Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Georg Jellinek, Baden (Schweiz), 27.4.1908, 3 S., hs. (lat. Schrift), Bundesarchiv Koblenz, Nachlass Georg Jellinek, N 1136/56
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- Physical LocationBundesarchiv Koblenz
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Windelband an Georg Jellinek, Baden (Schweiz), 27.4.1908, 3 S., hs. (lat. Schrift), Bundesarchiv Koblenz, Nachlass Georg Jellinek, N 1136/56
Baden, Schweiz, Verenahof, 27.4.08
Liebster Freund,
Nun bist Du, hoffentlich recht erholt, gewiss wieder nach Heidelberg zurückgekehrt, zumal ja neue Sorgen[1] Dich rufen. In der zeitungsfremden Musse, die ich hier geniesse, erfahre ich erst spät die Berufung von Anschütz[2]: ich wünsche Dir von Herzen, dass Dir die Ersatzfrage[3] nicht allzuviel Mühe und Aerger bereiten möge!
Wir haben hier wenig Wetterglück gehabt, aber an den Bädern eine hoffentlich recht dauerhafte Kur genossen; ich dehne sie so lange wie irgend möglich aus. Da ich am Freitag in Karlsruhe Theologen zu prüfen[4] und ausserdem Kammersitzung[5] habe, so werde ich erst in der nächsten Woche beginnen, aber am Samstag für die Immatriculation zur Stelle sein.
Hoffentlich ist es Dir, Deiner freundlichen Nachricht kurz vor meiner Abreise gemäss, inzwischen gelungen, das Missverständnis zu zerstreuen, | von dem Du mir Mitteilung machtest. Mir freilich wird es, je länger ich darüber nachdenke, um so unverständlicher, wie Jemand, der an den Verhandlungen[6] nicht teilgenommen hat, der aussen stehend, nur Abgerissenes gehört hat, sich herausnehmen kann, über meine Motive und mein Verfahren ein Urteil auszusprechen, wie Du es mir andeutetest. Die schwere Beleidigung, die das zu enthalten schien, kann ich, wenn sie, wie ich natürlich erwarte, in aller vollständigen Form zurückgenommen wird, nur dadurch vergessen, dass ich in Betracht ziehe, wie ein kranker, nervös überreizter Mann[7] durch den drohenden Fehlschlag eines Lieblingswunsches aus dem Gleichgewicht gebracht werden kann.
Ueber die Sache selbst hoffe ich in Kurzem mit Dir persönlich zu reden; sie ist noch immer nicht entschieden. Meine Stellung und Wirksamkeit darin bleibt dieselbe, wenn auch die Erfahrung, die ich damit mache, nicht eben geeignet ist, mein Interesse am Erfolg zu steigern.
Meine Frau grüsst Dich und Dein Haus, und ich verbleibe, indem ich mich ihr anschließe, in treuer Freundschaft Dein herzlich ergebner
W Windelband
Kommentar der Herausgeber
2↑Berufung von Anschütz ] der Jurist Gerhard Anschütz (1867–1948), seit 1900 an der Universität Heidelberg, ging 1908 nach Berlin, 1916 zurück nach Heidelberg (NDB).3↑Dir die Ersatzfrage ] der Nachfolger von Anschütz wurde Fritz Fleiner (1867–1937), Jurist, 1895 in Zürich ao. Prof. für öffentliches Recht und Kirchenrecht, 1897 o. Prof. in Basel, 1906 in Tübingen, 1908 in Heidelberg. 1915–36 o. Prof. für Staats-, Verwaltungs- und Kirchenrecht in Zürich (Historisches Lexikon der Schweiz).4↑Theologen zu prüfen ] Windelband war als Prüfer der Heidelberger Universität an den zentralen staatlichen Prüfungen für das Lehr- und Pfarramt in Karlsruhe beteiligt, vgl. Windelband an Heinrich Rickert vom 23.6.1908.5↑Kammersitzung ] am Freitag, 22.5.1908 tagte die Erste Kammer der badischen Ständeversammlung, zu deren Abgeordneten Windelband gehörte. Windelband hat sich am 22.5. (gemeinsam mit dem 2. Heidelberger Abgeordneten, Oberamtsrichter Laroche) in der Debatte über die Erhaltung des Heidelberger Schlosses gegen einen Ausbau des Otto-Heinrich-Baus ausgesprochen (vgl. Kunstchronik, Nr. 28. v. 12.6.1907, Sp. 491).6↑Verhandlungen ] im Kontext des 2. Lehrstuhls für Philosophie neben Windelband, vgl. Windelband an Heinrich Rickert vom 6.11.1906 u. 22.2.1908.7↑ein kranker, nervös überreizter Mann ] höchstwahrscheinlich Anspielung auf Max Weber, der Simmel nach Heidelberg zu holen trachtete, wobei er aber, da beurlaubt, nicht stimmberechtigtes Mitglied der Heidelberger Philosophischen Fakultät war. Weber hatte am 21.3.1908 an Jellinek geschrieben: Als ich s. Z. den näheren Inhalt des Windelband’schen Berichts [das Fakultätsgutachten mit den Berufungsvorschlägen vom 17.2.1908, vgl. den Kommentar zu Windelband an Rickert vom 6.11.1906] erfuhr, wollte ich eigentlich Simmel gleich schreiben, er solle sich keine Hoffnung machen. Ich unterließ es und werde auch künftig nie ihm davon etwas sagen, – wozu einem verbitterten Mann den Glauben an W[indelband]’s Loyalität, den er hat, und an dem er sich freut, erschüttern? Ich aber kann nur Folgendes sagen: wenn heut in einem Bericht ein Gelehrter als „zersetzend“ bezeichnet wird, so weiß jeder – auch Windelband – daß kein deutsches Ministerium ihn beruft, und wenn ein so weltkluger Mann wie W[indelband] das in seinen Bericht schreibt, so weiß jeder – auch er selbst – was er damit bezweckt. Die widerliche Unmännlichkeit, seinen Wunsch, der Einzige zu bleiben (den er Tröltsch gegenüber privatim ja offen aussprach) nicht offen zu vertreten, sondern den Anschein zu erregen, als habe er „das Seinige gethan“, – das ist es, was an diesem Vorgang das Unverzeihliche ist und ich hoffe nicht der Einzige zu bleiben, der ihm gegenüber daraus die Consequenzen zieht. Simmel habe ich – da ich aus andrer Quelle unmittelbar vor Ihrem Brief das Gleiche hörte, geschrieben, daß eine Einwirkung von Berlin her zu seinen Ungunsten die Situation verschoben […] habe […]. Ich erhalte soeben von S[immel] eine resignierte Antwort. Er nimmt an, daß sein angeblich „zersetzender“ Einfluß das Karnickel sei; ich werde mich hüten, ihm anzudeuten, wie Recht er damit hat und wie gut Windelband gerechnet hat (Max Weber Gesamtausgabe, Abt. II, Bd. 5, S. 469–470; vgl. das Zitat von Jellineks Antwort in dass., S. 482, in der Windelbands Einsatz für Simmel positiver dargestellt ist, sowie die darauf folgenden Schreiben Webers an Rickert vom 27.3. u. 1.4.1908).▲