Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Karl Dilthey, Heidelberg, 7.8.1906, 3 S., Ts., mit vereinzelten hs. Korrekturen u. eigenhändiger Unterschrift, Niedersächsische Staats- und UB Göttingen, Dilth. 141
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- Physical LocationNiedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen
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Windelband an Karl Dilthey, Heidelberg, 7.8.1906, 3 S., Ts., mit vereinzelten hs. Korrekturen u. eigenhändiger Unterschrift, Niedersächsische Staats- und UB Göttingen, Dilth. 141
Heidelberg, den 7. August 1906.
Lieber Freund!
Aus den Erzählungen unserer Dore[1], die ja nun auch nach vollbrachtem Semester[2] bei uns wieder eingekehrt ist, entnehme ich, dass Du diesen Sommer zwar mit wechselnden Zuständen, aber schliesslich doch in erfreulicher Weise überstanden hast, und ich hoffe, dass Du nun auch bald wieder daran gehen wirst, Dir die rechte Erholung zu suchen. Dore sagte mir auch, dass es Dich interessieren würde, Einiges von meiner neuen Tätigkeit[3] zu erfahren, die ich mir leider habe aufhalsen lassen: deshalb schicke ich Dir hierbei einen Abzug meiner Rede über die Heidelberger Schlossfrage[4] und ausserdem das Referat über das Volksschulgesetz[5]. Es waren allerdings für mich sehr neue und fremde Materien, womit ich mich zu befassen hatte, und die Verantwortung der Teilnahme an der gesetzgeberischen Arbeit hat mich wirklich sehr stark in Anspruch genommen. Andererseits war es von hohem Interesse, nicht nur einmal mitten in dies politische Treiben praktisch hinein versetzt zu werden, sondern auch damit gerade an einen solchen Zeitpunkt zu kommen, wo nach einer Verfassungsänderung, die gerade der I. Kammer eine in mancher Hinsicht veränderte und wirksame Stellung gegeben hat, dies ganze eigenartige Leben gewissermassen in neue Bahnen geleitet werden muss. Nun haben sich dabei freilich meine allgemeinen Auffassungen vom Wesen des Parlamentarismus[6] nicht sonderlich geändert; ich habe vielmehr diese Auffassungen durch die eigenen Erfahrungen nur bestätigt und bekräftigt gefunden: aber auch das ist immerhin ein nicht wertloses Ergebnis. |
Das Bedauerliche daran gerade für mich selbst war nun in der Tat der grosse Zeitaufwand, der doch nicht nur die Lehrtätigkeit gelegentlich schädigte, sondern vor allem die eigene wissenschafliche Arbeit hemmte und streckenweise unmöglich machte. Und doch habe ich gerade jetzt mit allerlei neuen Auflagen und vor allem neuen Arbeiten mehr als vollauf zu tun: ich möchte endlich einmal den Zeitpunkt erreichen, wo ich aus dem Historischen heraus zum Systematischen, aus dem Fremden in’s Eigene übergehen könnte, und ich sehe mit Neid auf Deinen Bruder[7] der in seiner Musse mit bewunderungswürdiger Jugendlichkeit ein Erfreuliches und Wertvolles über das andere uns schenkt.
Die Ferien, von denen ich jetzt viel hoffen muss, beginnen nun freilich für mich unter sehr zweifelhaften Auspizien. Ich muss Dir heute Diktando schreiben, weil ich im Bett liege, um einen kleinen Rückfall meiner ehemaligen Venenentzündung[8] abzuwarten. Ich habe aus diesem Grunde auch Tarasp aufgeben müssen, da ich für dessen Kur jedenfalls wegen der Schonung, die mein Bein verlangt, jetzt ganz und gar nicht geeignet bin. Ich werde statt dessen zu Ende dieser Woche nach dem Waldhotel bei Villingen[9] gehen, wo ich Höhenluft, Tannenwälder, ebene Wege und ein vorzügliches Wirtshaus finde, und wohin ich eine kurze und einfache Reise habe. Sollte Dich Dein Weg über den Schwarzwald führen, so empfehle ich Dir diesen Rastort ganz besonders, – nicht nur in meinem Interesse, das dabei auch in hervorragendem Masse mitspricht, sondern auch deshalb, weil es dort wirklich sehr schön und erholsam, wenn auch ohne landschaftlichen Genuss ist. Denn es sind eben die ausgedehnten Hochwaldungen auf der breiten östlichen Abdachung des Schwarzwaldes, prächtige Luft, aber wenig zu sehen. |
Hoffentlich gestalten sich in den Ferien auch Fräulein Janse’s Gesundheitsverhältnisse[10] wieder gut. Unsere Dore erzählt gern von den behaglichen Stunden, die sie wieder während dieses Semesters in deinem Hause zugebracht hat, und auch meine Frau und ich sind Dir dafür herzlich dankbar: denn für Dore ist gerade bei dem in manchem Betracht wunderlichen Milieu, worin sie ja dort nun einmal sich bewegen muss, ein solches Herauskommen offenbar immer eine schöne und dankbar empfundene Erholung. Für jetzt grüssen wir Dich alle herzlich und ich bleibe, nicht ohne die Hoffnung, dass die Ferienfahrt Dich in irgend einer Weise zu mir führen[11] wird, in alter Liebe Dein
W Windelband[a]
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑vollbrachtem Semester ] zu Dora Windelbands wissenschaftlicher Fortbildung zur Oberlehrerin für Mädchenschulen vgl. Windelband an Karl Dilthey vom 30.12.1903.3↑neuen Tätigkeit ] als gewählter Vertreter der Universität in der 1. Kammer des badischen Landtags, vgl. Windelband an Theodor Curtius vom 18.11.1905.4↑Rede über die Heidelberger Schlossfrage ] vgl. Windelband: [Debattenbeitrag in der Diskussion über die Herstellungsarbeiten am Heidelberger Schloß]. In: Verhandlungen der Ersten Kammer der Stände-Versammlung des Großherzogtums Baden in den Jahren 1905/1906. Protokollheft. Enthaltend die Protokolle der Ersten Kammer. Karlsruhe: Buchdruckerei Fidelitas 1906. 32./33. öffentliche Sitzung v. 19.7.1906, S. 784–788 u. S. 810.5↑Referat über das Volksschulgesetz ] vgl. Windelband: [Bericht für die Schulkommission zur 2. Beratung über den Gesetzentwurf: Änderung des Gesetzes über den Elementarunterricht]. In: Verhandlungen der Ersten Kammer der Stände-Versammlung des Großherzogtums Baden in den Jahren 1905/1906. Protokollheft. Enthaltend die Protokolle der Ersten Kammer. Karlsruhe: Buchdruckerei Fidelitas 1906. 26. öffentliche Sitzung v. 7.7.1906, S. 600–602.9↑Waldhotel bei Villingen ] vgl. Süddeutschland. Handbuch für Reisende von Karl Baedeker. Leipzig: Baedeker 1901, S. 54.11↑zu mir führen ] Treffen nicht ermittelt; das vorliegende Schreiben ist das letzte überlieferte Windelbands an Karl Dilthey.▲