Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Heinrich Rickert, Heidelberg, 27.6.1904, 4 S., hs. (lat. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_48
- Creator
- Recipient
- ParticipantsAbraham Levy ; Dora Windelband ; Eitingon (Student, Berlin) ; Emile Boutroux ; Ernst Naville ; Fairbanks, Mrs., Berlin ; Gregor Itelson ; Heinrich Rickert ; Hermann Cohen ; Immanuel Kant ; Isaak Benrubi ; Johannes Reinke ; Jonas Cohn ; Karl Sudhoff ; Max Walleser ; Mechow, Ingenieur in Berlin ; Michael von Cartagi ; Nicolas Awxentieff ; Paul Deussen ; Paul Tannery ; Raoul Pictet ; Robert Corwegh ; Schleussner, Prof. in Mainz ; Theodor Elsenhans
- Place and Date of Creation
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- Physical LocationUniversitätsbibliothek Heidelberg
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Windelband an Heinrich Rickert, Heidelberg, 27.6.1904, 4 S., hs. (lat. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_48
Heidelberg, 27.6.04
Lieber Herr College,
Den nächsten Anlass meines Schreibens bildet eine eigenartige Mitteilung. Vor einiger Zeit liess mich der Grossherzog kommen, um mir in einer wirklich nahegehenden Weise den Wunsch auszusprechen, ich möchte, und möglichst nicht allein, den Genfer Philosophencongress (4–8 Sept[ember]) besuchen. Er steht in persönlichen Beziehungen zu Ern[est] Naville, dem 88jährigen Ehrenpräsidenten dieses Congresses, und da dieser selbst den dringenden Wunsch nach stärkerem Besuch durch die Deutschen[1] geäussert habe, so hegt der Grossherzog „im nationalen Sinne“ die Hoffnung, dass das sich erfülle. ich habe aus meiner Meinung von der geringen Bedeutung dieses Congresses kein | Hehl gemacht, aber, wie die Sache nun einmal aufgefasst wurde, meinerseits sie nicht abschlagen mögen. ich teile Ihnen das mit, ohne Ihnen zumuten zu wollen, etwas mitmachen zu sollen, das Ihnen noch unsympathischer, glaube ich, ist als mir, – würde natürlich um so freudiger überrascht, wenn die Anwesenheit von Boutroux, Tannery, A[drien] Naville („Classification“)[2] etc. Sie reizen sollte mitzutun. Eine andre Frage ist die, ob Sie meinen, dass ich mich an Herrn Jon[as] Cohn wende[3]. Der Grossherzog liess (dies unter uns) einfliessen, dass er gern die Kosten decken würde. ich werden das für meine Person nicht annehmen, da ich so wie so inʼs Rhonetal gehe; aber für die jüngeren Herrn kommt es doch in Frage, so z. B. auch für Dr. Elsenhans hier. ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich informieren wollten, ob | sich eine Anfrage empfiehlt.
Den zweiten Anlass bildet das Bedürfnis, Ihnen für die zweite Auflage des „Gegenstandes“[4] zu danken, die ich nun endlich genauer zu studieren Zeit gefunden habe. Er hat mich nicht nur wie selbstverständlich, höchlichst interessiert, sondern auch an wichtigen Punkten befriedigt, angeregt und gefördert. Dazu rechne ich Ihre eigenartige Abgrenzung der Urteilslehre vom Psychologismus, die Entwicklung aus der Frage, die ganze Behandlung des transscendentalen Idealismus. Auch bis zu den „Formen und Normen des Individuellen“ komme ich noch mit. Aber bei Ihrem Nominalismus der Gesetze geht mir die Puste aus. ich kann von der Vorstellung nicht loskommen, dass die Dependenz des Besondern vom Allgemeinen zu den constitutiven Formen der der Erfahrung gehört; ich | sehe eben darin den Punkt, wo formale und transscendentale Logik an einem höchsten Princip zusammenkommen; ich glaube, dass Kant recht gesehen hat, dass die Notwendigkeit im Causalverhältnis unter allen Umständen auf der Bestimmung der Zeitfolge durch eine allgemeine Regel beruht. In der Tat bin ich durch Ihre Auseinandersetzungen 212 ff. nicht überzeugt, dass ein Kausalverhältnis als notwendig zu denken ist ohne den Begriff des Gesetzes. Nur bei den complicierten Ereignissen der nicht analysierten Wahrnehmung liegen einmalige, individuelle Causalzusammenhänge vor, die aber im Prinzip, (wenn auch nicht immer in concreto) auf Combination elementarer gesetzmässige Causalverhältnisse zurückzuführen sind. Doch nichts für ungut! davon einmal mündlich!
Mit bestem Gruss von Haus zu Haus wie immer der Ihrige
W Windelband
Kommentar der Herausgeber
1↑Deutschen ] aus Deutschland nahmen am 2. Internationalen Kongress für Philosophie in Genf 1904 teil bzw. sollten teilnehmen (mit Vortrag): Isaak Benrubi (Berlin), Hermann Cohen (Marburg – nicht angereist), Jonas Cohn (Freiburg), Paul Deussen (Kiel – nicht angereist), Theodor Elsenhans (Heidelberg), Gregor Itelson (Berlin), A. Lévy (Hamburg), Raoul Pictet (Berlin, zuvor Genf), Karl Sudhoff (Düsseldorf), Windelband (Heidelberg); ohne Vortrag: Nicolas Awxentieff (Halle a. S.), Student Michael von Cartagi (Heidelberg), Robert Corwegh (Halle a. S.), Student Eitingon (Leipzig), Mrs. Fairbanks (Berlin), Ingenieur Mechow (Berlin), Johannes Reinke (Kiel), Prof. Schleussner (Mainz), Max Walleser (Säckingen), Dora Windelband (Heidelberg, die älteste Tochter). Vgl. die Teilnehmerliste in: Congrès international de Philosophie. IIme session tenue à Genève du 4 au 8 Septembre 1904. Rapports et comptes rendus. Publiés par les soins du Ed. Claparede. Genf: Henry Kündig 1905, S. 19–31.2↑Naville („Classification“) ] vgl. Adrien Naville: Nouvelle classification des sciences. Étude philosophique. 2. Aufl. Paris : F. Alcan 1901 (1. Aufl. Genf 1888).4↑zweite Auflage des „Gegenstandes“ ] Rickerts Arbeit: Der Gegenstand der Erkenntnis erschien 1904 in 2. Aufl.▲