zusammen, die ja gewiß vermöge ihres besonderen Charakters einen großen Teil der Aufgaben erfüllt, die ich mir für „die Philosophie der Gegenwart“ gestellt hatte. Ich möchte auch erwähnen, daß mir für meine Jahresschrift die bedeutendsten Fachleute ihre Mithilfe zugesagt hatten, u. daß ich bereits feste Zusagen von Windelband, Rickert, Boutroux, Croce, Münsterberg u. anderen in Händen habe. Das von Boutroux mir in Aussicht gestellte Manuskript ist bereits bei mir eingetroffen, u. ich habe davon unsern geschäftsführenden Redakteur, Herrn Dr. Mehlis, in Kenntnis gesetzt. Es liegt auf der Hand, daß ich für die große Förderung, die ich dem Logos durch meinen Verzicht gebe, ein Äquivalent zu beanspruchen wohl das Recht hätte, das bei dem großen ideellen Interesse, welches ich dem Logos entgegenbringe, vielleicht nur darin zu bestehen braucht, daß zwischen den beiden Unternehmungen auch rein äußerlich ein inniger Kontakt dokumentiert wird. In welcher Weise das geschehen soll, möchte ich Ihnen, sehr geehrter Herr, überlassen (Verlagsarchiv Mohr/Siebeck, Staatsbibliothek Berlin, zitiert nach: Briefe und Dokumente zur Geschichte der Zeitschrift Logos. UB Leipzig. Nachlass Klaus Christian Köhnke, NL 330/3/1/5, Ausdruck vom 1.3.2012, S. 7–8). Die Streitigkeiten innerhalb der Redaktion des Logos ab März 1910 kündigten sich bereits mit diesem Schreiben an.9↑Verhandlungen über die Verlegung der Zeitschrift ] vgl. bereits Heinrich Rickert an Paul Siebeck vom 8.7.1909: Streng vertraulich! | Sehr geehrter Herr Doktor! Gestatten Sie, daß ich Ihnen eine Mittheilung mache, die Sie vielleicht interessirt, und eine Anfrage daran knüpfe. – In einem Kreise von jungen Gelehrten, die Schüler von Windelband und mir sind, ist der Plan zu einer Zeitschrift entstanden, über deren Tendenz und äußere Gestaltung der beiliegende Prospekt orientirt. […] Der Prospekt ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, sondern hat den Zweck, Mitarbeiter zu gewinnen. […] Ich selbst stand dem Unternehmen Anfangs etwas skeptisch gegenüber, aber die Unternehmer arbeiten mit einem solchen Eifer und haben bereits verhältnismäßig soviel Erfolg gehabt, daß mich die Sache jetzt lebhaft interessirt, und ich ihm meine Mitwirkung versprochen habe. Vor Allem gilt es natürlich, auch Windelbands Interesse für die Sache zu gewinnen. Er hatte Anfangs das Bedenken, daß den „Kantstudien“ eine unerwünschte Konkurrenz entstehen könnte. Doch hat er dies Bedenken zurückgezogen, seine Mitwirkung zugesagt u. auch gestattet, daß er öffentlich als Mitarbeiter genannt wird. Von älteren deutschen Philosophen ist bisher noch Niemand sonst gefragt worden. Es ist beabsichtigt Eucken und Lipps vor Allem heranzuziehen, und es darf wohl auf die Mitwirkung von Simmel, Kühnemann, Hensel und Anderen mit Sicherheit gerechnet werden. Von deutschen Gelehrten haben ihre Zustimmung zu dem Programm und ihre Mitwirkung ferner zugesagt: Tröltsch, Voßler (Würzburg), Schulze-Gävernitz, Meinecke und ebenso darf wohl Max Webers Mitwirkung als gesichert gelten. – Von Ausländern ist bisher nur eine größere Anzahl von Russen gewonnen, und nur wenige aus andern Ländern. Immerhin haben für den ersten Jahrgang folgende Gelehrte Beiträge fest zugesagt: Boutroux (von der Sorbonne) „Über Wissenschaft u. Religion“. Croce (wohl der bedeutendste lebende italienische Philosoph) „Die Gültigkeit der Werthe“. Lossky (Professor in Petersburg) „Über naiven Realismus“. – Tröltsch: „System u. Kultur“. Voßler: „Die Begriffe wahr u. richtig in der Sprachwissenschaft“, und endlich ich einen Artikel über: „Die unsystematischen Faktoren in der systematischen Philosophie“, der auch z. Th. programmatischen Charakter tragen wird und deshalb an die Spitze des ersten Heftes kommen soll. Ferner haben ohne bestimmte Angabe des Themas für den ersten Band Artikel zugesagt: Windelband, Schulze-Gävernitz und von Russen Lappschin, Mereschkowsky, Schestoff, von denen Mereschkowsky auch in Deutschland einen sehr bekannten Namen hat. Von jüngeren will ich nur nennen: Lask, Baensch und Christiansen, der soeben eine höchst interessante „Philosophie der Kunst“ veröffentlicht hat. […] Die eigentliche Propaganda soll erst jetzt mit Hülfe des beiliegenden Prospektes begonnen werden, und ich habe den Redakteuren gerathen, jetzt zunächst einmal die Frage des Verlages zur definitiven Entscheidung zu bringen. Sie haben einen Verleger gefunden, der ein noch völlig unbekannter Anfänger ist [gemeint ist der Verleger August Faust, Inhaber der Weiss’schen Buchhandlung Heidelberg] […]. Ein hohes Honorar gilt allen Betheiligten für eine unumgängliche Bedingung. Unsere sämmtlichen philosophischen Zeitschriften kranken daran, daß sie ganz ungenügende Honorare bezahlen u. daher fast ausnahmslos auf Beiträge von Anfängern angewiesen sind. […] Jetzt kommt eine Anfrage, die aber ganz persönlich von mir aus geht. Ich habe den Redakteuren gesagt, daß ich für den Erfolg der Zeitschrift auch den Verlag, in dem sie erscheint, für sehr wesentlich halte, und Bedenken gegen einen ganz unbekannten Anfänger, möge er auch noch so tüchtig sein, nicht unterdrücken könne. Ja, ich habe bei den langjährigen Beziehungen, die zwischen Ihnen und mir bestehen, es geradezu für meine Pflicht gehalten, Ihnen vor einem definitiven Vertragsabschluß Mittheilung von der Sache zu machen, Sie zu fragen, ob Sie sich für das Unternehmen interessiren, und ob Sie eventuell Neigung haben würden, den „Logos“ für Deutschland in Ihren Verlag zu nehmen. Die Zeitschrift soll natürlich nicht den Charakter eines südwestdeutschen Schulorgans tragen. Aber die Färbung wird eine vollkommen südwestdeutsche sein. Die eigentliche „Seele“ des ganzen Unternehmens ist Dr. Hessen, einer meiner begabtesten Schüler, ein junger Mann von ganz ungewöhnlicher Intelligenz und Energie. Er hat in Rußland mit großem Erfolg für das Unternehmen gewirkt. Der „Logos“ wird dort in dem, wie ich höre, sehr angesehenen Verlage der Zeitschrift „Der russische Gedanke“ – Herausgeber: Peter von Struve – erscheinen. – Natürlich weiß ich, daß ein solches Unternehmen nie einen sehr großen pekuniären Gewinn bringen kann. Aber bei dem kleinen Umfang, in dem es vorläufig geplant ist, ist das Risiko wohl auch nicht besonders groß, und die genannten Namen werden Ihnen gezeigt haben, daß die Geschichte nicht völlig in der Luft schwebt (vgl. Georg Simmel Gesamtausgabe Bd. 22, S. 761–763; der erwähnte Prospekt ist dort S. 758–761 abgedruckt). Siebeck antwortete am 10.7.1909 u. a.: Ich glaube, die Anfrage auch um deswillen verdient zu haben, weil ich schon seit Zeiten mit Herrn Geheimrat Windelband die Frage einer neuen philosophischen Zeitschrift besprochen habe (zitiert nach: Nachlaß Köhnke, UB Leipzig NL 330/3/1/4: Klaus Christian Köhnke/Rüdiger Kramme: Abschlußbericht Logos, Teil 2 (Archiv-Katalog) 1916–33; Stichtag 16.11.1993, S. 409).▲